Süddeutsche Zeitung

Sommerferien:Wohin geht die Reise?

Kann man in diesem Corona-Sommer einfach die Koffer packen - oder bleibt man sicherheitshalber daheim? Diese Frage stellen sich derzeit viele Münchner. Die SZ hat zehn Politiker, Mediziner und Kulturschaffende gefragt, wie sie es heuer mit dem Urlaub halten.

Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie an der Technischen Universität: "Schon der Skiurlaub im März ist bei mir wegen des Virus komplett ins Wasser gefallen. Die Sommerpläne stehen aber fest: Wir mieten viele Jahre schon ein Haus am Gardasee. Und meines Erachtens steht dem nichts im Wege. Man ist komplett unabhängig, kann sich zurückziehen, und zur Not ist man auch schnell wieder zu Hause. Das beste Mittel gegen Angst vor dem Virus ist aus meiner Sicht der Blick auf die Zahlen. Wer sich fragt, wie hoch das Risiko ist, kann es sich ausrechnen. In München haben wir im Moment eine Sieben-Tage-Inzidenz von etwa fünf. Das bedeutet, dass es extrem unwahrscheinlich ist, einem Infizierten zu begegnen, das Risiko ist eins zu 20 000. Es hängt aber auch von der persönlichen Situation ab. Wenn man ein erhöhtes Risiko hat, sollte man sich über die medizinische Versorgung vor Ort informieren. Und Maske und Desinfektionsmittel sollten auf jeden Fall ins Reisegepäck."

Dieter Reiter, Oberbürgermeister: "Meine Frau und ich werden sicher ein paar Tage wegfahren, aber nicht sehr weit. Unseren Sommerurlaub haben wir in den vergangenen Jahren meistens an der Nordsee verbracht. Dieses Jahr bleiben wir in Bayern und fahren vielleicht für ein paar Tage nach Wien. Corona spielte bei unseren Überlegungen keine große Rolle. Eine Fernreise stand sowieso nicht zur Diskussion, insofern musste nichts umgebucht oder abgesagt werden. Wir freuen uns einfach auf ein paar entspannte Tage in der Natur und in Wien. Ich denke, wenn wir uns, so wie hier auch, an die wichtigsten Corona-Regeln halten, dann gehen wir auch kein erhöhtes Risiko ein."

Katrin Habenschaden, Zweite Bürgermeisterin: "Wir mussten wegen Corona unsere Urlaubspläne ändern. Ursprünglich hatten wir die Idee, mit dem Nachtzug nach Lissabon zu fahren und dann weiter durch Portugal zu reisen. Das war schon gebucht, doch nun ist die Grenze zwischen Spanien und Portugal zu. Deswegen fahren wir mit dem Zug in die Bretagne. Wir müssen die ganzen elf Stunden die Maske tragen, das wird spannend, wie das funktioniert. Auf den viel kürzeren Bahnfahrten in die Berge hier haben wir es schon mal versucht. Da ging es gut. Kurz haben wir überlegt, ob wir auch im Urlaub einfach in die Berge fahren sollen. Aber wir wollten alle wieder mal rauskommen, ein anderes Land sehen, andere Menschen. Und ich habe solche Sehnsucht nach dem Meer. Mit der Bretagne haben wir da einen guten Kompromiss gefunden, da müssen wir nicht an überlaufene Strände. Wir werden bestimmt eine lange Küstenwanderung machen, da lassen sich Abstände gut einhalten."

Florian Vorderwülbecke, Hausarzt und ehemaliger Corona-Versorgungsarzt: "Wir fahren traditionell seit vielen Jahren in eine Ferienwohnung in der Toskana. Und wir fahren da auch diesen Sommer hin, meine Frau und ich. Unsere Kinder machen ihren Urlaub mittlerweile unabhängig. Wir sind da an einem wilden Strand und ziehen uns ohnehin lieber etwas zurück, ein großes Ansteckungsrisiko haben wir dadurch nicht. Angst vor dem Virus habe ich keine, aber Respekt ist schon sinnvoll. Man sollte sich überlegen, ob man dort, wo man hinfährt, auch leicht wieder weg kann, wie das Infektionsgeschehen in dem Land ist, und ob man selbst Vorerkrankungen hat und wie groß das Risiko ist, dass man eventuell auf die Intensivstation muss, falls man erkrankt. Es kann auch dem Sicherheitsgefühl dienen, zu wissen, wie die Krankenversorgung vor Ort ist. Ich weiß zum Beispiel schon länger, wo vom Ferienhaus aus das nächste Krankenhaus ist. Das ist wohl eine Berufskrankheit."

Noah Saavedra, Schauspieler am Residenztheater: "Ich besuche eine befreundete Schauspielerin am Lago Maggiore, für eine Woche. Sie wohnt da in einem sehr alten Haus, kein Ort, wo man Gefahr läuft, auf andere Touristen zu treffen. Bedenken, dass Italien gefährlicher sein könnte als Deutschland, habe ich nicht. Nur was die Landesgrenzen und die Rückreise angeht, muss ich mich noch genauer informieren. Auch sonst bin ich jemand, der spät entscheidet - mit Drehs kann man wenig planen. Eigentlich wollte ich einen Freund in Mexiko besuchen. Fliegen würde ich derzeit aber ungern. Während der Corona-Beschränkungen war ich relativ brav, habe von zu Hause aus gearbeitet und diese Langeweile als Inspiration genommen. Jetzt freue ich mich auf die Natur und auf meine Freunde in Italien. Sie haben ein Kind bekommen, einen ganz wunderbaren kleinen Menschen." CORA

Aglaia Szyszkowitz, Schauspielerin: "Momentan ist bei mir an Urlaub nicht zu denken, ich arbeite an mehreren Filmen gleichzeitig. Durch die Corona-Krise hat sich einiges aufgestaut, unterbrochene Projekte müssen zu Ende gebracht werden, verschobene Filme werden nun gedreht. Aber ich hatte jetzt drei Monate frei, bin ausgeruht und dankbar, dass ich wieder arbeiten darf. Bei vielen Kollegen, beispielsweise am Theater, sieht das ja noch anders aus. Zudem drehe ich in Graz und am Schliersee, zwei wunderschönen Orten: Was will man mehr? Und wenn alles gut läuft, mache ich im September Urlaub auf Naxos, dort sind wir jeden Sommer. Fliegen finde ich allerdings noch grenzwertig: Während in Kinos oder Theatern genaue Abstandsregeln gelten, sind in Flugzeugen schon wieder alle Plätze belegt."

Günter Fröschl, LMU-Tropenmediziner: "Das Coronavirus hat meine Urlaubspläne zwar ein bisschen durcheinandergebracht, aber ich fahre diesen Sommer auf jeden Fall in den Urlaub. Die Liste der Risikoländer vom Robert-Koch-Institut sollte man beherzigen. Deshalb habe ich mich entschieden, nicht zu meiner Familie in die Türkei zu reisen, was eigentlich geplant war. Stattdessen hatte ich mir eine Reise mit dem Auto nach Albanien vorgenommen. Ich wollte dort Freunde besuchen. Aber dieses Land ist nun auch auf der RKI-Liste. Selbst wenn ich das Ansteckungsrisiko für mich individuell als sehr gering einschätze - ich fahre im eigenen Auto, aufs Land, vermeide Menschenmengen - würde das bedeuten, nach der Rückkehr 14 Tage in Quarantäne zu gehen, auch für meinen Sohn, der dann zwei Wochen nicht in die Kita kann. Ich freue mich deshalb schon auf die Camper-Reise mit meiner Lebensgefährtin durch Italien. Das hatten wir auch schon vor Corona anvisiert."

Stephanie Jacobs, Gesundheitsreferentin: "Seit Beginn des Jahres war abzusehen, wie Corona uns beschäftigen wird. In den Faschingsferien waren wir noch Skifahren. Wir sind an dem Tag wieder heim, als klar wurde, dass das Virus in der Lombardei angekommen ist und wir wegen der Nähe zu Italien besonders gefordert sein werden. Für die Sommerferien habe ich gar nicht erst einen Urlaub geplant. Es gibt wegen Corona so viel zu tun, was man von außen nicht sieht. Dazu bereiten wir uns auf die zweite Welle vor. Die Sommerferien sind so etwas wie eine Sollbruchstelle. Ich habe Verständnis, dass viele danach lechzen wegzufahren. Ich hoffe, dass sie das verantwortungsvoll tun. Seit Ischgl wissen wir, wie gefährlich solche Hotspots sind. Jeder, der sich verhält wie am Ballermann, macht mir Bauchschmerzen. Zur Erholung hier in München werde ich einfach mal die Augen zumachen, mir eine einsame Hütte in einem Wald vorstellen, wo sonst einfach nichts ist."

Constanze Lindner, Kabarettistin und Fernsehmoderatorin: "Ich bleibe heuer ganz bewusst zu Hause. Ich werde mir einen Plastik-Mini-Pool für den Balkon aufpusten, Cocktail-Schirmchen ins Getränk piksen und meine Füße in Sandförmchen tunken. Ich kann nicht so tun, als wäre nichts oder als hätte sich für mich nichts verändert. Natürlich verstehe ich, dass sich alle nach Normalität sehnen. Aber meine Normalität ist im Moment mein Zuhause. Für mich ist meine Heimat der schönste Fleck. Es wird aufgeräumt, ausgeräumt, umgeräumt, Freunde bekocht, kreativ gesponnen, Nachbarn bespielt und Kraft gesammelt, wenn es wieder los geht. Ich freue mich auf euch!"

Verena Dietl, Dritte Bürgermeisterin: "Ich verstehe gut, dass die Münchnerinnen und Münchner sich nach dem Lockdown nach einem Tapetenwechsel sehnen. Solange es aber keine Entwarnung gibt, riskieren wir Ansteckung oder zumindest Quarantäne. Deshalb hat bei uns der Familienrat entschieden, dass wir den Urlaub daheim verbringen. Ich kann mir derzeit keinen sichereren Ort als München für Erholung vorstellen. Wir haben uns vorgenommen, mit den Kindern mal ein paar typische "touristische" Dinge zu tun. Zum Beispiel den Alten Peter hochsteigen oder den Olympiaturm hinauffahren. Das sind Kindheitserinnerungen, die ich gerne mal wieder auffrischen möchte. Gegen Sommerhitze helfen Freibäder und Seen oder eine Radltour mit Fahrtwind. Von uns aus ist es nicht weit zum Westpark, ein Picknick dort ist schnell organisiert. Ich freue mich aber vor allem auch auf Treffen mit Freunden, von denen viele dieses Jahr hier bleiben und für die manchmal im Alltagstrubel die Zeit fehlt."

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Quelle:
SZ vom 22.07.2020
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