Corona-Proteste:Die Taktik der Demonstrierenden

Großdemo gegen die Corona Maßnahmen, Am 13.3.2021 versammelten sich bundesweit in Landeshauptstädten Menschen, um gegen

Am Wochenende hatten sich Tausende in der Landeshauptschaft versammelt, um gegen Corona-Auflagen zu demonstrieren.

(Foto: imago images/Alexander Pohl)

Anfangs treffen sich kleine Gruppen am Fischbrunnen, später stoßen scheinbar spontan Hunderte hinzu. Die Gegner der Corona-Maßnahmen haben die Münchner Polizei am Wochenende nicht zum ersten Mal überrascht.

Von Julian Hans

Die Polonaise von mehreren Hundert Menschen ohne Masken am Samstag auf dem Marienplatz war nicht der erste Fall, bei dem die Münchner Polizei scheinbar von den Ereignissen überrascht wurde. Seitdem Gegner der Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr 2020 erstmals Happenings mit Meditation und Yoga in der Innenstadt veranstalteten, ist es immer wieder zu Situationen gekommen, bei denen sich Anhänger der selbsternannten "Querdenker" und andere Gegner der Corona-Maßnahmen über Regeln zum Infektionsschutz und über Auflagen der Versammlungsbehörde hinwegsetzten.

Am 18. April 2020 war es nur ein kleines Grüppchen, das sich am Fischbrunnen auf dem Marienplatz zu einer ersten "Hygiene-Demo" zusammenfand. Eine Woche später gab es schon fünf Kundgebungen, unter anderem am Odeonsplatz, auf dem Marienplatz und am Stachus. Beobachter von der Fachinformationsstelle Rechtsextremismus in München (FIRM) warnten schon damals vor einer "dynamischen Straßenbewegung", die von Rechtsextremen benutzt und angefeuert werde.

Am 2. Mai kamen zu einer Kundgebung mit dem Titel "Freunde des Grundgesetzes" auf dem Max-Joseph-Platz statt der angemeldeten 30 Teilnehmer mehr als 300. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bestätigte später in einer Antwort auf eine Landtagsanfrage der Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze, dass der Staatsregierung Verbindungen der Versammlungsteilnehmer in die rechtsextreme Szene zuvor bekannt waren. Obwohl gegen Auflagen verstoßen wurde, habe die Polizei "aus Gründen der Verhältnismäßigkeit" nicht eingegriffen.

Diese Situation wiederholte sich eine Woche später: Für den 9. Mai 2020 hatten selbst erklärte "Freunde des Grundgesetzes" eine Versammlung mit 80 Personen auf dem Marienplatz angemeldet, um dort "für die Wiederinstandsetzung des Grundgesetzes" zu demonstrieren. Als dann nicht 80 kamen sondern 3000, wirkte die Polizei hilflos. Abstände wurde nicht eingehalten, Masken nicht getragen. Auf Plakaten wurden die Hygiene-Maßnahmen mit den Menschenexperimenten der Nazis gleichgesetzt. In Chat-Gruppen auf Telegram hatten Teilnehmer vorher die Taktik empfohlen, kleine Kundgebungen mit ein paar Dutzend Teilnehmern anzumelden, denen sich dann weitere Hunderte scheinbar spontan anschließen sollten. Obwohl die Fachinformationsstelle Rechtsextremismus das Kreisverwaltungsreferat (KVR) im Vorfeld über diese Taktik und über Verbindungen zu Rechtsextremen informiert hatte, reichten diese Informationen nach Einschätzung der Versammlungsbehörde nicht aus, um die Veranstaltungen zu verbieten.

Nachdem sich unter anderem Oberbürgermeister Dieter Reiter verärgert über die Bilder vom Marienplatz gezeigt hatte, kündigten die Stadt und die Polizei an, ihre Strategie zu überarbeiten. Das KVR erklärte, man wende in der Einzelfallabwägung von Meinungsfreiheit und Gesundheitsschutz "strenge Maßstäbe an, die in Zweifelsfällen künftig zur Ablehnung führen werden".

Als am 29. August Demonstranten am Rande einer Querdenker-Demonstration in Berlin eine Polizeiabsperrung durchbrachen und auf den Stufen des Reichstagsgebäudes Reichsflaggen schwenkten, schien ein Wendepunkt erreicht und die Bedrohung der Demokratie durch die Verbindung von Verunsicherten, Verschwörungsgläubigen und Rechtsextremisten manifest.

Zwei Wochen später will der Ableger "Querdenken 089" das Spektakel in München wiederholen. Die Behörden und die Polizei wollen Bilder wie aus Berlin unbedingt verhindern. Am 12. September versammeln sich zunächst 3000 Demonstrierende am Odeonsplatz, um von dort zur Theresienwiese zu ziehen. Das Mitführen von Reichsflaggen wurde ihnen per Auflage untersagt. Als Teilnehmer hartnäckig gegen die Maskenpflicht verstoßen, stoppt die Polizei den Demonstrationszug, schließlich beendet der Versammlungsleiter die Versammlung. Die Teilnehmer ziehen selbständig zur Theresienwiese, wo die Polizei schließlich 10 000 Demonstrierende zählt und erneut etliche Verstöße gegen die Maskenpflicht feststellt.

Bei zahlreichen Querdenker-Veranstaltungen in den folgenden Wochen weist das KVR den Veranstaltern die Theresienwiese als Versammlungsort zu. Dort könnten - theoretisch - auch bei einer großen Anzahl von Teilnehmern die Abstände eingehalten werden. Ein willkommener Nebeneffekt: Es sind keine Gebäude in der Nähe, die durch den Nationalsozialismus belastet sind, wie etwa die Feldherrnhalle.

Am 1. November soll im Anschluss an fünf Versammlungen von Gegnern der Corona-Maßnahmen im ganzen Stadtgebiet eine gemeinsame Kundgebung auf der Theresienwiese stattfinden. Als klar wird, dass statt der genehmigten 1000 fast doppelt so viele gekommen sind, widmen die Querdenker ihre Versammlung kurzerhand zu einem Gottesdienst um. Für Gottesdienste unter freiem Himmel gelten zu diesem Zeitpunkt keine Beschränkungen der Teilnehmerzahl. Der Einsatzleiter berät sich mit Juristen aus dem Innenministerium. Erst als der angebliche Gottesdienst immer mehr einem Rockkonzert ähnelt, wird die Veranstaltung abgebrochen.

In einem Jahr, in dem das öffentliche Leben in München deutlich eingeschränkt war, fanden unterm Strich mehr Demonstrationen als im Vorjahr statt: 1552 solcher Einsätze hat die Polizei gezählt (2019: 1308). Der Vorwurf, der dabei am häufigsten vorgetragen wurde, war die Einschränkung der Grundrechte.

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