Corona-Verfahren im Gericht:"Die arbeiteten praktisch Tag und Nacht"

Lesezeit: 2 min

Die Präsidentin des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, Andrea Breit. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Drei Richter, hunderte Fälle: Die Präsidentin des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs erzählt, wie sehr die Pandemie sie und ihre Beschäftigten belastet hat. Zu spät wurde der Senat personell aufgestockt.

Von Stephan Handel

"Es gleicht einem Wunder", sagt Andrea Breit, "dass der Gerichtsbetrieb im vergangenen Jahr fast uneingeschränkt weiterlaufen konnte." Breit ist die Präsidentin des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH); am Mittwoch gab sie bei einem Pressegespräch erstmals Auskunft darüber, wie sehr die Pandemie Richter und andere Beschäftigte der Verwaltungsgerichte beschäftigt und belastet hat.

Dass viele Verfahren im Zusammenhang mit Corona gleich beim VGH landeten, liegt daran, dass sich viele Bürger gegen die Infektionsschutz-Verordnungen der Staatsregierung wandten - und dafür, für sogenannte Normenkontrollverfahren, ist erstinstanzlich Bayerns oberstes Verwaltungsgericht zuständig. Seit dem ersten Lockdown im März des vergangenen Jahres wurden beim VGH rund 1140 "Corona-Verfahren" eröffnet. 900 davon sind bereits erledigt. Fatal: Für fast alle war ein einziger Senat zuständig, bestehend zunächst aus drei Richtern. "Die arbeiteten praktisch Tag und Nacht", sagt Andrea Breit. Erst später wurde der Senat personell aufgestockt und schließlich ein weiterer Senat gegründet.

Justiz-Projekt
:Münchens jüngste Richter

In Fällen von Diebstahl, Schwarzfahren oder auch Bedrohung urteilt der "Munich Teen Court" über jugendliche Straftäter. Die Höchststrafe dürfte für viele hart sein.

Von Joachim Mölter

Bei mehr als der Hälfte der 1140 Fälle, 650 nämlich, handelte es sich um Normenkontroll-Eilanträge. Die sollen zum einen - wie schon der Name sagt - beschleunigt bearbeitet werden. Zum anderen stellte sich ein weiteres Problem: Die Verordnungen "waren ja gelegentlich etwas kurzatmig in ihrer Laufzeit und galten nur für zwei Wochen", sagt Breit. Der Ehrgeiz war, alle Eilverfahren zeitgerecht zu entscheiden und nicht zu warten, bis eine Entscheidung überflüssig geworden war, weil die entsprechende Verordnung auslief.

Die Rechtsgebiete, mit denen die Richter sich zu befassen hatten, waren zudem einigermaßen vielschichtig: Es ging ums Versammlungsrecht, um die verschiedenen Formen von Entschädigungen und Hilfen, also um Subventionsrecht, um Schulrecht oder um die Impfpriorisierung. "Gerade beim Versammlungsrecht muss es ja oft schnell gehen", sagt Breit. "Da kommt ein Antrag am Freitag herein, und die Veranstaltung ist am Samstag. Das bedeutet dann schon mal eine Nachtschicht für die Richter."

Newsletter abonnieren
:München heute

Neues aus München, Freizeit-Tipps und alles, was die Stadt bewegt im kostenlosen Newsletter - von Sonntag bis Freitag. Kostenlos anmelden.

Der Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit, staatliches Handeln zu kontrollieren, scheint sie dabei weitgehend nachgekommen zu sein: So wurde das nächtliche Ausgangsverbot zwar für rechtens erklärt, das Beherbergungsverbot für Gäste aus inländischen Risikogebieten jedoch aufgehoben - ein Automatismus, bei dem eine Inzidenz von mehr als 50 zu einem Beherbergungsverbot führe, sei nicht verhältnismäßig.

Neben Corona war das Asylrecht - wie schon seit mehreren Jahren - ein Schwerpunkt in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Allein 2017 sind auf diesem Gebiet bayernweit 56 000 neue Verfahren eröffnet worden. 2018 kamen rund 23 500 dazu, 2019 waren es 20 500, im Jahr 2020 schließlich 13 500 Neuverfahren. Für Ende des Jahres 2021 rechnet Andrea Breit damit, dass noch 16 000 Verfahren unerledigt sein werden. Allerdings traut sie sich keine Prognose zu, wie sich die Zahlen nach dem Ende der Pandemie entwickeln werden.

Aus den demnächst zur Verhandlung anstehenden Verfahren hob die VGH-Präsidentin zwei besonders hervor: Am 22. Juli wird wieder einmal in Sachen "Uhrmacherhäusl" in Giesing verhandelt, das im Jahr 2017 illegal abgerissen wurde, obwohl es unter Denkmalschutz stand. Die Stadt München wollte den Besitzer danach zum Wiederaufbau verpflichten, der klagte dagegen und gewann in der ersten Instanz am Verwaltungsgericht. Dagegen wendet sich die Stadt nun mit der Berufung. Und am 28. Juli klagt der Münchner Flüchtlingsrat gegen die Regierung von Oberbayern: Die verweigert dem Flüchtlingsrat mit seinem Infobus für Flüchtlinge den Zugang zu Erstaufnahme- und Ankerzentren. Vor dem Verwaltungsgericht gewann die Bezirksregierung, nun versucht der Flüchtlingsrat in der Berufung, die Sache noch zu drehen.

© SZ vom 09.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusPandemie und Justiz
:Maske auf, Maske ab

Die Münchner Richter wenden die Corona-Regeln in ihren Prozessen unterschiedlich streng an. Das hat rechtliche Gründe, führt aber immer wieder zu Irritationen.

Von Susi Wimmer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: