Strengere Corona-Maßnahmen:München ist zurück im Krisenmodus

Lesezeit: 4 min

Vergebens aufgebaut: das Tollwood-Wintergelände. (Foto: Robert Haas)

Die Infektionszahlen in München steigen dramatisch an. Die Maßnahmen, um die vierte Welle zu brechen, treffen Gastro-, Kultur- und Freizeitszene besonders hart.

Von Bernhard Blöchl, Jutta Czeguhn, Heiner Effern, Ingrid Fuchs, Anna Hoben, Catherine Hoffmann, Sonja Niesmann und Michael Zirnstein

Es ist das Ende einer Woche, in der die Infektionszahlen in München in nie dagewesene Höhen geklettert sind. München blitzt auf der Alarmkarte des Robert-Koch-Instituts in grellem Pink auf, bisher die Farbe der bockigen Landkreise am Alpenrand und im Osten mit Sieben-Tage-Inzidenzen um die 1000. Am Freitag meldete das Robert-Koch-Institut für die Landeshauptstadt einen Wert, der stark in diese Richtung geht: 754.

Allein am Donnerstag verzeichnete die Stadt 3565 neue Corona-Fälle (einschließlich 326 Nachmeldungen). Die Lage spitzt sich immer mehr zu, nicht nur, aber auch in München. Im Rathaus blickte man am Freitag auf den Freistaat, Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verkündete neue scharfe Corona-Regeln für ganz Bayern.

Was das alles konkret für München bedeutet? Damit wollte sich der städtische Krisenstab noch am Freitag beschäftigen. Die Wucht der Maßnahmen gegen die vierte Welle erwischt München mit seiner großen Gastro-, Kultur- und Freizeitszene besonders hart. Die von Söder angekündigten Verschärfungen müssen erst vom Landtag verabschiedet werden, gelten sollen sie vom kommenden Mittwoch an.

Steigt die Zahl der Neuinfektionen in München weiter an, könnte für die Stadt dann auch die neue Hotspot-Regel greifen: Kommunen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 1000 müssen das öffentliche Leben in weiten Bereichen nicht nur einschränken, sondern wieder ganz herunterfahren. Dann müssten Gastronomie, Sport- und Kulturstätten vorübergehend ganz schließen, Veranstaltungen würden untersagt. Zuletzt verschärften sich die Hotspot-Regeln immer zwei Tage nach dem Überschreiten des Grenzwertes. Schulen und Kitas dürften genauso wie der Handel offen bleiben.

Tollwood-Festivalleiterin Rita Rottenwallner trifft die Entscheidung schwer

Nachdem Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) am Dienstag den Christkindlmarkt abgesagt hatte, ist von der generellen Absage für alle Märkte nun auch das Winterfestival Tollwood betroffen. Es war auf der Theresienwiese bereits fast fertig aufgebaut und hätte am Mittwoch starten sollen. Festivalleiterin Rita Rottenwallner trifft die Entscheidung schwer: "Heute ist ein bitterer Tag", sagte sie. Gleichwohl erforderten die dramatische Entwicklung der Pandemie und die katastrophale Situation in den Krankenhäusern einschneidende Maßnahmen.

Aufgewühlt klingt am Freitagnachmittag auch Peter Fleming, er betreibt den Club Harry Klein. Grundsätzlich begrüße er Maßnahmen, die zur Eindämmung der Pandemie beitrügen, schickt er vorweg. Doch er frage sich, warum die Clubs nun ausbaden müssten, dass so viele Menschen sich nicht impfen ließen. Es habe keine nachgewiesenen Ausbrüche in Clubs gegeben. Trotzdem müssen diese nun wieder schließen - nachdem sie gerade einmal sieben Wochen lang Gäste begrüßen durften. Am Wochenende wird das Harry Klein nochmals geöffnet sein. Es wird die vorerst letzte Party sein, mal wieder.

"Es schaut so aus, als ob Silvester dieses Jahr um 22 Uhr stattfindet", sagt mit schwarzem Humor Christian Schottenhamel, Wirtesprecher in München. "Bei allem Verständnis für die Maßnahmen: Das ist ein bisschen ein Tod auf Raten, was hier gerade passiert." Alle Weihnachtsfeiern würden wegfallen. "Das ist unheimlich schmerzhaft", sagt Schottenhamel. Ihn verärgert das kurzfristige Handeln der Politik. "Mir kommt das alles sehr planlos vor." Es sei bitter für die Mitarbeiter, die jetzt, nach kurzer Zeit, wieder in die Kurzarbeit geschickt würden.

Bitter ist es auch für die Wirte, die ihre Kühlhäuser mit Lebensmitteln gefüllt haben, deren Preise zuletzt kräftig gestiegen sind. Jetzt wird sie niemand mehr brauchen. Noch aber ist die Gastronomie geöffnet, und das Kreisverwaltungsreferat kontrolliert nach Angaben eines Sprechers dort derzeit "intensiv" zusammen mit der Polizei. So seien allein am vergangenen Wochenende rund 1000 Betriebe überprüft worden. Bei etwa jedem zehnten gebe es Probleme.

Im Residenztheater habe nach der Pressekonferenz von Ministerpräsident Söder erst einmal Ratlosigkeit geherrscht, sagt Ingrid Trobitz, stellvertretende Intendantin und Sprecherin. Gefolgt von hektischem Umschalten in den Krisenmodus. Für Münchens große Kulturhäuser stellen sich viele Fragen, vor allem was die praktische Umsetzung angeht: Soll man wirklich die Auslastung der Spielstätten auf 25 Prozent herunterfahren - mit allen bürokratischen Konsequenzen, was die Rückabwicklung von Tickets angeht? Oder lohnt sich das gar nicht, wenn die Inzidenz in der Landeshauptstadt nächste Woche voraussichtlich über die 1000er-Marke springt und die Häuser ohnehin dicht machen müssen?

"Eine verlässliche Planung für unser Publikum ist da unmöglich", sagt Trobitz. Die Bayerische Staatsoper kündigte an, dass alle gekauften Tickets für Veranstaltungen vom 24. November bis einschließlich 15. Dezember storniert würden. Das werde automatisch geschehen, das Geld werde den Kunden zurückerstattet. Was mit dem für den 26. November geplanten SZ-Benefizkonzert in der Isarphilharmonie mit Simon Rattle geschieht, wird am Montag entschieden.

Kultur in Corona-Zeiten
:Im absoluten Krisenmodus

An den Münchner Theatern und im Literaturhaus rätselt man, wie man mit den neuen Pandemie-Auflagen umgehen soll. Zuversicht gibt es dennoch.

Von Bernhard Blöchl und Jutta Czeguhn

Im Literaturhaus sollen von Mittwoch an alle Veranstaltungen unter Berücksichtigung der 2-G-plus-Regel stattfinden. "Geplant ist, dass die Personenzahl im Saal ab diesem Zeitpunkt wieder auf 50 reduziert wird", sagte Sprecherin Marion Bösker-von Paucker. Auch für die Ausstellung gilt 2-G-plus.

Das Luitpold-Gymnasium geht weiter, als es die Regeln verlangen, um die Verbreitung des Virus einzudämmen

Für die Schulen ändert sich durch die neuen Regeln nicht allzu viel. Die Liste der "geschlossenen Schulen und Klassen", einsehbar auf der Webseite des Referates für Bildung und Sport (RBS), ist Stand Freitagmittag allerdings beachtlich lang: In 71 Einrichtungen sind Mittagsbetreuungs- und Tagesheimgruppen, Hortgruppen oder gleich der ganze Hort, eine oder mehrere Klassen an Grundschulen, Mittelschulen, Realschulen und Gymnasien innerhalb der vergangenen zwei Wochen in zehntägige Quarantäne geschickt worden.

Laut Gesundheitsreferat sind zwischen dem 12. und 18. November aus den Schulen 1027 positive Corona-Tests gemeldet worden, in der Woche davor waren es 737. Rund 1650 positiv getestete Schüler befinden sich in Quarantäne. Die Zahl der Kontaktpersonen gibt die Behörde mit etwa 4400 an. Derzeit gilt, dass bei positiver Testung nur die direkt daneben, dahinter oder davor sitzenden Kinder in Quarantäne müssen. Falls jedoch mehr als nur ein positiver Fall in der Klasse registriert wird, bei dem die Ansteckung nachweislich auf schulischen Kontakt zurückgeht, muss die gesamte Klasse nach Hause gehen.

Das Luitpold-Gymnasium zum Beispiel geht, um die Verbreitung des Virus einzudämmen, sogar noch weiter, als es die offiziellen Regeln verlangen. Es will künftig alle Schüler - also auch geimpfte oder genesene - einmal wöchentlich testen und hat damit am vergangenen Donnerstag schon begonnen. "Das Angebot ist von so gut wie allen Schülern angenommen worden", berichtet der stellvertretende Schulleiter Wolfgang Wagner. Zudem sollen statt einfacher medizinischer Masken FFP2-Masken getragen werden, auch dies natürlich freiwillig, sagt Wolfgang Wagner.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusCorona-Pandemie
:Warum der Alpenraum ein Impfproblem hat

Deutschland, die Schweiz und Österreich haben in Westeuropa die niedrigste Impfquote. Religionswissenschaftler Michael Blume erklärt, wo Menschen besonders anfällig für Verschwörungsmythen sind - und was das mit den Bergen zu tun hat.

Interview von Sebastian Gierke

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: