Münchner Innenstadt:Ein Katz-und-Maus-Spiel mit 5000 Impfgegnern

Mehr als 1000 Beamte sind in München im Einsatz, um illegale Kundgebungen zu stoppen. Die vorläufige Bilanz des Abends: 700 Ordnungswidrigkeitsanzeigen, 1300 Platzverweise und 18 Festnahmen.

Von Martin Bernstein und Franz Kotteder

Trotz eines städtischen Verbots haben nach Polizeiangaben gut 5000 Impfgegner und Pandemieleugner versucht, am Mittwochabend in nicht angemeldeten Demonstrationszügen durch die Stadt zu marschieren. Mehr als 1000 Polizisten waren im Einsatz, um sie zu stoppen und bei Verstößen die Personalien aufzunehmen. Die vorläufige Bilanz des Einsatzes: 700 Ordnungswidrigkeitsanzeigen, 1300 Platzverweise und 18 Festnahmen. Mindestens elf Mal setzten die Beamten den Schlagstock ein, gut 220 Mal wurde Zwang gegen Personen angewendet. Das teile die Münchner Polizei der Süddeutschen Zeitung am Mittwochabend gegen 23 Uhr mit.

Immer wieder bildeten sich im Laufe des Mittwochabends in der Innenstadt Marschzüge, mindestens vier Gruppen mit jeweils mehr als 100 Teilnehmern seien festgesetzt worden, sagte Polizeisprecher Andreas Franken. Diesen Personen drohen nun Bußgelder in Höhe von bis zu 3000 Euro. Zwei mutmaßliche Anführer solcher Gruppen wurden ins Polizeipräsidium gebracht, sie müssen mit Anzeigen wegen einer Straftat rechnen.

Polizeieinsätze an zahlreichen Orten in der Innenstadt

Wo sich die Coronaleugner und Impfgegner sammeln wollten, war lange unklar. "Am Stachus!", hörte man vereinzelt von Leuten, die so aussahen, wie sehr viele Leute halt aussehen: Die üblichen Demo-Accessoires vermeidet man heute weitgehend. Am Stachus standen aber nur sechs Mannschaftswagen der Polizei. Auf dem Platz vor dem Karlstor einzelne Gruppen von Einsatzkräften, in der bewährten kreisförmigen Igelstruktur aufgestellt.

Münchner Innenstadt: Die Polizei hält am Stiglmaierplatz eine größere Menschenmenge zur Personalienfeststellung fest.

Die Polizei hält am Stiglmaierplatz eine größere Menschenmenge zur Personalienfeststellung fest.

(Foto: Robert Haas)

Am Odeonsplatz standen mindestens zehn Mannschaftswagen, die Polizisten forderten alle, die länger stehenblieben, dazu auf, weiterzugehen. Dann kam Bewegung in die verteilten Grüppchen. Auf Telegram hieß es, man versammle sich am Königsplatz. Viele brachen dorthin auf - allerdings auch eine größere Kolonne von Polizeitransportern. Am Karolinenplatz war Schluss, die Einsatzkräfte bildeten eine Kette auf Höhe der Türkenstraße, niemand durfte mehr durch. Dann war die Polizeikette, so schnell wie sie geschlossen wurde, wieder aufgelöst. Die Kräfte konzentrierten sich am oberen Ende des Maximiliansplatzes beim Platz der Opfer des Nationalsozialismus.

Auch im Univiertel war bereits um 18 Uhr viel los, die Polizei schaffte es, eine Versammlung am Geschwister-Scholl-Platz zu verhindern, riegelte zeitweise die Ludwigstraße ab, zwischendurch kam es zu Festnahmen. Und immer fuhr die Polizei in langen Wagenkolonnen unter Blaulicht zum avisierten Ort, löste die Versammlung auf, so sie eine vorfand, und hetzte dann zum nächsten Platz.

Größere und kleinere Marschzüge treffen auf Polizeiketten

In der Fußgängerzone konzentrierte sich zeitweise das Geschehen. Beim Jagdmuseum skandierte eine aufgeregte Menge: "Frieden! Freiheit! Keine Diktatur!", aber auch: "Hurensöhne!" Die Polizisten blieben gelassen. Ein Herr mittleren Alters hisste eine kleine bayerische Flagge. Die Singenden verbrüderten sich: "Wo kommt ihr her?" - "Aus der Nähe von Augsburg!" - "Seid ihr die Stauffi-Gruppe?" - "Nein, sind wir nicht."

Münchner Innenstadt: Trotz hoher Polizeipräsenz ziehen protestierende auf den Stachus und durch die Kaufingerstraße.

Trotz hoher Polizeipräsenz ziehen protestierende auf den Stachus und durch die Kaufingerstraße.

(Foto: Stephan Rumpf)

200 Meter weiter wurde ein junger Mann festgesetzt, der einen bunt blinkenden Rucksack mit sich führte und laute Musik laufen ließ. Eine Einsatzgruppe nahm seine Personalien auf, eine Gruppe von Demonstranten forderte lautstark: "Lasst ihn frei!" und war sich sicher, dass hier die Diktatur am Werk ist und die Polizisten eine satte Prämie für jede Festnahme bekommen.

So ging es in der gesamten Innenstadt weiter an diesem Abend. Größere und kleinere Marschzüge trafen auf Polizeiketten, wurden gestoppt, wichen aus und zogen dann zum nächsten Ort, wo sich das Geschehen wiederholte.

Münchner Verwaltungsgericht erlaubte am Mittwochnachmittag bis zu 5000 Teilnehmer auf der Theresienwiese

Überraschend war das Treiben der Corona-Maßnahmen-Gegner an diesem Abend wieder einmal nicht. Die Stadt München hatte unangemeldete Proteste vorab untersagt - und die hohen Geldbußen von bis zu 3000 Euro angedroht. Für die auf die Theresienwiese verlegte Kundgebung hatte das Kreisverwaltungsreferat 2000 Teilnehmer genehmigt, das von den Organisatoren angerufene Münchner Verwaltungsgericht am Nachmittag dann sogar 5000. Kundgebungen in der Innenstadt blieben aber verboten.

"München steht auf" sagte diese erlaubte Veranstaltung auf der Theresienwiese offiziell ab. Eine stationäre Versammlung sei "menschenunwürdig". An einer auflagenkonformen Kundgebung war die Gruppierung offenbar nicht sonderlich interessiert: "Wir haben uns nicht aus Naivität zur Klage entschlossen", hatte man schon am Dienstag ihre Taktik erklärt. "Wir klagen diesmal um ganz klar zu stellen dass wir alle Wege ausschöpfen."

Melchior Ibing, ein Sprecher der Gruppierung, hatte in einer Videobotschaft seine Unterstützer dazu aufgerufen, friedlich zu bleiben. Er habe aber den Eindruck, dass seitens "der Regierenden" alles getan werde, "um eine Eskalation zu provozieren". In der Telegram-Gruppe wurde diese Darstellung sofort aufgegriffen: Von "versteckter Kriegsführung, die die Politiker hier spielen," war die Rede und von "Gewalt-Provokationen der Polizei und (...) von eingeschleusten Provokateuren". Einer schlug vor: "Lieber mal die Cops einkesseln, Spieß umdrehen."

Nicht angemeldete, als "Spaziergänge" deklarierte Demonstrationen mit Corona-Bezug blieben also auch nach dem Urteil des Münchner Verwaltungsgericht vom Mittwochnachmittag verboten. Und anders, als in den vergangenen Wochen ist es der Polizei offenbar besser gelungen, mit den weit verstreuten Einzelgruppen umzugehen. Selbst das Vorhaben, auch größere Gruppen aufzulösen, die nicht als Versammlung zu erkennen sind, setzte die Polizei um. Weil sich nach der Infektionsschutzverordnung nur maximal zehn Personen treffen dürfen. Sofern alle geimpft sind.

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