Süddeutsche Zeitung

Pandemie:"Alarmsignal": So ist die Corona-Lage auf Münchens Intensivstationen

Die Zahl der Covid-19-Patienten steigt kontinuierlich an, die Notfallmediziner sind besonders besorgt über den frühen Zeitpunkt in diesem Jahr. Auf den Stationen der Münchner Krankenhäuser liegen mehr als 90 Prozent Ungeimpfte.

Von Ekaterina Kel

Die Stadt befindet sich mitten in der vierten Corona-Welle. "Wir koordinieren im Hintergrund schon wieder und zählen die verfügbaren Betten", sagt Viktoria Bogner-Flatz, die zusammen mit Dominik Hinzmann während der Pandemie die Krankenhauskoordination in München übernommen haben. Die derzeitige Verfügung sieht ihre Stellen zwar nicht mehr vor, die beiden behalten aber als sogenannte Ärztliche Leiter Rettungsdienst trotzdem die Übersicht über die Lage.

Und die ist mal wieder besorgniserregend. Die Patientenzahlen steigen kontinuierlich an. Stand Dienstag sind 156 Betten in Münchner Krankenhäusern mit Covid-Patienten belegt, davon 64 auf Intensivstationen. Vor vier Wochen waren es insgesamt 84 Patienten, davon 31 auf Intensiv. Laut des Divi-Intensivregisters sind im Moment 13 Prozent aller Intensivbetten in München mit Covid-19-Patienten belegt.

Und was die Notfallmediziner Bogner-Flatz und Hinzmann besonders besorgt, ist der Zeitpunkt des Anstiegs: "Wir sind zwei Monate früher dran als vor einem Jahr. Das ist für uns ein Alarmsignal", so Bogner-Flatz, die die Notaufnahme des LMU-Klinikums am Campus Innenstadt leitet. Im vergangenen Jahr seien die Belegungszahlen erst Mitte Oktober hochgegangen, dieses Mal aber schon ab Mitte August. Und das "bei gutem Wetter", so Bogner-Flatz. "Mit Herbst, Schulbeginn und Reiserückkehrern kommen noch mehr Faktoren dazu", warnt sie.

Auch die München Klinik hat schon vor Tagen auf ihrer Facebook-Seite darauf hingewiesen, dass es jetzt im Vergleich zum gleichen Zeitpunkt vor einem Jahr bei ähnlichen Inzidenzen fünf Mal mehr Intensivfälle mit Covid-19 gibt. Wie kommt es dazu? Eine Erklärung ist die weitaus ansteckendere Delta-Variante des Virus, die mittlerweile den größten Anteil der Infektionen ausmacht. Deshalb treffe es "die Ungeimpften umso massiver", weiß Dominik Hinzmann. "Auf den Stationen sind mehr als 90 Prozent Ungeimpfte", sagt der Notfall- und Intensivmediziner vom Klinikum rechts der Isar.

"Wir befinden uns in einer Pandemie der Ungeimpften", sagt deshalb auch Axel Fischer, Geschäftsführer der München Klinik. Er sei verärgert, dass es nun wieder einmal an der Zeit ist, Stationen umzuwidmen und Personal umzuschichten, um die steigenden Covid-Patientenzahlen im Griff zu behalten. Trotzdem bemüht er sich um einen positiven Ton: "Ich bleibe optimistisch. Wir haben wieder mehr Patienten, aber es gibt inzwischen auch viele Genesene und Geimpfte. Deshalb hoffe ich, dass wir trotz Delta-Variante nicht Verhältnisse wie im vergangenen Winter bekommen werden." Man müsse das Thema Impfen eben ernsthafter vorantreiben, sagt er in Richtung der Politik. "Es reicht nicht, eine Impfwoche auszurufen." Der einzige Weg aus der Pandemie sei das Impfen. Wäre eine Impfpflicht auch ein Weg? Zumindest soweit geht Fischer auf Nachfrage: "Die Politik sollte für bestimmte Gruppen über eine Impfpflicht nachdenken."

Aktuell sind in München 58,2 Prozent doppelt geimpft. Diese Menschen seien vor einer schweren Erkrankung gut geschützt, sagt Christoph Spinner, Infektiologe und Pandemiebeauftragter vom Rechts der Isar. Bei ihnen auf der Intensivstation lägen zurzeit ausnahmslos Ungeimpfte. "Wer geimpft auf Intensivstation landet, hat in der Regel ein nicht gut funktionierendes Immunsystem, zum Beispiel durch eine Organtransplantation. Aber das ist die absolute Minderheit." Und selbst auf den Normalstationen machten Geimpfte mit einer Sars-CoV-2-Infektion einen sehr kleinen Anteil aus, meistens weil sie parallel noch eine andere Grunderkrankung haben, die den Verlauf zusätzlich erschwert.

Auch das durchschnittliche Alter der Erkrankten ist anders als früher: Zwischen 40 und 60 Jahren seien die meisten auf Intensivstation, so Hinzmann. Jüngere trifft es immer öfter. "Unser jüngster Intensivpatient mit Covid-19 ist 27 Jahre alt und ohne Vorerkrankungen", berichtet zum Beispiel Christoph Spinner. Und am LMU-Klinikum habe man erst vor Kurzem eine Patientin unter 18 Jahren an Corona verloren, erzählt Markus M. Lerch, Ärztlicher Direktor des Klinikums. "Auch in der Kinderklinik liegen jetzt Covid-Patienten", sagt er.

Vom Ende der Pandemie wie in Skandinavien könne man hier zurzeit nur träumen

Was allen Gesprächen mit den Medizinern gemeinsam ist, ist der Frust über diese erneute Welle. Denn dieses Mal hätte sie verhindert werden können - wenn die Impfquote bis zum Herbst hoch genug wäre. Aber vom Ende der Pandemie wie in Skandinavien könne man hier zurzeit nur träumen, sagen die Ärzte. Bogner-Flatz fasst ihren Frust so zusammen: "Wenn man im Schockraum gerade einen jungen Patienten mit einer krachenden Covid-Pneumonie intubiert, und hört, der ist ungeimpft, kommt viel Frust auf. Das hätte so einfach mit einer Impfung verhindert werden können. Diese Strapazen wären für den Patienten eigentlich völlig unnötig." Zusätzlich sei dieses Mal die Ausgangslage eine andere, viele Pflegekräfte seien bereits abgesprungen. Dadurch könne man noch weniger Intensivbetten für Covid-Patienten bedienen.

Bleibt zu hoffen, dass sich viele Menschen schnell impfen lassen. Letztlich sei es eine Frage der richtigen Kommunikation, meint Spinner. Die Politik müsse noch stärker auf "positive Bestärkung" setzen, nicht auf Bestrafung. "Es ist ganz klar: Wer sich vor einem schweren Verlauf schützen will, muss sich impfen lassen. Und wer nicht geimpft ist, wird erkranken."

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SZ vom 15.09.2021/wean
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