München:Corona-Demos waren "Eskalation mit Ansage"

München: Keine Masken, kein Abstand, kein Respekt vor den Ordnungskräften: Auf der Ludwigstraße ging es am Mittwochabend turbulent zu.

Keine Masken, kein Abstand, kein Respekt vor den Ordnungskräften: Auf der Ludwigstraße ging es am Mittwochabend turbulent zu.

(Foto: Robert Haas)

5000 Menschen protestieren am Mittwochabend in München teils gewaltsam gegen die Corona-Politik. Die Polizei wirkt hilflos und sieht sich kritischen Fragen ausgesetzt: Welche Strategie hat sie gegen wilde Demos?

Von Heiner Effern, Bernd Kastner und Anita Naujokat

Hinter dem Siegestor finden sich am Donnerstag ein paar Kreidebuchstaben auf dem Pflaster. "Gesicht zeigen", steht da, und: "Wir sind viele". Tatsächlich haben 5000 Menschen auf ganz spezielle Weise Gesicht gezeigt am Mittwochabend: Sie demonstrierten gegen die diskutierte Impfpflicht, fast niemand trug eine Maske. Mehrmals wurde die Polizei überrannt.

Diese wilden, nicht angemeldeten Versammlungen verurteilen am Tag danach Politiker und stellen bohrende Fragen an die Polizei. Dominik Krause etwa, Vize-Chef der Grünen im Stadtrat, kritisiert: "Es gab keine sichtbare Einsatztaktik, die einzelnen Beamten wirkten bemüht, aber hilflos. Die Einsatzleitung hat komplett versagt." Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zog erste Lehren aus dem Aufmarsch: Er habe alle Polizeipräsidien angewiesen, die Präsenz bei solchen Einsätzen "massiv zu erhöhen".

Wer vor Ort das Geschehen beobachtete, erlebte eine Polizei, die streckenweise überfordert wirkte, obwohl in der Woche zuvor schon Impfgegner wild durch die Stadt gezogen waren. Der vom Bündnis "München steht auf" geplante Demozug war von der Stadt untersagt, die stationäre Kundgebung auf die Theresienwiese verlegt worden.

Wütend sagten die Organisatoren daraufhin alles ab, im Netz aber kursierten Aufrufe zu "Spaziergängen" in der Innenstadt. Als sich gegen 18 Uhr vor der Universität mehrere Hundert "Spaziergänger" sammelten und auf Kommandos hin loszogen, war kaum Polizei zu sehen.

Die Protestierenden strömten auf die Schellingstraße und wollten wohl Richtung Pinakotheken ziehen, was die Polizei mit einer Sperre verhinderte. So sammelten sich von etwa 19 Uhr an Tausende auf der Ludwigstraße zwischen Siegestor und Altstadtring. Dort wurden mehrmals Polizeiketten durchbrochen. Immer wieder riefen die Protestierenden "Friede, Freiheit, keine Diktatur" und suggerierten, dass im Kampf gegen die Pandemie eine Diktatur drohe oder schon bestehe.

In der Menge dürften sich Menschen unterschiedlicher politischer Couleur befunden haben, Gegner einer Corona-Impfpflicht ebenso wie generelle Kritiker der Pandemiemaßnahmen, sogenannte Querdenker wie auch Anhänger anderer radikaler Ansichten. Selbst Kinder seien mitgebracht worden, berichtet die Polizei.

Die Polizei versucht, ihre Strategie zu verteidigen

Polizeisprecher Andreas Franken versucht am Donnerstag, die Strategie der Einsatzleitung zu erklären und zu verteidigen. Prophylaktisch habe man "neuralgische Punkte" wie Marienplatz oder Stachus besetzt. Dass just vor der Universität, wo die abgesagte Demo beginnen sollte, zunächst so gut wie keine Kräfte waren, rechtfertigt Franken mit dem Hinweis, man könne nicht überall sein. Außerdem habe die Polizei reagiert, als sie die Ansammlungen wahrgenommen habe: "So eine Kräfteverlegung dauert natürlich." Auf die Frage, warum die Polizei nicht mehr als 500 Beamtinnen und Beamte im Einsatz hatte, verweist Franken aufs Lagebild, das man im Vorfeld gewonnen habe. Womöglich täuschte dieses Lagebild, denn die 500 Polizisten wurden der tatsächlichen Lage kaum Herr.

Die Menge sei einer Kontaktaufnahme nicht zugänglich gewesen, es hätten sich keine Versammlungsleiter zu erkennen gegeben. Die Stimmung sei "aggressiv" gewesen, Personen hätten sich "respektlos und beleidigend" gegenüber Beamten verhalten. Immer wieder sei es zu Attacken und Zusammenstößen gekommen. 232 Mal wurde laut Polizei ein Schlagstock eingesetzt, elfmal Pfefferspray. Ein Medienvertreter sei angegriffen, der Täter laut Polizei festgenommen worden.

Sowohl Polizei als auch Kreisverwaltungsreferat kündigten an, Erkenntnisse vom Mittwoch ins künftige Vorgehen einzubeziehen. Zwar hatte die Stadt den ursprünglich geplanten Demozug untersagt, es galt jedoch kein generelles Versammlungsverbot. Deshalb habe die Polizei die Umzüge auch nicht unterbunden, erklärt Franken. "Ein härteres Vorgehen wäre nicht zu rechtfertigen gewesen." Die Polizei müsse das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schützen. Ein Erfolg sei, dass man einen "großen Marsch" Richtung Innenstadt verhindert habe.

"Ein Missbrauch des Grundrechts auf Meinungsfreiheit"

In den politischen Reaktionen spielt dieser "Erfolg" keine Rolle. Es dominiert die Kritik - an Protestierenden wie Polizei. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) erklärt, dass die Vorfälle "ein Missbrauch des Grundrechts auf Meinungsfreiheit" seien. "Den Protestführern geht es nicht mehr nur um ihren Protest gegen die Corona-Maßnahmen, sondern sie suchen den Konflikt mit dem Staat. Auf diese neue Dimension des Protests müssen alle zuständigen Sicherheitsbehörden jetzt reagieren. Wir brauchen Konzepte, wie mit Protest-,Spaziergängen' künftig verfahren werden soll."

Grünen-Stadtrat Krause kündigte an, im Januar Polizeipräsident Thomas Hampel in den Stadtrat einzuladen. Er müsse erklären, wie es zur "Eskalation mit Ansage" habe kommen können. Selbst aus der CSU kommen mahnende Worte: Falls eine Versammlung nicht angemeldet werde, sagt Fraktionschef Manuel Pretzl, müsse "die Polizei eine Strategie entwickeln, wie sie solche illegalen Aufmärsche verhindert".

Kritik an der Polizei ist auch aus dem Landtag zu hören. "Die Radikalisierung der Querdenker-Szene ist ein Sicherheitsrisiko für unser Land", erklärt die grüne Fraktionschefin Katharina Schulze. Seit 2020 warne ihre Partei davor. Es sei höchste Zeit, "dass das nun auch endlich das behäbige Innenministerium versteht und die Sicherheitsbehörden umfassend befähigt werden, mit der radikalisierten Szene konsequent umzugehen". Ihr SPD-Kollege Florian von Brunn wählte einen Vergleich mit anderen Sanktionen: Jugendliche müssten Strafe zahlen, wenn sich in der Pandemie zu viele treffen. Zugleich lasse die Polizei Tausende durch die Straßen ziehen. Fortan müssten ausreichend Polizisten anwesend sein.

Kommunen müssten solche Aufmärsche nicht einfach dulden, betont Innenminister Herrmann

Genau dies will auch Innenminister Herrmann: die Polizeipräsenz "massiv" erhöhen. Die "Aufmärsche von Corona-Leugnern und Impfverweigerern" vom Mittwoch "müssen nachbereitet werden", erklärte er auf Fragen der SZ. Generell müssten Kommunen solche Aufzüge "nicht dulden". Sie könnten über Allgemeinverfügungen Auflagen verhängen, etwa Teilnehmerobergrenzen. "Wenn die Teilnehmer an den Spaziergängen dann gegen die Anordnungen verstoßen, müssen sie mit empfindlichen Geldbußen rechnen", so Herrmann.

Auch die Organisatoren der formal abgesagten Demo meldeten sich zu Wort - mit einem offenen Brief an OB und Innenminister. Sie rufen die Politiker zur Teilnahme an einem runden Tisch auf. Zugleich kritisieren sie die Corona-Politik und dass es keine "Exitstrategie für diesen Zustand der staatlichen Gängelung und Unfreiheit" gebe.

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