Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in München:Hausärzte könnten die Rettung sein

Der Bund und der Freistaat Bayern ändern ihre Strategie und setzen bei der Immunisierung nun auf Hausärzte statt auf neue Impfzentren. Die Praxen sind bereit und hätten am liebsten schon längst angefangen.

Von Ekaterina Kel

Überraschend hat die Stadt am Mittwoch verkündet, den Aufbau weiterer Impfzentren zu stoppen. Bund und Freistaat hätten angekündigt, "die Impfstrategie zu ändern und die ab nächstem Monat avisierten zusätzlichen Impfdosen nun über die Hausärzte und nicht, wie bislang geplant, über die städtischen Impfzentren zu verimpfen", heißt es zur Begründung vom Presseamt. Deshalb könne man den vom Stadtrat beschlossenen und bereits vorbereiteten Aufbau von drei weiteren Impfzentren jetzt doch nicht umsetzen.

Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek (SPD) zeigte sich überrumpelt und spricht von einem "für uns alle sehr überraschenden Sinneswandel". "Es ist für uns als Gesundheitsamt ausgesprochen schwierig, Planungen umzusetzen, wenn sich die Impfstrategie von Bund und Land in dieser für uns alle lebenswichtigen Frage so schnell und unberechenbar ändert", teilte Zurek mit. Erst vor Kurzem hatte das bayerische Gesundheitsministerium angekündigt, dass die Stadt ab April täglich rund 13 000 Impfdosen erhalten wird. Daraufhin entschied man sich in München, drei weitere Impfzentren mit einer Gesamtkapazität mit 7000 Impfungen am Tag aufzubauen. Zusätzlich hat man in den vergangenen Tagen begonnen, die Impfkapazität in der Messe Riem auf täglich 6000 Impfungen auszubauen. Von der Entscheidung, dass stattdessen die Impfungen wesentlich durch Hausärzte erfolgen sollen, wurde die Stadt offenbar überrascht.

Hausärzte sind schon länger als Beschleuniger der Kampagne im Gespräch. Sie haben die größte Impf-Expertise und sollen von Anfang April an dabei helfen, möglichst schnell möglichst viele Menschen gegen das Coronavirus zu impfen. Ob die Hausärzte die angekündigte Menge von 13 000 Dosen pro Tag auch ohne die zusätzlichen Kapazitäten von der Stadt schaffen, ist nicht sicher zu beantworten. Eine Impfkampagne in dieser Größenordnung gab es noch nie. Jedoch zeigen sich die Hausärzte zuversichtlich.

"Innerhalb von zwei Monaten wären wir mit unseren Patienten durch", schätzt beispielsweise eine Ärztin aus einer Gemeinschaftspraxis im Münchner Süden. Bei der Grippeimpfung dauere es in etwa sechs Wochen, bis alle, die dran kommen wollen, die Impfung erhalten haben. Zwischen 20 und 30 Impfungen am Tag würden sie in der Praxis schaffen. Wenn alle Praxen mit anpackten, sei man sehr schnell durch. "Am schnellsten geht es, wenn man einfach schaut, dass möglichst jeder geimpft wird."

Die Hausärztin plädiert dafür, die strikte Priorisierung und die damit verbundene Bürokratie aufzugeben. "Wenn ein Lungenkranker erst in zwei Wochen kann, der 20-jährige Hypochonder aber schon morgen, dann halte ich doch nicht die Impfdosis zurück", sagt sie. Voraussetzung sei, dass stets genug Impfstoff nachkommt. Im Fall eines erneuten Engpasses wisse man sich zu helfen: "Wir haben alle unsere Listen." Wer schwer krank ist, wer nicht selbst aus dem Haus kann, das könne jeder seinen Patientendaten entnehmen.

Auch der Münchner Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbands, Oliver Abbushi, sagt: "Wir kennen alle unseren Patientenstamm, da wird zuerst ab April die Priorität eins abgearbeitet." Auch mit der zweiten Gruppe könne man schnell beginnen. "Die Motivation ist hoch. Wir wollen der Bevölkerung signalisieren, dass es Licht am Ende des Tunnels gibt." In der kommenden Woche beginnt ein Pilotprojekt in München mit drei Praxen. Dort sollen die Impfvorgänge ausprobiert werden. In dieser Phase werde jeweils ein Mitarbeiter des Impfzentrums die Praxen vor Ort mit Terminierung, Registrierung und Dokumentation in der Software BayIMCO unterstützen, heißt es aus dem Gesundheitsreferat.

Parallel laufe bereits eine Abfrage bei den Hausärzten, wer sich danach generell zur Verfügung stellen würde. Abbushi begrüßt das Pilotprojekt, kritisiert aber die Software als "das größte Problem" - sie zeige sich "als sehr unflexibel". Man gehe davon aus, dass die daraus entstehende Bürokratie für die Abläufe in den Praxen von April an "deutlich abgespeckt" werde.

Kritischer äußert sich Christoph Emminger, Vorsitzender des Ärztlichen Kreis- und Bezirksverbands München. "Mir fehlt jegliches Verständnis, warum man ein solchen Pilotprojekt überhaupt machen muss." Aus seiner Sicht hätten die Ärzte "schon vorgestern" anfangen sollen, zu impfen, schließlich sei das ihre Kernkompetenz. Zudem kritisiert Emminger, dass sich bei ihm immer noch Kollegen meldeten, die selbst noch nicht geimpft worden seien, obwohl sie und ihre Mitarbeiter Corona-Tests machten und Covid-19-Patienten behandelten. Tatsächlich ist laut Abbushi bisher etwas mehr als die Hälfte der Praxen geimpft, deren Mitarbeiter in Heimen tätig sind oder Infektsprechstunden machen. Genauere Zahlen gibt es dazu nicht.

Für Lehr- und Erziehungskräfte sowie weiteres Personal an Schulen, Kitas und in der Kindertagespflege gibt es indes gute Nachrichten: Die Terminvergabe dafür soll laut Stadt ab Mitte kommender Woche starten. Die Einrichtungen würden bis Ende der Woche weitere Informationen zum genauen Ablauf erhalten.

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SZ vom 11.03.2021/lfr/amm
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