Süddeutsche Zeitung

Inzidenz:München zieht erneut die Notbremse

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Die Stadt liegt an drei aufeinanderfolgenden Tagen über dem maßgeblichen Inzidenzwert von 100 - trotz einer Datenpanne am Wochenende. Von Mittwoch an gelten strengere Corona-Regeln, unter anderem eine nächtliche Ausgangssperre.

Von Ulrike Heidenreich, Anna Hoben, Catherine Hoffmann und Jakob Wetzel

Ein bisschen öffnen, dann wieder bremsen: Das Wechselspiel, in dem sich München seit einiger Zeit befindet, geht weiter. Am Mittwoch zieht die Stadt nun wieder die Notbremse. Seit Längerem ist es nicht mehr ganz einfach, auf dem Laufenden zu sein, welche Regeln gerade überhaupt gelten - so oft ändern sie sich, auf Grundlage der Vorgaben vom Freistaat. Zuletzt hatte eine Datenpanne zwischen dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) und dem Robert-Koch-Institut (RKI) zusätzliche Verwirrung hervorgerufen.

Während das RKI am Sonntag einen Wert von 94,4 angegeben hatte, wies das LGL einen Wert von 116,4 aus. Die vom RKI veröffentlichte Zahl ist nach dem Infektionsschutzgesetz und der entsprechenden bayerischen Verordnung der ausschlaggebende Wert. Die Drei-Tages-Zählung hätte somit eigentlich wieder von vorne beginnen müssen - die Notbremse greift, wenn der Inzidenzwert an drei aufeinanderfolgenden Tagen über 100 liegt. Nachdem die Inzidenz am Montag einen Satz nach oben gemacht hatte, auf 126,9, beschloss die Stadt, die Datenpanne zu ignorieren und den Sonntag als Tag mit einer Inzidenz über 100 zu zählen. Somit ist der Grenzwert zum dritten Mal überschritten worden. Von Mittwoch an werden also private Zusammenkünfte eines Haushalts nur mit einer weiteren Person erlaubt sein. Zwischen 22 und 5 Uhr gilt eine Ausgangssperre. Museen und der Tierpark bleiben geschlossen.

Für den Schulstart am Montag nach den Osterferien spielten die jüngsten Entwicklungen keine Rolle. Dafür war allein der Wert am Freitag ausschlaggebend, und der war mit 95,5 unter 100 geblieben. Dass er wegen Feiertagseffekten das Geschehen wohl auch nicht korrekt abbildete, spielte dabei keine Rolle. In den Kitas herrscht deshalb vorerst weiterhin eingeschränkter Regelbetrieb, in den Schulen meist Wechselunterricht. Allerdings gilt dort seit Montag eine Testpflicht: Schülerinnen und Schüler, die keinen aktuellen Testnachweis vorlegen können, müssen vor den Augen der Lehrerinnen und Lehrer einen Nasenabstrich machen.

Umgesetzt hat das am Montag jede Schule anders. An einem Harlachinger Gymnasium zum Beispiel hat der Start für die Kollegstufe laut Schülern reibungslos und ohne größere Warteschlangen geklappt: Gruppen kamen im Abstand von zehn Minuten in die Mensa, die Tische waren mit Sichtschutz versehen und standen weit auseinander. Schülerinnen und Schüler der elften Jahrgangsstufe, die das Seminar Sanitätsdienst gewählt hatten, assistierten. Die Getesteten gingen dann in ihre Klassenzimmer. Bei einem positiven Ergebnis würden sie aus ihren Kursen geholt, hieß es. In einem anderen Harlachinger Gymnasium testeten sich die Schüler dagegen in ihren Klassenzimmern. Gleich danach begann der Unterricht, parallel lief für 15 Minuten ein Countdown. So lange dauert es längstens, bis ein Test anschlägt. "Wir waren alle negativ", berichtet ein Schüler aus der neunten Klasse.

Getestet haben sich am Montag auch die Kleinsten - wenngleich noch nicht in allen Schulen. Mehrere Grundschulen nutzten den Montag noch, um die Kinder vorzubereiten, zum Beispiel die Schule an der Klenzestraße in der Isarvorstadt. Die Vorbereitungszeit sei zu kurz gewesen, sagt Rektor Martin Schmid, der auch Vorsitzender des Münchner Lehrer- und Lehrerinnenverbands (MLLV) ist. Man wolle eine kindgemäße Testsituation schaffen, die Tests begännen deshalb erst am Dienstag. An der Grundschule an der Manzostraße in Untermenzing hingegen haben die Kinder ihre ersten Selbsttests schon hinter sich. Sie hätten das ganz gut hinbekommen, sagt Rektorin Ilona Peters.

Trivial ist der Test nicht: Die Kinder müssen einen sterilen Tupfer in jedem Nasenloch zwei Zentimeter tief drehen, den Tupfer dann in eine Flüssigkeit ausdrücken und vier Tropfen davon in eine Testkassette geben. Die Lehrkräfte hätten sich dafür beim ersten Mal viel Zeit genommen, sagt Peters. Manche hätten daraus auch gleich eine Stunde Heimat- und Sachunterricht gemacht. An der Manzoschule waren am Montag alle rund 600 Schülerinnen und Schüler im Präsenzunterricht, in zwei Schichten. Positiv getestet wurde kein Kind.

Anders als an den Schulen gibt es in den Kitas keine Testpflicht. Der MLLV kritisierte das am Montag scharf. Kinder seien dort "bis auf Weiteres in voller Gruppenstärke ohne Abstand oder Mund-Nase-Schutz zusammen, obwohl die Inzidenzzahlen gerade in dieser Altersgruppe seit Wochen extrem steigen und die Virusmutationen immer gefährlicher werden", erklärte Martin Schmid. Das sei unverantwortlich für Kinder, Personal und Eltern.

Änderungen gibt seit diesem Montag dagegen bei einigen Einzelhändlern. So mancher Münchner dürfte sich gewundert haben, dass seine Buchhandlung geschlossen war. Denn nicht alle haben mitbekommen, dass seit 12. April die jüngsten Änderungen der bayerischen Infektionsschutzverordnung gelten. Das bedeutet, dass Baumärkte, Blumenfachgeschäfte, Gärtnereien, Baumschulen, Gartenmärkte, Buchhandlungen und auch Schuhgeschäfte ab sofort nicht mehr wie Lebensmittelmärkte behandelt werden, sondern nur unter bestimmten Bedingungen öffnen dürfen. Für alle Geschäfte, die nicht lebensnotwendige Dinge anbieten, gilt: Bei einer Inzidenz zwischen 100 und 200 ist Terminshopping möglich, bis Dienstag noch ohne Coronatest. Von Mittwoch an müssen Kunden zusätzlich einen negativen Test vorlegen. Das kann ein PCR-Test sein, der nicht älter als 48 Stunden ist, ein höchstens 24 Stunden alter Schnelltest (POC-Antigentests) oder ein Soforttest.

Die Schnelltests müssen von geschultem Personal vorgenommen werden. Geschäfte dürfen diese Tests selbst oder in Kooperation mit einem privaten Dienstleister anbieten. Die Tests stehen dann allen Bürgern offen, unabhängig davon, ob diese das jeweilige Geschäft besuchen wollen oder nicht. Über das Ergebnis wird ein Nachweis ausgestellt, der bei Betreten des Ladens vorzulegen ist, aber auch für andere Shops gilt, höchstens 24 Stunden lang. Abgerechnet wird mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB).

Den Soforttest - ein Antigentest, der in Deutschland zur Anwendung durch Laien zugelassen ist - macht man vor oder im Geschäft; das darf nur unter Aufsicht geschehen. Er wird nicht von der KVB finanziert, muss also von den Händlern bereitgestellt oder von den Kunden selbst mitgebracht werden. Das macht die Sache kompliziert. "Welcher Kunde hat schon Lust, sich vor anderen Menschen in der Nase herum zu popeln, schlimmstenfalls noch draußen auf der Straße?", fragt Bernd Ohlmann, Sprecher des Handelsverbands Bayern. "Das wird viele Kunden abschrecken."

Für die Münchner Einzelhändler ist das wahrscheinlich so deprimierend wie die Graupelschauer im April. Schon Click & Meet ohne Test bedeute für sie einen Umsatzeinbruch von rund 50 Prozent, sagt Ohlmann. Terminshopping mit Test laufe auf ein Minus von 70 Prozent oder mehr hinaus. Noch düsterer sieht es aus, wenn die Inzidenz über 200 steigt. Dann ist es nur noch zulässig, vorbestellte Waren in den Geschäften abzuholen.

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