Wirtschaft:München schlittert vom Rekord in die Krise

Die Folgen der Corona-Pandemie sind für die meisten Betriebe in der Stadt verheerend. Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner hofft dennoch auf eine rasche Erholung. Zahlen zur aktuellen wirtschaftlichen Lage.

Von Christian Rost

Daumen hoch oder runter - Clemens Baumgärtner (CSU) wusste zunächst selbst nicht so recht, mit welcher Geste er die Entwicklung in München kommentieren soll. Der Wirtschaftsreferent entschied sich bei der Vorstellung seiner ersten Bilanz der Corona-Krise am Dienstag schließlich für Optimismus: München werde gestärkt aus der Pandemie hervorgehen, sagte er trotzig. Die Wirtschaft werde zum Jahresende wieder wachsen und sich 2021 erholen. Wie sehr Corona dem Standort zugesetzt hat, zeigen diese Zahlen.

Von 100 auf null

2019 brummte München noch. Die Arbeitslosigkeit markierte mit 3,3 Prozent den niedrigsten Stand seit 22 Jahren. Bei der Beschäftigung wurde mit rund 898 000 sozialversicherungspflichtigen Jobs ein neuer Höchstwert erreicht. Sowohl im Dienstleistungssektor wie auch im produzierenden Gewerbe belief sich das Plus bei den Stellen jeweils auf mehr als 2,5 Prozent. Die Kaufkraft je Einwohner stieg auf 33 705 Euro und lag damit 42 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Und die städtischen Finanzen mit einem Haushalt von 7,4 Milliarden Euro und Gewerbesteuereinnahmen von 2,7 Milliarden Euro hielten sich auf Rekordniveau. Dann kamen das Virus und der Lockdown in Bayern. Auch in München lagen vom 20. März an ganze Branchen darnieder, der Handel, die Industrie, der Tourismus und der Kulturbereich. Die Zahl der Arbeitslosen und Kurzarbeiter schnellte nach oben, die kommunalen Finanzen brachen ein.

Produktion eingestellt

Das produzierende Gewerbe trägt ein Viertel zur gesamten wirtschaftlichen Wertschöpfung in München bei. Knapp 16 Prozent der Beschäftigten sind in diesem Sektor tätig, allein 130 000 Menschen in der Automobilindustrie und bei den Zulieferern. Im April kam es zum Angebots- und Nachfrageschock, die Produktionen wurden heruntergefahren oder komplett eingestellt Der Umsatz brach im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 36 Prozent ein. Das reißt ein enormes Loch in die Gewerbesteuerkalkulation der Stadt. Im ersten Quartal 2020 gingen die Einnahmen aus diesem Wirtschaftsbereich um 41 Prozent zurück. Wie viel Geld am Ende des Jahres bei der Gewerbesteuer fehlen wird, dafür gibt es drei Prognosen: Im günstigen Fall beläuft sich das Defizit auf rund 660 Millionen Euro, realistisch ist ein Einnahmeausfall von einer Milliarde Euro und im schlechten Fall 1,2 Milliarden Euro. Unterm Strich bleibe auf jeden Fall "ein gewaltiger Einschnitt", so Baumgärtner.

Kein Gast, kein Geld

Unmittelbar und besonders heftig traf es das Gastgewerbe und die Tourismuswirtschaft. Das Wirtschaftsreferat verweist hier auf die bayerischen Zahlen, die mindestens auch auf München zuträfen: Die Umsätze gingen im April um mehr als 76 Prozent zurück, die Beschäftigung brach um 28 Prozent ein. Hotels und Gaststätten mussten schließen, der Flughafen fuhr seinen Betrieb herunter, Messen und Kongresse wurden abgesagt. Dass die Touristen fehlten, zeigte sich täglich am gähnend leeren Marienplatz während des Glockenspiels. 8,3 Milliarden Euro bringen Touristen jedes Jahr in die Kassen der Stadt, besonders Asiaten und Nordamerikaner gelten als konsumfreudig und werden vermisst. Zumal auch noch die Wiesn ausfällt. Um Reisende aus dem In- und Ausland zu umwerben, eifert München nun den Österreichern nach und hat seine Tourismuskampagnen verstärkt. "Was die Stadt Wien kann, das können wir auch", sagte Baumgärtner mit Blick auf die Nachbarn.

Verlierer und Gewinner

Im Einzelhandel zeitigte die Pandemie völlig gegensätzliche Effekte. Während der Lebensmittelhandel im April brummte und ein Umsatzplus von mehr als 13 Prozent einfuhr, stand beim Geschäft mit Textilien, Bekleidung und Schuhen ein dickes Minus von 80 Prozent. Branchenweit lag der Rückgang bei knapp acht Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist zwar keine eigene Branche im statistischen Sinn, sie trägt in der Summe aber mit 11,8 Milliarden Euro zum Wirtschaftswert der Region München bei. Und ist nun der große Verlierer. Existenzbedrohend ist die Situation in diesem Bereich längst für viele Akteure durch die anhaltenden Beschränkungen. Verbote von Großveranstaltungen und Kürzungen von Marketing- und Kulturbudgets würden "für eine prekäre Situation weit über die nächsten Monate hinaus sorgen", so das Wirtschaftsreferat.

Mehr Arbeitslose

Infolge der Krise blieb die übliche Frühjahrsbelebung am Arbeitsmarkt aus. Die zuvor noch traumhaft niedrige Arbeitslosenquote von 3,3 Prozent stieg im April auf 4,3 und im Mai dann auf 4,8 Prozent. Das war ein Zuwachs von rund 14 500 Arbeitslosen im Agenturbezirk München. In 22 344 Fällen zeigten in den vergangenen drei Monaten Firmen Kurzarbeit bei der Arbeitsagentur an. Wie viele einzelne Beschäftigte davon betroffen sind, steht den Angaben zufolge erst nach der Gesamtabrechnung der Kurzarbeit fest.

Stunden und beraten

Weil die Wirtschaftspolitik von Bund und Land bestimmt wird, bleiben der Stadt laut Baumgärtner kaum Hilfsmöglichkeiten für heimische Betriebe. Dazu gehören die Stundungen von kommunalen Abgaben und Steuern sowie von Mieten und Pachten. Völlig verzichten könne die Stadt nicht auf diese Einnahmen. "Wir dürfen nichts verschenken." Unterstützung kündigte er bei der Digitalisierung und Online-Vermarktung von Kleinunternehmen an. Vom "Sommer in der Stadt" erhofft sich Baumgärtner ein Konjunkturprogramm für Schausteller und Marktkaufleute, die unter der Absage des Oktoberfests leiden. Ein kleiner Trost für Wirte: Bei den erweiterten Freischankflächen könne man sich überlegen, "ob das so bleiben kann".

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