Süddeutsche Zeitung

Demo gegen Corona-Maßnahmen:Die dritte Wut-Wiesn

Erneut haben 1000 Menschen auf der Theresienwiese gegen die Corona-Einschränkungen demonstriert. Es geht dabei auch um die Folgen abseits des Infektionsschutzes.

Von Bernd Kastner

Es halten sich fast alle fast immer ans Abstandsgebot. Alle Demo-Parzellen auf der Theresienwiese sind am Samstagnachmittag irgendwann voll besetzt. Es sind 1000 Menschen gekommen, um gegen die Corona-Beschränkungen zu demonstrieren, bis zu 400 Menschen stehen entlang des Bavariarings, für sie ist kein Platz mehr auf der Wiesn. Die Stadt hat wieder maximal 1000 Teilnehmer genehmigt. Auf dem Boden sind rote Punkte angebracht, sie erleichtern es, den nötigen Abstand zu finden. Hinter der Bühne aber gibt es keine Punkte, und die Leute dort, Organisatoren, Redner und Ordner, sind sich recht nah, inhaltlich und körperlich.

Sie finden das Abstandsgebot ja auch blöd und falsch und sinnlos. Abstandsgebot und Maskenpflicht und überhaupt so ziemlich alles, was die Regierungen in den vergangenen Wochen vorgeschrieben haben, um die Corona-Pandemie zu bekämpfen. Deshalb sind sie gekommen, zum dritten Mal jetzt auf die Wiesn. So verärgert auch alle sind, so ruhig geht es vergleichsweise zu. Die Mischung der Demonstranten ist bunt, Alte und Junge, politisch vermutlich auch heterogen, allerdings dürften viele dem Frust- und Wut-Lager angehören.

Das lassen zahlreiche Parolen auf Tafeln und anderem Papier vermuten: "Gelebte Demokratie statt totalitärem Kontrollwahn", "Diktatur im Deckmantel der Gesundheit", "Grundgesetz wiederherstellen", "Unser neuer Führer heißt Bill Gates". Gelbe Judensterne sind nicht zu sehen, zuletzt wurden sie auf Corona-Demos gezeigt, mit der Inschrift "ungeimpft". Damit sollten Assoziationen geweckt werden, als ob nicht geimpfte Menschen heute so verfolgt würden wie Juden in der Nazizeit. Die Stadt hat das Verwenden des Judensterns verboten. Für die Polizei blieb der Nachmittag ruhig, es seien nur ein paar wenige polizeibekannte Rechte gesichtet worden.

Die Redner auf der Bühne agitieren nicht extremistisch, sind aber sehr klar im Nein zu den Corona-Vorgaben. Claus-Dieter Meisel, der Demo-Anmelder, zieht Parallelen zur DDR, die er vor 32 Jahren verlassen habe. Das Handeln des Kreisverwaltungsreferats mit seinen strengen Auflagen stellt er auf eine Ebene mit DDR-Behörden. Damals wie heute höre er den Satz: "Wir machen das alles nur zu Ihrem Schutz." Er habe das Gefühl, ruft Meisel, "dass die DDR mich einholt". Auf der Bühne gibt es keinen, der solche Sätze einem Faktencheck unterziehen und klarmachen würde, wie viel Abstand tatsächlich ist zwischen DDR und Bundesrepublik.

Auch der Allgemeinmediziner Josef Dohrenbusch gehört zum Kern der Organisatoren. Er mache sich großen Sorgen um "die zunehmenden Ängste der Menschen", kritisiert eine "Politik der Panik" und dass Patienten mitunter lange auf Arzttermine und Operationen hätten warten müssen, weil zu viel Kapazität für Corona-Infizierte bereitgehalten worden sei. Im Gespräch hinter der Bühne kritisiert er die aus seiner Sicht "sehr, sehr perfide Aushöhlung" der Freiheiten und Rechte der Bürger.

Nun könnte man auch die Frage stellen, ob es nicht den Maßnahmen der letzten Wochen zu verdanken ist, dass Deutschland recht glimpflich durch die Pandemie gekommen ist. Aber das ist kein Thema auf der Wiesnbühne. Dafür beschreiben Senioren wie Eltern, unter welchen Folgen viele zu leiden hätten, die Alten etwa, die man nicht mehr besuchen dürfe. Einer bringt es so auf den Punkt: "Mir ist es nicht so wichtig, wie alt ich werde, sondern wie ich alt werde." Leidtragende seien auch die Kinder, die sich mit ihren Eltern durch mangelhafte Hausaufgaben quälen müssten. Dass diese Probleme am Engagement des jeweiligen Lehrers liegen könnten und keine zwingende Folge der Corona-Regeln sein müssten, auch das wird nicht diskutiert.

Demos gegen die Einschränkung von Grundrechten fanden in einigen bayerischen Städten statt, der Andrang blieb begrenzt. In Augsburg kamen 800 Menschen zusammen, auf der größten Nürnberger Demo 400, in Würzburg waren es 150. In München dagegen haben die Organisatoren große Ziele, sie wollen die Obergrenze der Stadt von 1000 Teilnehmern kippen. Weil bisher die Verwaltungsgerichte die Klagen dagegen abgewiesen haben, wollen die Organisatoren vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Unter dem Jubel der Demonstranten ruft Claus-Dieter Meisel: "Ich verspreche euch, wir werden gewinnen!" Mit 10 000 Menschen wolle er bald auf der Wiesn stehen.

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SZ vom 02.06.2020/fema
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