Süddeutsche Zeitung

Sportvereine in Not:Gerangel um die Regeln

Wegen der Corona-Pandemie mussten hunderttausende Münchner monatelang mit dem Sport pausieren. Mittlerweile ist dieser wieder erlaubt - unter strikten Vorgaben, die viele Vereine für überzogen halten.

Von Ekaterina Kel und Heiner Effern

"Nimm' deinen Judoanzug und bastle daraus eine Wurfpuppe!" Eine Anweisung, die Andreas Burkert, Trainer und Vorstand vom Münchner Judo Club im Glockenbachviertel, den Kindern, die sonst bei ihm trainieren, in den vergangenen Wochen immer wieder gegeben hat. Per Videochat. Es blieb ihm nichts anderes übrig, erzählt er. Kontaktsportarten waren wegen der hohen Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus lange verboten. Und damit auch das Raufen und Rangeln, das gerade beim Judo für die Kinder so wichtig ist.

Der Kontakt, sowohl körperlich beim Sport als auch sozial im Umgang miteinander, ist für gut 700 000 Münchner Vereinsmitglieder wegen Corona monatelang nicht möglich gewesen. Seit einigen Wochen werden nach und nach immer mehr Aktivitäten wieder erlaubt. Vergangene Woche kam auch grünes Licht vom bayerischen Sportministerium für Kontaktsportarten, "sofern in festen Trainingsgruppen trainiert wird", so die Vorgabe.

Für die Kinder vom Judo Club sind die Regeln aber streng. Zwar dürfen auch sie wieder in die Halle, die Teilnehmerzahl ist aber auf fünf Personen begrenzt. Burkert und seine Mittrainer haben drei Matten aufgebaut, auf denen die Kinder endlich wieder üben dürfen. "Man hat sofort das Leuchten in den Augen gesehen", sagt Burkert. Das Toben sei für die Kinder ein besonderes Bedürfnis. Für die Gemeinschaft sei es enorm wichtig, sich jetzt wieder am gewohnten Ort zu treffen.

Der Club darf also wieder die Turnhalle der Klenzeschule nutzen. Allerdings: Betreten werden darf diese ausschließlich mit Mund-Nase-Maske. Trainiert werden darf maximal eine Stunde lang. In einer Einfachhalle dürfen sich gleichzeitig lediglich zehn Kinder befinden, Eltern müssen draußen bleiben. Die Kontaktdaten aller Teilnehmer werden dokumentiert. Nach jeder Einheit wird gereinigt, desinfiziert und gelüftet. Die Kinder meldeten sich mittlerweile freiwillig, um Türklinken, Geräte und Matten zu wischen, erzählt Burkert.

Doch nicht überall herrscht solch ein Einverständnis mit den Hygiene-Auflagen des Referats für Bildung und Sport (RBS). Diese seien "nicht hinnehmbar" und "unrealistisch", heißt es in einem offenen Brief an die Stadträte und Oberbürgermeister Dieter Reiter. Geschrieben haben den Brief Norbert Kreitl und Kurt Damaschke, Ehrenvorsitzender und erster Vorsitzender des Breitensportvereins SVN München. Der SVN ist, wie etwa 400 andere Münchner Vereine, darauf angewiesen, Sporthallen und Freiflächen von städtischen Schulen anzumieten. Vielen dieser Vereine gefällt das Hygienekonzept des Referats für Bildung und Sport überhaupt nicht.

Die Reinigung und Desinfektion, die Dokumentation der Teilnehmer, das ständige Lüften - all das seien zusätzliche Aufgaben und noch mehr Verantwortung. Hängen bleibe all dies an den Übungsleitern, die sich meistens ehrenamtlich engagierten oder denen man für die kleineren Gruppen nun höhere Aufwandsentschädigungen zahlen müsse. Hinzu kämen die Ausgaben für Reinigungsmittel. "Der finanzielle Aufwand dafür ist nicht vertretbar", heißt es in dem Schreiben des SVN. Man habe den Verdacht, die Auflagen seien eine "Alibi-Entscheidung", um die Schulanlagen weiterhin nicht öffnen zu müssen.

Nicht nur der SVN äußert Unmut. "Mich erreichen viele verzweifelte Briefe und Mails von Vereinen, die mit den Auflagen für die Lockerungen nicht zurechtkommen", erzählt Herman Brem, Kreisvorsitzender des Bayerischen Landessportverbands (BLSV) für München und Stadtrat für die Grünen. Was verlangt werde, sei für die Vereine "gar nicht leistbar" und bringe sie "reihenweise zur Verzweiflung". Viele von ihnen erwarten ohnehin Mitgliederverluste. Auch Brem befürchtet, die Schulen wollten ihre Anlagen nicht wirklich öffnen.

Sportbürgermeisterin Verena Dietl (SPD) weist dies zurück. Die Stadt setze lediglich die Vorgaben des Freistaats um. Dietl appelliert an die "Eigenverantwortung" der Vereine, die in dieser schwierigen Situation nötig sei. Die Beschwerden seien teilweise übertrieben. Kontaktflächen müssten zum Beispiel nur gereinigt, nicht aber desinfiziert werden. Natürlich sehe sie, dass nicht jeder Verein wie gewohnt seine Halle nützen könne. In dieser Ausnahmesituation sei es aber wichtig, sich gemeinsam Gedanken zu machen, wie man möglichst vielen Menschen wieder Sport anbieten könne. Eine große Gefahr, dass viele Vereinsmitglieder wegen der Folgen von Corona kündigten, sieht Dietl nicht. Dazu fehlten die Alternativen.

Gegen den Vorwurf, die Auflagen seien lediglich "ein Alibi", verwehrt sich das RBS. Die Konzepte zu erstellen, sei "enorm arbeitsaufwendig" gewesen. Und sie hätten lediglich ein Ziel: Den Sport möglichst schnell wieder zu ermöglichen. Der finanzielle und personelle Aufwand für die Sportvereine dafür sei "überschaubar".

Der Münchner BLSV-Chef Brem kündigt trotzdem an, mit dem RBS sprechen zu wollen. Denn auch mit Blick auf den Herbst seien noch Fragen offen. Wenn der Schulbetrieb nach den Ferien komplett wieder aufgenommen werden soll, wird der Platz noch knapper, denn es müssten womöglich noch mehr Klassen in Sporthallen ausweichen, um während des Unterrichts Abstand zu gewährleisten. Schon jetzt stehen laut RBS etwa 30 Prozent der Hallen nicht zur Verfügung.

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SZ vom 14.07.2020/kafe
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