Süddeutsche Zeitung

Bus und Bahn:Die Pandemie ist für den MVV ein finanzielles Desaster

Dem erfolgsverwöhnten Münchner Tarif- und Verkehrsverbund fehlen 150 Millionen Euro Einnahmen - alleine aus den Monaten April bis Juni.

Von Andreas Schubert

Bisher lief das immer so: Der Münchner Tarif- und Verkehrsverbund (MVV) lädt Medienvertreter auf ein Schiff der Bayerischen Seenschifffahrt ein, die dem Großstadtjournalisten als öffentliches Verkehrsmittel eher weniger präsent ist. Und während das Schiff über den Starnberger- oder den Ammersee tuckert, gibt der MVV-Chef, seit bald zwei Jahren ist das Bernd Rosenbusch, einen Überblick über die Entwicklungen im großen Verkehrsverbund - und wie es weitergehen sollte und könnte. Und in den vergangenen Jahren bedeutete dies stets: Immer mehr Fahrgäste fahren "öffentlich", was natürlich, so die Argumentation, einen Ausbau des Angebots erfordere. Auch für 2019 hat der MVV wieder ein Rekordjahr zu vermelden, allerdings kam die Statistik als schnöde E-Mail in den Redaktionen an. Wegen der Corona-Pandemie fiel die Schifffahrt aus.

Die Zahlen für das laufende Jahr werden deutlich - oder eher schmerzlich - geringer ausfallen, so viel kann man jetzt schon sagen. Aber zunächst zu den Erkenntnissen aus dem vergangenen Jahr, als es noch keine Pandemie gab: Die sogenannten Personenkilometer in Bussen und Bahnen sind 2019 im Vergleich zum Vorjahr von 7,3 Millionen auf 7,5 Millionen gestiegen. Personenkilometer sind das Produkt aus der Menge der Passagiere und der von ihnen zurückgelegten Kilometer. Die Zahl der Fahrgäste stieg binnen eines Jahres von 722 Millionen auf knapp 737 Millionen. Jeder Einwohner des Großraums München nutzte rechnerisch 249 Mal ein öffentliches Verkehrsmittel.

Das überrascht angesichts der steigenden Bevölkerungszahlen nicht - im MVV-Gebiet leben inzwischen fast drei Millionen Menschen. Und die nutzen das zunehmende Angebot aus: Die S-Bahnen fuhren 20,7 Millionen Kilometer, was der Zahl des Vorjahres entspricht. Die U-Bahnen fuhren zwölf Millionen Kilometer, 240 000 mehr als 2018. Die Trambahnen legten knapp 8,87 Millionen Kilometer zurück, 331 000 mehr als 2018. Auf die im Stadtgebiet fahrenden Busse entfällt die größte Steigerung: Sie legten 37,36 Millionen Kilometer zurück (2,14 Millionen Kilometer mehr als 2018 und 4,9 Millionen mehr als 2016. Die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) setzte die Entwicklung, das Busangebot stetig auszubauen, damit fort.

Und auch die Regionalbusse im Umland sind deutlich weiter unterwegs. Waren es im Jahr davor noch 42,7 Millionen Kilometer, so fuhren sie 2019 bereits 44,9 Millionen. Vor vier Jahren waren es noch 37 Millionen gewesen.

Die Zuwächse hängen auch mit der steigenden Zahl der Pendler zusammen, die sowohl von den umliegenden Landkreisen nach München zur Arbeit fahren als auch umgekehrt. Die Zahl der Einpendler überwiegt nach wie vor. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Zahl der Auspendler aus der Stadt in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist. In den Landkreis München etwa pendelten vergangenes Jahr mehr als 84 000 Menschen täglich, das ist ein Zuwachs von 42 Prozent im Vergleich zu 2009. Hier haben sich die Pendlerströme sogar umgekehrt. In allen anderen Landkreisen überwiegt die Zahl der Pendler, die zur Arbeit oder zur Ausbildung nach München fahren. Die gibt es im Landkreis München natürlich auch, gut 67 000 Pendler in die Landeshauptstadt registriert die Statistik, ein Plus von 27 Prozent - eine erheblich kleinere Zahl als die 84 000, die umgekehrt hinaus in den Landkreis fahren. Prozentual gesehen hat übrigens der Landkreis Erding den größten Zuwachs. Dorthin pendelten rund 3500 Menschen pro Tag, was gegenüber dem Vorjahr einem Plus von 167 Prozent entspricht.

Maskenpflicht hin oder her: In diesem Jahr dürften, bedingt durch die Virus-Pandemie und die Furcht vor einer möglichen Ansteckung in öffentlichen Verkehrsmitteln deutlich mehr Pendler aufs Auto setzen - wenn sie nicht gleich ganz im Homeoffice bleiben. Die Corona-Krise hat sich jedenfalls eklatant negativ auf die Fahrgastzahlen und somit auch auf die Einnahmen im MVV ausgewirkt. Wann die Zahlen wieder das alte Niveau oder gar ein neues Rekordniveau erreichen werden, ist dabei offen. Im gesamten MVV-Gebiet gingen die Fahrgastzahlen während der Pandemie um bis zu 95 Prozent zurück. Dieser Rückgang variierte etwas - je nach Intensität der Corona-bedingten Beschränkungen und auch je Verkehrsmittel, wie MVV-Sprecherin Franziska Hartmann erklärt. Aktuell stiegen die Fahrgastzahlen wieder, hätten aber noch nicht das Vor-Corona-Niveau erreicht. Man liege bei rund 60 bis 70 Prozent. "Wir gehen davon aus, dass die vollständige Erholung der Fahrgastzahlen - und auch der Einnahmen - noch etwas dauern wird", so Hartmann. "Prognosen wie lange genau, können wir nicht geben."

Finanziell ist Corona für die Verkehrsbetriebe im MVV ein Desaster. In den Monaten April bis Juni gingen die Einnahmen zwischen 40 und 60 Prozent zurück. Im MVV fehlen alleine in diesen drei Monaten rund 150 Millionen Euro an Fahrgeldeinnahmen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5007563
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.08.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.