Corona-Krise:Sanitätszelte statt Bierzelte auf der Wiesn

Corona-Krise: Ob es in 165 Tagen auf der Theresienwiese wieder so aussehen wird wie auf dem Bild links? Das kann man sich angesichts der Pandemie und der Leere momentan kaum vorstellen.

Ob es in 165 Tagen auf der Theresienwiese wieder so aussehen wird wie auf dem Bild links? Das kann man sich angesichts der Pandemie und der Leere momentan kaum vorstellen.

(Foto: Andreas Gebert/Reuters)

Ob das Oktoberfest stattfinden kann, wird wohl Ende Mai entschieden. Momentan traut sich niemand, die Hiobsbotschaft schon jetzt zu verkünden: Ein Milliardenumsatz ginge den Bach hinunter.

Von Franz Kotteder

Auf der Theresienwiese ist derzeit fast alles wie immer im Frühling. Über diese stets etwas ramponiert wirkende Freifläche mit ihrem räudigen Grün schlendern die Menschen und genießen die ersten Sonnenstrahlen. Manche spielen Ball, sehr viele joggen, andere fahren auf Inline-Skates Slalom um bunte Plastikhüte herum. Aber es ist doch auch vieles anders.

Die allermeisten Spaziergänger sind einzeln oder paarweise unterwegs, man sieht jetzt ganz gut, wer noch zu haben wäre. Familien sind auch da, bleiben aber unter sich. Ab und zu sieht man ein Polizeiauto zum Skaterplatz fahren. Und dann sind da im Nordwesten die sechs Sanitätszelte beim Behördenhof, weiträumig mit Drahtzäunen abgesperrt. Hier ist einer dieser Corona-Drive-Ins. Die Gesundheitsbehörden schicken Verdachtsfälle zum Testen hierher. Man fährt mit dem Auto vor, wenn man eine entsprechende Anweisung erhalten hat, dann wird die Probe genommen und man verschwindet gleich wieder.

Das alles fällt hier an einem schönen Frühlingstag kaum auf. Bei aller vermeintlichen Normalität ist es aber trotzdem schwer vorstellbar, dass in genau 165 Tagen wieder an die 300 000 Menschen auf diesem nur 42 Hektar großen Areal herumwuseln werden. Dann, am 19. September, soll das Oktoberfest eröffnet werden und gleichzeitig im Südteil der Theresienwiese auf zwölf Hektar auch noch das Zentral-Landwirtschaftsfest des Bauernverbands, das nur alle vier Jahre stattfindet, mit Tierschau, Landmaschinenvorführungen und Besuchern aus ganz Bayern, vorwiegend aus dem ländlichen Raum.

Womöglich findet aber weder das eine noch das andere statt in diesem Jahr. Es gibt nicht mehr so viele Münchner, die sich an eine Stadt ohne Oktoberfest erinnern können, schließlich ging es nach dem Zweiten Weltkrieg schon 1946 wieder mit einem "Herbstfest" als Ersatz weiter, bevor man 1949 wieder mit der regulären Zählung fortfuhr. Dabei waren Ausfälle in den 210 Jahren Wiesn-Geschichte gar nicht so selten; es gab insgesamt 24 festfreie Jahre für die Münchner. Darunter zwei wegen der Cholera-Epidemien 1854 und 1873.

Das ist lange her, aber dennoch: Bierzelte statt Sanitätszelte, das kann man sich derzeit kaum vorstellen. Auch wenn viel im Schwange ist und sich die Nachrichtenlage täglich ändern kann. Aber wenn man daran denkt, dass ein ganz normales Starkbierfest in Mitterteich Anfang März daran schuld sein könnte, dass der bayerische Landkreis Tirschenreuth inzwischen die höchste Infektionsrate in ganz Deutschland verzeichnet - dann kann man schon nachdenklich werden.

"Solche Großveranstaltungen, das weiß man in der Epidemiologie, können gleichsam wie Brandbeschleuniger wirken", sagte Andreas Zapf, Chef des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, gerade erst im Interview mit der SZ. Und wenn man dann noch an das Phänomen der jährlich auftretenden "Wiesn-Grippe" denkt, also die ganz normale Erkältung, die spätestens in der zweiten Wiesn-Woche in den Wartezimmern der Münchner Hausarzt-Praxen aufschlägt, dann kann einem schon anders werden. Ein Coronavirus, das bis dahin nicht im Griff ist, würde auf dem größten Volksfest der Welt Ende September sicher hervorragende Verbreitungsbedingungen vorfinden.

Kein Wunder also, dass in einem Land, das zu Fußballweltmeisterschaften nicht nur aus 82 Millionen Bundestrainern besteht, sondern in einer Pandemie auch aus ebensovielen Virologen, jeder weiß, was nun der richtige Weg ist. Gerade eben erst meldete sich der Münchner CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger, immerhin ein Mediziner, von der Berliner Hinterbank zu Wort und forderte, die Wiesn abzusagen - schon weil es im Herbst eine zweite Infektionswelle geben könnte.

Solche Stimmen mehren sich inzwischen und machen die Absage wahrscheinlicher. So schnell wird sie aber nicht kommen. Denn eine solche Entscheidung hat gewaltige Auswirkungen auf die Wirtschaft der Stadt. Schließlich spricht man von einem Umsatz von weit über einer Milliarde Euro, der direkt und indirekt mit dem Oktoberfest gemacht wird. Und zwar nicht nur mit Bier und Hendl, sondern auch mit der Schaustellerei, mit Souvenirs und Dienstleistungen aller Art bis hin zur Hotellerie, die ohnehin schon schwer gebeutelt wird durch die Corona-Krise.

Eine solche Hiobsbotschaft will zum jetzigen Zeitpunkt niemand verkünden. Wirtschaftsreferent und Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner (CSU) sagt tapfer: "Wir bereiten nach wie vor die Wiesn vor, auch wenn wir derzeit alle Hände voll zu tun haben mit der Bearbeitung der Bayernhilfe-Anträge. Dafür sind bei uns allein 120 Leute im Einsatz."

Der Stadtrat werde, wie alle Jahre wieder, Ende April oder Anfang Mai darüber entscheiden, wer überhaupt auf die Wiesn dürfe, danach sehe man weiter. Für das Oktoberfest stünden derzeit noch keine teuren Ausgaben an, der Aufbau des Festes beginne erst im Juli, Auftragsvergaben für Sicherheits- und Sanitätsdienste seien noch nicht fällig. Man werde so rechtzeitig entscheiden, dass niemand unnötig Schaden nehme.

Wann also wird Klarheit herrschen? Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hat unlängst Ende Mai als Datum genannt. Für den Veranstalter des Zentral-Landwirtschaftsfests, den Bayerischen Bauernverband, sagt dessen Sprecherin Stefanie Härtel: "Im Moment planen wir weiter." Klar sei aber auch, dass man sich bis spätestens Mitte Juni entscheiden müsse.

Die Wiesnwirte halten sich an das Motto: Abwarten und Bier trinken, und wollen sich vorerst nicht zum Thema äußern. Und Yvonne Heckl vom Münchner Schaustellerverband meint, in ihrer Branche gebe es viele Überlebenskünstler, und die Hoffnung sterbe zuletzt. Sie sagt aber auch: "Die Wiesn ist ein Zeichen für ganz Deutschland. Wenn man sie zu früh absagt, ist für viele das ganze Jahr jetzt schon gelaufen. Das ist dann ein Fiasko für alle."

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