Corona-Krise:"Das soziale Netzwerk in München erhalten"

Corona-Krise: In der Bayernkaserne bekommen Geflüchtete Hilfe und Unterstützung.

In der Bayernkaserne bekommen Geflüchtete Hilfe und Unterstützung.

(Foto: Oliver Bodmer/Innere Mission)

Die Pandemie bringt Beratungsstellen und Verbände an personelle und finanzielle Grenzen. Viele fürchten, dass die Stadt bald sparen muss und wichtige Angebote in Gefahr geraten.

Von Thomas Anlauf

Die Rechnung ist einfach - und sie ist hoch: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie bringen das Sozialsystem zunehmend an die personellen und finanziellen Grenzen. Allein die wieder verschärften Kontakteinschränkungen bedeuten für das Münchner Sozialreferat und die Wohlfahrtsverbände, dass sie deutlich mehr Personal einsetzen, um die nun wieder kleineren Gruppen bei den unterschiedlichsten Betreuungs- und Hilfsangeboten aufrecht erhalten zu können. Daneben droht in den kommenden Monaten, dass wegen der anhaltenden Corona-Krise nicht nur die Arbeitslosigkeit stark steigt. Sozialexperten beobachten, dass viele Menschen ihre Mietschulden nicht mehr begleichen können, auch die psychosozialen Probleme nehmen angesichts der Belastung stark zu. "Wir müssen das soziale Netzwerk in München erhalten und sogar verstärken", sagt Karin Majewski vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Die Geschäftsführerin des Bezirksverbands Oberbayern sieht eine Welle an Herausforderungen auf die sozialen Einrichtungen zurollen. Bereits jetzt gebe es einen regelrechten Ansturm auf die Schuldnerberatungen, psychische Beratungsstellen hätten deutlich mehr Anfragen. Majewski sieht einen erhöhten Bedarf sowohl bei den freien Trägern der Wohlfahrtspflege als auch im Sozialreferat und dort vor allem auch im Jugendamt. Sie befürchtet allerdings, dass angesichts der zunehmend knappen Kasse bei der Stadt in den kommenden Jahren auch im Sozialbereich gespart werden könnte. Zwar hatte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) erst vor wenigen Wochen in einem SZ-Interview betont: "Wir haben den Verbänden für 2020 signalisiert, dass alles so bleibt, wie es ist." Die Stadt wolle "möglichst wenige Abstriche haben, was soziale Dienstleistungen betrifft", so Bürgermeisterin Dietl. Doch die Zusage gilt bislang nur für dieses Jahr.

Deshalb sind die Befürchtungen bei den sozialen Trägern groß, dass es im kommenden Jahr zu einer Deckelung der Zuschussmittel kommen könnte, auch wenn es im Koalitionsvertrag zwischen Grünen und SPD heißt, dass soziale Leistungen unangetastet bleiben. Doch gleichbleibende Zuwendungen im kommenden Jahr wie 2020 würden nach Ansicht von Andrea Betz "zu einer versteckten Leistungskürzung im Sozialen" führen. Schließlich steige die Zahl der Aufgaben in der Corona-Krise, zudem müssten die Gehaltssteigerungen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Sozialbereich bezahlt werden. Diese müssen dann in den meisten Fällen durch Kürzungen bei den sozialen Angeboten kompensiert werden, sagt die Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (Arge) in München.

Auch Marion Ivakko, stellvertretende Geschäftsführerin beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) in München, sieht die Entwicklung mit Sorge. "Die Beratungsstellen für Schuldner, für Senioren und bei der Migration werden zunehmend gefragt", sagt Ivakko. Aktuell zeichne sich ab, dass es bald mehr Privatinsolvenzen geben werde. Bei all den anstehenden Herausforderungen sei es deshalb "umso wichtiger, dass die Menschen weiterhin aufgefangen werden". Noch gebe es in München "ein wunderbares Netzwerk", die Stadt sei im Sozialbereich geradezu "ein Vorzeigemodell für Deutschland und darüber hinaus", sagt die BRK-Geschäftsführerin.

Die bisherigen Zusagen der Stadt, nicht bei den sozialen Dienstleistungen zu kürzen, sehen alle Verantwortlichen mit Erleichterung. Allerdings stellen sich viele die Frage, wie lange hält die Finanzierung noch angesichts steigender Kosten? "Wir sehen einen enormen Anstieg an Bedarfen in den verschiedenen Gruppen", sagt etwa Olga Albrandt, die bei der Israelitischen Kultusgemeinde die Sozialabteilung leitet. Gerade im Lockdown seien die Mitarbeiter der Beratungsstellen und Hilfseinrichtungen "die einzigen Ansprechpartner". Und die Verunsicherung unter vielen Menschen nehme zu. Da ist etwa die alleinerziehende Mutter, die bislang gut über die Runden kam, doch dann musste sie in Kurzarbeit gehen, die finanziellen Reserven sind aufgebraucht. "Da entsteht ein Gefühl der Hilflosigkeit", sagt Albrandt.

Gerade kleine soziale Beratungsstellen müssten ihr Angebot zurückfahren, sollte es im kommenden Jahr keinen finanziellen Ausgleich für die personellen Mehrkosten geben. Daneben setzen die Hilfsorganisationen ohnehin stark auf die Mitarbeit von ehrenamtlichen Helfern. Während der ersten Corona-Welle halfen Freiwillige Tausende Stunden bei den Essensausgaben, die plötzlich überall in der Stadt gebraucht wurden. "Ohne die Ehrenamtlichen hätten wir sehr große Probleme", sagt Alexandra Myshok, die bei der Caritas Sozialraumkoordinatorin ist.

Die Vertreter der Sozialverbände sehen neben der Stadt vor allem auch die Regierung in der Pflicht, zu helfen. "Natürlich braucht es auch Finanzspritzen von Bund und Land, um die soziale Infrastruktur 2021 in den Kommunen zu sichern", sagt Arge-Sprecherin Betz. Die SPD/Volt-Fraktion im Münchner Stadtrat forderte erst vor wenigen Tagen vom Freistaat massive Finanzhilfen, auch, um das soziale Netz weiter aufrecht erhalten zu können.

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