Süddeutsche Zeitung

Schwimmen in der Corona-Pandemie:"Man merkt im Training, dass die anderen schneller sind"

Die Pandemie verbannte ambitionierte Amateure aus den Hallenbädern, während die Kaderschwimmer weiter trainieren durften. Nun schwimmen sie den Profis hinterher.

Von L. Gavarini, K. Kobl, P. Meggendorfer und J. Moravek

Sieben Monate lang war Jonathan Frenkel nicht im Wasser. Vor Corona nahm er regelmäßig an Wettkämpfen beim Schwimmclub Wasserfreunde in der Maxvorstadt teil. Seit er acht Jahre alt ist, trainiert er mehrmals die Woche. Der Sport ist mehr als nur ein Hobby für ihn. Doch in den vergangenen Monaten durfte der 15-Jährige zum ersten Mal in seinem Leben keine Bahnen mehr ziehen. So wie fast 10 000 Schwimmerinnen und Schwimmer in München. Denn während des Lockdowns war das nur den Profisportlern erlaubt. Nun muss Frenkel den Anschluss wiederfinden.

Nach dem ersten Lockdown wurden in den Sommerferien im vergangenen Jahr die Regeln gelockert, Schwimmerinnen und Schwimmer konnten nun zumindest einzeln im Olympiabad ins Wasser. Im Herbst trainierte Jonathan Frenkel noch mal für ein paar Wochen in den Schulschwimmbädern, wo sonst Kinder Schwimmen lernen. Dann wurde wieder komplett dichtgemacht.

Doch nicht alle Sportlerinnen und Sportler mussten verzichten. Eine kleine Gruppe durfte weitermachen: die Kaderschwimmer, also die Profis. Das sind in München insgesamt nur 66 Sportlerinnen und Sportler. Denen sei es sogar besser gegangen als je zuvor, erklärt Bastian Esefeld vom Bayerischen Schwimmverband: "Sie mussten sich die Hallen mit niemandem teilen und konnten viel öfter trainieren." Alle anderen durften nicht ins Wasser. Besonders schwer zu verkraften war das für jene Sportler, die nur knapp vor dem Kader gescheitert waren und deshalb ein ganzes Jahr an Training verloren. "Die sagen natürlich, dass sie nie wieder eine Chance haben werden, an diesen erlesenen Kreis heranzukommen", sagt Esefeld.

Auch Frenkel hatte es fast in den Kader geschafft. Im April war er frustriert über die Situation: "Es ist einfach unfair, dass die anderen schwimmen dürfen und wir nicht." Um trotzdem in Form zu bleiben, bewegte er sich im Pandemie-Winter sehr viel. Er machte Trockentraining, so nennt das der Verein. Dabei ruderte er nicht mit den Armen durch die Luft, sondern machte Hampelmänner und Kraftübungen, Kniebeugen, Liegestütze und Sit-ups, angeleitet von den Schwimmtrainern über Videokonferenz, eineinhalb Stunden lang, fünf Tage die Woche. Das stärkt die Muskeln, die es zum Schwimmen braucht. Doch an die körperliche Anstrengung von sechs bis sieben Kilometern Bahnen ziehen kamen die Kurse nicht heran. Und Spaß machte es auch nicht: "Das ersetzt das Schwimmen nicht", sagt Frenkel.

Nach sieben Monaten Trockenübungen ist Frenkel seit Anfang Juni wieder sechsmal pro Woche in der Halle. Den Leistungsunterschied zu den Profischwimmern aufzuholen, wird schwierig. Auch Frenkel hat am Anfang gemerkt, dass er hinterherhinkt. "Es erscheint mir logisch, dass alle, die an der Grenze zum Leistungssport waren, den Anschluss verloren haben", sagt Leopold Beer, Jugendwart des Schwimmclubs Wasserfreunde. Die Jugendlichen werden noch bis zu den Sommerferien brauchen, um an das Niveau der letzten Jahre heranzukommen. "Es haben sich Lücken gebildet, besonders in Bezug auf die Technik", sagt Beer.

Mittlerweile sind alle etwas optimistischer. Frenkel selbst sieht bereits Fortschritte: "Man kommt ganz gut wieder rein." Das liege auch an den Trainern des Vereins, die großen Wert darauf legen, dass die Jugendlichen regelmäßig ins Training kommen. Sie fördern Frenkel und seine Mitschwimmer genauso wie die Profis.

Obwohl Frenkel das freut, sieht er die Unterschiede zu den Kaderschwimmern: "Man merkt im Training, dass die anderen schneller sind." Auf den Zusammenhalt im Team habe das allerdings keinen Einfluss.

"Vereinssport hat eine hohe soziale Komponente", sagt Matthias Marckhoff, Sportmediziner am Universitätsklinikum Münster. "Er ist ein großes Experimentierfeld für die Persönlichkeitsentwicklung: Wettkampf, Streit, Verlieren lernen." Doch Frenkel sagt, ihm gehe es in erster Linie nicht um die Wettkämpfe - sondern um den Spaß am Sport. Und um den Kontakt zu seinen Mitschwimmern. Den habe er während der corona-bedingten Pause besonders vermisst: "Wir reden oft noch nach dem Training oder gehen mal zusammen ins Kino."

Genau dieses Gemeinschaftsgefühl motivierte ihn auch, wieder ins Schwimmtraining einzusteigen. Vor ein paar Monaten war Frenkel sich noch nicht sicher, ob er wieder anfangen würde. Damals dachte er, er werde keine Freude mehr an dem Sport haben, wenn er langsamer ist als die anderen. Er konzentrierte sich in der schwimmfreien Zeit auf sein anderes Hobby: Saxofon spielen. Noch immer versucht Frenkel, eine Stunde pro Tag zu üben. Wenn er neben dem Training noch Zeit dafür hat. Denn beim Schwimmen hat ihn der Ehrgeiz wieder gepackt. "Wettkampfschwimmer sind es alle gewohnt, sich durchzubeißen, sich nicht beirren zu lassen. Sie trainieren jetzt härter denn je", sagt Leopold Beer und spricht von einer unglaublichen Euphorie.

Beim ersten Wettkampf nach der Pause hat Frenkel direkt die Chance, sich zu beweisen. Es treten nur Schwimmer an, die es noch nicht in den Kader geschafft hatten. Nach dem Wettkampf werden 60 neue Plätze vergeben. Jonathan Frenkel hofft auf einen von ihnen.

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Quelle:
SZ vom 23.07.2021/kafe
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