Die angekündigten Biontech-Höchstgrenzen lösen bei den Münchner Ärzten Verärgerung aus. Nachdem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verkündet hatte, dass künftig nur noch 30 Dosen des Impfstoff von Biontech/Pfizer pro Arzt und Woche geliefert und der Rest mit dem Moderna-Impfstoff bestritten werden soll, hagelt es Kritik.
Corona-Medizin:Münchner Ärzte intensivieren Antikörper-Therapie
Das Universitätsklinikum rechts der Isar bietet die Behandlung, die unter anderem Ex-US-Präsident Donald Trump bekam, nun auch ambulant an. Das hat einige Vorteile.
Wolfgang Ritter, Hausarzt in Sendling und Vorstandsmitglied im Bayerischen Hausärzteverband, sagte am Wochenende, diese Nachricht habe ihn fassungslos gemacht. Man könne doch nicht ohne Vorwarnung einfach einen anderen Impfstoff spritzen, sagt er. "Die Praxen haben sich jetzt für Monate auf Biontech eingebucht. Die spinnen doch!" Der Aufwand umzuplanen sei enorm. So komme Moderna in Gebinden von jeweils 20 Dosen, Biontech in Gebinden von jeweils sechs. Mit Moderna müsse man Patientinnen und Patienten also in 20er-Gruppen einbestellen. Und Menschen unter 30 Jahren sollten laut Stiko-Empfehlung ohnehin ausschließlich Biontech erhalten, weil hier das Risiko einer Herzmuskelentzündung niedriger ist.
Patienten anzurufen und vorzuwarnen, das sei nebenbei nicht zu stemmen
Auch der Hausarzt Philipp Gross ist verärgert über das "Missmanagement der Politik". Vor wenigen Wochen sei der Biontech-Impfstoff bei ihnen teilweise noch ausgelaufen, weil keiner zum Impfen gekommen ist. Auf einmal falle der Politik ein, dass Biontech ein knappes Gut sei.
Eine Schwierigkeit sieht Gross auch in der Dosierung: Für die Booster-Impfung mit Moderna brauche man laut Vorgaben nur die halbe Menge, für die Erst- und Zweitimpfung aber nicht. Ebenso nicht für Schwerkranke oder Menschen, die mit Johnson & Johnson geimpft wurden. Gross rechnet damit, dass am Ende des Tages deswegen immer ein Rest von Moderna weggeworfen werden muss.
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In der Praxis am Baldeplatz, wo Gross arbeitet, werden pro Tag 100 Impfungen verabreicht. Bis in den Februar hinein seien schon Termine für Corona-Impfungen vergeben, sagt er, bisher fast alle mit Biontech. Jeden Patienten vorher anzurufen und vorzuwarnen, dass es nun Moderna geben wird, sei nebenbei einfach nicht zu stemmen. Wer nicht will, müsse seinen Online-Termin stornieren.
Die kurzfristige Ankündigung dürfte den ein oder anderen Impfling verunsichern. Darf man mischen? Ursprünglich galt die Empfehlung, mit demselben mRNA-Impfstoff zu boostern, mit dem man auch geimpft worden war. Dies gilt nun nicht mehr. Moderna und Biontech seien von der Wirksamkeit und vom Risikoprofil gleichwertig, möglicherweise sei Moderna sogar noch etwas besser, betonte der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts Klaus Cichutek am Montag.
Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns fordert einen Rücktritt Spahns
Der Ärger über Spahn ebbt indes nicht ab. Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) forderte am Samstag gar die Absetzung des Ministers. "Diese erneute Sabotage der Impfkampagne" müsse umgehend gestoppt werden. "Das ist ein Riesenchaos, eine totale Katastrophe, und das könnte die Impfungen zum Stoppen bringen", sagte Christoph Grassl, Regionalvorstand der KVB. Und das in einer Phase, in der alle so schnell wie möglich geimpft werden sollen und in der eigentlich genug Impfstoff da sei.
Oliver Abbushi, der Vorsitzende des Hausärzteverbands in München, unterstützt die Forderung der KVB nach Spahns Rücktritt. Er spricht von "unterster Schublade", das Versäumnis passe in eine ganze Reihe von Fehlleistungen. Abbushi wirft Spahn vor, er habe nur vorgeschoben, dass Moderna-Impfstoff verderben könnte. Schon als der Minister den Booster für alle verkündet habe, hätte er erkennen müssen, dass der Biontech-Impfstoff dafür gar nicht vorrätig sei.
Moderna habe bisher kaum eine Rolle in den Arztpraxen gespielt, sagt Abbushi. Nur 0,2 Prozent des verimpften Stoffs sei bisher von diesem Hersteller gewesen. Ärzte hätten keine Erfahrung mit Moderna. Der Impfstoff müsse anders aufgezogen werden. "Das ist völliges Neuland." 50 oder 60 Anfragen gab es Abbushi zufolge von Patienten am Montag alleine bei ihm, die beunruhigt seien, jetzt nicht den Impfstoff zu bekommen, dem sie vertrauten. Das führe zu "Verwerfungen in der Praxis". Dem Praxispersonal werde aufgebürdet, all die Anfragen aufzuarbeiten und Termine eventuell neu zu vergeben.