Hilfsprojekt:Ein langer Atem für mehr Sauerstoff

Hilfsprojekt: Monja Müller-Spiekenheuer und Franziska Weißörtel (rechts) haben sich 2016 bei einem Hilfsprojekt für Indien kennengelernt.

Monja Müller-Spiekenheuer und Franziska Weißörtel (rechts) haben sich 2016 bei einem Hilfsprojekt für Indien kennengelernt.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Hilfe für Indien: Franziska Weißörtel, Monja Müller-Spiekenheuer und Christin Hollweck haben innerhalb von zwei Wochen 117 Sauerstoffgeräte gesammelt und nach Bangalore geschickt.

Von Sabrina Ahm

Wenn Menschen sterben, dann ist nicht Nachdenken, sondern Handeln angesagt. Egal, wie niedrig die Erfolgschancen standen, Franziska Weißörtel, 31, Monja Müller-Spiekenheuer, 32, und Christin Hollweck, 30, haben sich einer scheinbar unmöglichen Aufgabe angenommen: Sie sollten 100 Sauerstoffkonzentratoren für Indien besorgen.

Als Ende April das Telefon klingelte, ahnten Franziska Weißörtel und Monja Müller-Spiekenheuer nicht, wie sehr sich ihr Leben in den kommenden Wochen ändern sollte. Am Telefon war Vinay Kumar, ein Bekannter aus Indien. Eine neue Corona-Welle zieht durch dieses Land. Knapp 200 000 Neuinfektionen gibt es dort aktuell täglich, mehrere tausend Menschen sterben jeden Tag, die Krankenhäuser sind überlastet, lebenswichtiger Sauerstoff ist knapp. Als Vinay Kumar am Telefon um Hilfe bat und nach Sauerstoffkonzentratoren fragte, dachten die beiden Frauen an einen oder womöglich zwei Geräte.

Die Rede war von 100 Sauerstoffkonzentratoren. Der erste Gedanke: "Wie sollen wir das machen? Das ist ja absolut unmöglich", erzählt Franziska Weißörtel. Aber wenn Hilfe dringend benötigt wird, wenn es um das Überleben von Menschen geht, erreicht man Dinge, die unmöglich erscheinen. Innerhalb von zwei Wochen schafften die drei Frauen, 117 Sauerstoffkonzentratoren, Masken und weitere Hilfsmittel, die vor Ort fehlen, nach Indien. Alles sei ganz ohne Zwischenfälle abgelaufen, und die Lieferung sei bereits in Bangalore eingetroffen und weitergeleitet worden, bestätigt Franziska Weißörtel.

Die drei Frauen teilen bereits seit langer Zeit ihre Leidenschaft für Nachhaltigkeit, nachhaltige Landwirtschaft und fremde Kulturen. Kennengelernt haben sich Monja Müller-Spiekenheuer und Franziska Weißörtel 2016 beim Projekt "Toranam", dessen Ziel es ist, ökologische Agroforstwirtschaft in Indien zu etablieren und somit die Einkommenssituation von Kleinbauern zu verbessern. So haben sie auch viel Zeit vor Ort verbracht. Die sich zuspitzende Lage in Indien ist an den Frauen nicht einfach so vorbeigegangen, Freunde in Indien berichteten ihnen immer wieder von den schlechten Zuständen vor Ort. Anfangs habe Franziska Weißörtel das Ganze von sich weggehalten, weil sie auch nicht gewusst habe, was sie machen soll, wie sie helfen soll. "Wenn ich Geld schicke, und es gibt keine Ärzte, keine Medikamente, keinen Sauerstoff, dann bringt das Geld ja auch nichts", erläutert sie, "deswegen waren wir dann auch echt froh, dass wir etwas machen konnten".

Vinay Kumar, den die Frauen durch das bereits laufende Projekt in Indien kennen, versicherte ihnen, dass die Finanzierung bereits so gut wie gesichert sei, und auch der Transport sei eine bereits geregelte Angelegenheit. Alles, was sie tun müssen, wäre die Beschaffung der Sauerstoffkonzentratoren. Das sind Geräte, die Sauerstoff aus Umgebungsluft anreichern können, somit sind sie unabhängig und nachhaltig einsetzbar. Das diese Beschaffung alles andere als einfach würde in Zeiten von Corona, wo auf der ganzen Welt der Sauerstoff fehlt, war den Frauen klar.

"Wir haben einfach gesagt: Wir machen das jetzt. Und dann musste das alles so schnell wie möglich passieren", sagt Franziska Weißörtel. Zeit hatten sie nicht, denn die Menschen in Indien brauchten die Hilfe sofort. Während Franziska Weißörtel sich um das Fundraising kümmerte, Christin Hollweck die Öffentlichkeitsarbeit übernahm, ging Monja Müller-Spiekenheuer die Beschaffung der Sauerstoffkonzentratoren an. Sie hätte, gleich am ersten Tag, jeden einzelnen Hersteller und Zwischenhändler kontaktiert, der die benötigten Sauerstoffgeräte entweder produziere oder vertriebe, wäre aber immer wieder auf negatives Feedback gestoßen oder auf Lieferzeiten, die langes Warten bedeutet hätten.

"Ich muss das jetzt schaffen, das muss jetzt klappen. Dann können wir wenigstens ein paar Leute retten"

Nach vielen Rückschlägen ist sie dann aber auf einen Online-Shop gestoßen, der noch fünf Geräte zur Verfügung gehabt hätte. Als sie sich dort nach weiteren Geräten erkundigte, hatte sie Marvin Zierau am Apparat. Er kannte keine der Frauen und war aber auf einmal mit vollem Engagement dabei. "Der war dann bei uns im Team und hat alles daran gesetzt, diese Sauerstoffkonzentratoren aufzutreiben", sagt Franziska Weißörtel. Selbst Geräte, die er vor ein paar Wochen nach Polen schickte, habe er durch Kontakte für das Projekt wieder zurückgeholt. Ohne Vertrauen hätte das alles nicht geklappt, versichert Franziska Weißörtel, "Es hat jeder jedem so sehr vertraut in diesem Projekt, das ist unglaublich. Auch Herr Zierau kannte keine von uns und ist ein solches Risiko eingegangen."

Franziska Weißörtel erzählt aber auch von Momenten, in denen der Druck größer wurde, besonders der emotionale Druck. Man habe immer gedacht: "Ich muss das jetzt schaffen, das muss jetzt klappen. Dann können wir wenigstens ein paar Leute retten." Was ihnen hier geholfen habe, war ihre Freundschaft und jede Menge Rückendeckung. Verständnis von ihren Arbeitgebern, da für die Frauen die Priorität innerhalb dieser zwei Wochen nicht bei ihren eigentlichen Jobs lag. Unterstützt wurden sich auch vom Verein Technik ohne Grenzen, mit dessen Hilfe Franziska Weißörtel und Monja Müller-Spiekenheuer bereits seit 2016 am Projekt "Toranam" gearbeitet hatten.

Der Gesamtwert der Hilfslieferung beläuft sich auf etwas mehr als 100 000 Euro, wobei das meiste bereits durch Spenden finanziert hat werden können. Reibungslos sei selbst der Transport ohne jegliche Zwischenfälle gelungen, sagt Franziska Weißörtel, diesen hat das Transportunternehmen unentgeltlich übernommen.

Gerade überlegen sich die drei Frauen, wie sie weitermachen sollen. Denn dass sie weitermachen ist relativ sicher. Nun gehe es darum, langfristig zu denken. Die Zustände vor Ort seien von einer unfassbaren Dynamik geprägt, wodurch es schwer würde, im Voraus zu planen. Wichtig sei nun, sagt Weißörtel, weiterhin hinzuschauen.

Was ist es, das die Frauen antreibt? Was ist ihr Lohn? Ein neues Bewusstsein. Eine Bestätigung. "Man kann alles schaffen, wenn man zusammenhält und wirklich auch glaubt, dass es funktioniert", sagt Franziska Weißörtel.

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