Lockerung für die Gastronomie:Die neue Münchner Freiheit

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Auch nach 22 Uhr noch weggehen: ein ganz neues Gefühl für die Besucher der Alten Utting. (Foto: Leonhard Simon)

Lokale dürfen nun auch nach 22 Uhr offen bleiben. Ein Streifzug durch das nächtliche München, wo wieder mehr Zeit für Flaschenbier und Fünf-Gänge-Menüs ist.

Von Tom Soyer

Münchens Nachtleben ist wieder da. Oder sagen wir: Es funktioniert wieder viel entspannter, weil nicht um 22 Uhr die Lichter ausgehen, wie noch bis Mitte vergangener Woche. Zwar gilt in der Gastronomie weiter 2G und eine Maskenpflicht, sobald man vom Platz aufsteht, und reine Schankwirtschaften sind noch immer geschlossen. Aber für die Lokale, die öffnen dürfen, ist die Corona-Sperrzeitregel aufgehoben, und München hat das gleich am ersten Wochenende so richtig genossen. Ob zwischen Himmel und Erde in einem alten Dampfschiff, ob im Gourmet-Restaurant oder im irischen Pub, ob Gäste oder Gastgeber - alle feiern die neue Freiheit. Ein kleiner Streifzug durchs gastronomische Nachtleben am Freitag- und Samstagabend.

Tätowierer Harry Beck sitzt in der Alten Utting gleich neben der Theke im Schiffsinneren auf einer Bank, lässt sich den Rücken von einem Heizkörper wärmen und krault seinen Hund Franzi. "Alles allgemein entspannter, man muss kein Pressbier mehr trinken", wenn die Sperrzeit naht, scherzt er. Am Tisch daneben knutscht ein älteres Paar immer leidenschaftlicher, es ist Freitagabend, 23 Uhr. Und hinter der Theke kommen die zwei jungen Frauen kaum mehr nach, Flaschenbier in die Kühlschubladen zu füllen. Macht aber nichts, bei Minusgraden kommt der Nachschub eh gut gekühlt von draußen.

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Edo Abitor, Harrys Kumpel und Gesprächspartner, freut sich für die Gastronomen. Er kennt welche und fühlt mit ihnen. Es sei nicht so lustig gewesen, um 21.45 Uhr immer schon alle Gäste rauszuwerfen, weil draußen die Polizei lauere. 5000 Euro Bußgeld brauche man in Corona-Zeiten nicht auch noch. Aber das sei ja nun vorbei, und für die Bedienungen bedeute die Normalisierung auch wieder "mehr Trinkgeld", hofft Abitor.

Die Lehrlinge erfahren zum ersten Mal, was es heißt, bis ein Uhr nachts zu arbeiten

"Hi, one Helles", bestellt das junge, internationale Publikum drinnen in der Alten Utting, Essen von der "afrikanischen Zauberküche" holt es sich draußen bei Sarjo Darboe am Essensstand: selbstgemachte vegane Kürbisfalafel, frittierte Gemüserollen, süße afrikanische Krapfen und Kochbananen-Dessert. Darboe strahlt, die Normalisierung gibt ihr Hoffnung nach der harten Corona-Zeit. Läuft wieder. Sie frittiert heute länger als vorgesehen.

In Sarjo Darboes "afrikanischen Zauberküche" auf der Alten Utting gibt es vegane Kürbisfalafel, frittierte Gemüserollen und süße afrikanische Krapfen. (Foto: Leonhard Simon)

Dass er seine Gäste nun nicht mehr viel zu früh hinauskomplimentieren muss, gefällt auch Jürgen Grap, dem Betriebsleiter des Restaurants "Roecklplatz" am Roecklplatz. Kurz vor Mitternacht sitzen immer noch Gästegrüppchen im Lokal. "In der Pandemie war alles gedrängter", späte Bestellungen waren eine Herausforderung fürs Küchentiming. "Jetzt entzerrt es sich, das ist sinnvoller." Zudem bringt es dem Betrieb mit seinem besonderen Ausbildungskonzept für zehn junge Menschen - fünf in der Küche, fünf im Service - auch neue Erfahrungen: "Das ist schon eine Umstellung für die Lehrlinge, die alle nur das reduzierte Gastro-Leben der Corona-Zeit kennen." Durchhalten bis ein Uhr nachts kann das bedeuten.

Also länger, als im Fugazi am Baldeplatz Betrieb ist. Bald nach Mitternacht zählt ein Mitarbeiter da schon das Geld. Nach 22 Uhr sei es bei ihnen auch jetzt noch ruhiger. In den Chor der Lobpreisung für den Wegfall der Sperrzeitregelung stimmen sie im Fugazi daher etwas zurückhaltend ein. "Macht genauso viel Spaß wie davor", ruft einer, der gerade die Theke putzt. Folgt man der Isar weiter stadteinwärts, landet man bei Sascha, der tatsächlich überhaupt keinen Unterschied feststellen kann. Aber das liegt daran, dass er im Kiosk an der Reichenbachbrücke arbeitet und gerade Leute bedient, die "wir brauchen Gin und Tonic!" rufen. "Wir hatten immer offen bis fünf Uhr früh", sagt er und lacht. Vor der Bude immer eine Schlange, und in der Nähe auch um halb eins sehr viel munteres Volk.

Wann sie auch gekommen waren: Bis 22 Uhr mussten Gäste ihre fünf Gänge gegessen haben

Womit wir bei denen angelangt wären, für die es wohl den größten Unterschied macht, dass nun auch nach 22 Uhr noch diniert werden darf: bei Jenny Antipina und dem Atelier Gourmet in der Rablstraße in Haidhausen, wo sich Feinschmeckerinnen und -schmecker für das französische Fünf- oder Sechs-Gänge-Menü Zeit lassen wollen. Ja, das sei in der Tat eine stressige Herausforderung für Chefkoch Philippe Bousquet und das Servicepersonal gewesen. Das Lokal öffnet um 18 Uhr, die Menüs seien für den maximal vierstündigen Aufenthalt angepasst worden, und nicht jeder sei ja um 18 Uhr schon da.

"Was um 19 Uhr versprochen wird, muss auch bis 22 Uhr erfüllt sein, für schnelle und langsame Esser und Trinker, mit oder ohne Extrawünsche", sagt Antipina. "Für uns war das mit viel Adrenalin verbunden." Sie freut sich, dass nun wieder Zeit bleibt, um mit den Gästen zu reden. Alles entspannter. Crudo von Jakobsmuscheln, gebratener Skreirücken und karamellisierter Chicorée wollen in Ruhe genossen werden.

Roman Placek vom Haidhauser Augustiner will vor Freude nach der Arbeit noch eine Runde feiern gehen. (Foto: Leonhard Simon)

Auf Roman Placeks T-Shirt-Ärmel steht "Hawedehre", und er hat jetzt die Ehre, statt fünfeinhalb wieder acht Stunden zu arbeiten im Haidhauser Augustiner am Bordeauxplatz. Keine Ironie, er freut sich wirklich drüber und ist zufrieden. Auch ihm gibt die aufgehobene Sperrzeit eine gute Perspektive. "Ich hoffe, das hält jetzt fürs ganze Jahr - mit Weihnachtsfeiern und allem, denn das fiel zwei Jahre lang aus!" Messebesucher und Touristen fehlten zwar noch, aber auch mit dem Stammpublikum brummt der Laden. 22.45 Uhr ist es jetzt, und Placek ist so glücklich, dass er wahrscheinlich nach der Arbeit noch ins Johanniscafé geht. Neue Freiheit feiern.

"Klar ist's mehr Arbeit, aber es ist auch mehr Spaß für mich", sagt Tooks Choice in der Bar Molly Malones. (Foto: Leonhard Simon)

Genauso sieht das Tooks Choice, der im grünen Trikot der irischen Rugbynationalmannschaft im Molly Malone's in der Kellerstraße ein Guinness nach dem anderen zapft. Auf den großen TV-Schirmen läuft ein Rugbymatch, im Lokal geht es gechillt zu. Zwei Irinnen spielen an einem Tisch "Shithead" (,Scheißkerl'), ein Kartenspiel, bei dem man möglichst keinen Stich macht. Wer am Ende alle Karten hat, ist der "Shithead".

Die eine Irin lebt seit drei Jahren in München, die andere ist gerade zu Besuch, und beide sind froh, dass sie auch nach 22 Uhr noch hier zocken dürfen. "Eine normalere Situation, auch mental viel gesünder", sagt die Wahlmünchnerin mit rötlichen Haaren, "und für Covid macht es doch eh keinen Unterschied, ob um ich 22 Uhr oder um Mitternacht heimgehe". Tooks Choice zapft weiter Guinness und Cidre, seine Gedanken gehen in dieselbe Richtung. "Klar ist's mehr Arbeit, aber es ist auch mehr Spaß für mich", sagt er, "und ein bisschen mehr Normalität, das sieht man in den Gesichtern der Leute; die sind happy!" Sogar, wenn sie gerade zum "Scheißkerl" werden.

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