Süddeutsche Zeitung

Advent:Der Nikolaus muss draußen bleiben

Lesezeit: 3 min

Die Pandemie trifft die Rauschebart-Branche hart. Während einige Auftritte abgesagt wurden, setzt Bischofsdarsteller Christian Gretz auf strengste Hygieneregeln und einen völlig kontaktlosen Hausbesuch.

Von Franziska Ruf

Erst poltert es an der Tür, dann schreitet ein Mann herein: Er riecht noch nach der kalten Luft von draußen, ist eingepackt in einen roten Umhang, hat eine Mitra auf dem Kopf, trägt einen Rauschebart und hält den goldenen Bischofsstab in der Hand. Der Nikolaus ist da. Einer von ihnen ist Christian Gretz, seit neun Jahren besucht er Kinder und Erwachsene und beschert ihnen vorweihnachtliche Freude. In der Corona-Pandemie bleibt er dabei meist vor der Haustür oder er liest gleich im Home-Office aus seinem goldenen Buch.

Dabei wurde Christian Gretz eher durch Zufall Nikolaus. Hauptberuflich arbeitet der 41-Jährige als Marketing-Manager, nebenbei leitet er Stadtführungen durch München. Auf einer Weiterbildung sprach ihn eine Frau darauf an, dass er doch mit seiner Größe und der tiefen Stimme als Nikolaus unterwegs sein müsste - und die Idee war geboren. Das Kostüm war schnell besorgt, wichtig waren noch Tipps von den Profis: Immer mehrere Paar weiße Handschuhe dabeihaben, falls sie unterwegs dreckig werden, und Sicherheitsnadeln, falls das Gummi des Barts reißt. Und los konnte es gehen.

Einmal fing sein Mantel an einer Kerze Feuer

Man ahnt kaum, was einem als Nikolaus so alles passiert. "Einmal hatte jemand das ganze Haus voller Kerzen und irgendwann stand ich mit brennendem Mantel da", erzählt Gretz. Das Feuer war zum Glück schnell erstickt und es passierte nichts Schlimmeres. Ein anderes Mal war er bei einer Familie, die sehr viele Geschenke für ihre zwei Kinder bereitgelegt hatte. Seinen riesigen Sack musste Gretz randvoll packen. Die gut erzogenen Kinder waren bescheiden, so Gretz: "Der Junge, er war circa sechs Jahre alt, packte erst das erste, dann das zweite Geschenk aus. Dann sagte er: Das reicht mir eigentlich, das andere können Sie mitnehmen und den anderen Kindern geben." Die Oma sei fast vom Stuhl gekippt. Auch die Anfrage, bei einem Heiratsantrag aufzutreten, bekam Gretz schon.

Doch die Pandemie macht den guten Männern zu schaffen. Es sank sowohl die Zahl an Anfragen als auch das Angebot an Nikoläusen. Die Online-Plattform "Jobcafé", die unter anderem Nikoläuse und Weihnachtsmänner in München vermittelt, hat inzwischen von sich aus alle Anfragen abgesagt. Laut Sprecher Sebastian Moser seien diese ohnehin "an einer Hand abzuzählen" gewesen.

Die Zahl der Buchungen ging schon vor der Pandemie zurück

Die Arbeitslosigkeit der Rauschebärte liege laut Moser aber nicht ausschließlich an der Pandemie. Auch vorher schon sei die Nachfrage gesunken, sowohl bei privaten Kunden als auch bei Unternehmen. Selbst unter den Nikolaus-Darstellern sei nur noch "der harte Kern" geblieben: Drei altgediente Nikoläuse hätten heuer noch den Sack schultern wollen, jüngere kämen kaum noch nach. Moser vermutet: "Viele Menschen sind nicht mehr so traditionsverhaftet." Und dann geht der Trend laut Jobcafé auch noch weg vom Bischof hin zum nicht überall gern gesehenen Weihnachtsmann mit Zipfelmütze.

Wegen Corona vermittelt auch die Arbeitsagentur seit vergangenem Jahr keine Nikoläuse mehr. "Das ist in der aktuellen Lage nicht möglich", sagt Pressesprecherin Anne Beck. Einen allgemeinen Rückgang an Nikolaus-Anfragen schon vor der Pandemie konnte sie allerdings noch nicht beobachten.

Ganz ausfallen muss die Bescherung aber nicht: Seit neun Jahren überrascht das Jobcafé zusammen mit Sponsoren und einer Kanzlei, deren Mitarbeiter ins Kostüm schlüpfen, bedürftige Kinder zum Nikolaustag. Das Sozialreferat vermittelt die Kontakte. Heuer machen sich 25 ehrenamtliche Helfer auf den Weg, um 450 Kindern ein Säckchen zumindest vor die Tür zu stellen. Persönlich überreichen dürfen sie die Geschenke nicht, aber verkleiden werden sie sich trotzdem - dann winkt der Nikolaus immerhin durchs Fenster. "Das Ambiente soll noch da sein", sagt Jobcafé-Geschäftsführer Jens Wittenberger.

Neun Videos verschickt er am Nikolaustag

Christian Gretz wurde kreativ: Vergangenes Jahr startete er Besuche per Video. "Ich mache es mir dann in meinem Ohrensessel bequem", erzählt er. Dort lese er aus seinem goldenen Buch vor - alles wie immer, nur ohne Interaktion. Die Videos schickt er den Eltern per Link. Er sagt: "Für mich ist das nicht nur super wegen Corona, sondern auch, weil ich die Videos drei Tage vor Nikolaus aufnehmen kann." Neun Videos verschickt er dieses Jahr und auch neun Mal tritt er persönlich auf, meist im Freien, auf der Terrasse, im Innenhof oder vor der Tür.

Zusätzlich gilt 2-G-plus: Gretz ist geimpft und testet sich, bevor er zu Kunden kommt. Diese, zumindest die Erwachsenen, sollen ebenso geimpft oder genesen und getestet sein. Desinfektionsmittel hat Gretz dabei, denn die Kinder dürfen den Bischofsstab halten, während er ihre guten und weniger guten Taten aus dem goldenen Buch vorliest. Der Stab wird nach jedem Besuch desinfiziert.

Ob mit oder ohne Corona - der Nikolaus-Besuch bleibt etwas Besonderes. Die Kinder reagieren unterschiedlich: Manche sind ganz ehrfürchtig, andere locker, wie Gretz erzählt. Ein Kind sei besonders lässig gewesen. Zur Verabschiedung rief es hinterher: "Also, ciao, Niko!"

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5480596
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.