Impfstation in München:Wenn der Impfarzt die Maske unter der Nase trägt

MUENCHEN: Impfstation am Marienplatz

In der Warteschlange wird der Abstand noch eingehalten. In der Impfstation Marienplatz geht es dann sehr beengt zu.

(Foto: Leonhard Simon)

Geringe Abstände, nicht gestellte Anamnese-Fragen und ein Fehlverhalten beim Arzt: Die Zustände im städtischen Impfzentrum im Rathaus werfen einige Fragen auf.

Von Bernd Kastner

Der Security-Mann bittet die kleine Gruppe Wartender nach drinnen, sie haben einen der 12.30-Uhr-Termine. Impfstation Marienplatz, Rathaus. So ein Impftermin ist eigentlich rein privat; mitunter aber erlebt die Privatperson Sachen, die den Journalisten in dieser Privatperson staunen lassen. Wie am vergangenen Mittwoch, als einiges schiefläuft.

Reingelassen werden auch immer wieder Wartende ohne Termin. Drinnen, im ehemaligen Sporthaus Münzinger, fällt zunächst der Gegensatz zum Impfzentrum Riem auf: In den Messehallen gibt es viel Luft und viel Abstand zu anderen Menschen. Die Impfstation Marienplatz dagegen wirkt improvisiert und beengt, die Räume sind verwinkelt, die Decken niedrig. Wie viele Menschen sich dort gerade aufhalten, lässt sich nicht sagen, wohl aber, dass der Eineinhalb-Meter-Abstand oft nicht eingehalten wird. Nicht beim Gehen, nicht beim Warten in der Schlange oder auf Stühlen.

Die Papiere mit sensiblen Angaben liegen offen herum

Das Personal ist freundlich. Vor den Kabinen bittet ein Mitarbeiter die impfwilligen Menschen um ihre Unterlagen, dann legt er sie auf eine halbhohe Ablage. Sie bilden eine Dokumenten-Warteschlange, die Ärztinnen und Ärzte nehmen sie der Reihe nach weg. Das ist gerecht für die Wartenden. Aber diese Papiere mit sensiblen Angaben - Name, Adresse, Alter, Allergien, chronische Erkrankungen, Indikation - liegen offen da, und direkt daneben stehen zwei Stühle für die Wartenden. Zwar ist in den etwa zehn Minuten des Wartens niemand zu beobachten, der etwas auf den Papieren liest. Aber wäre es zu verhindern?

Es ist ein Kommen und Gehen zwischen den Kabinen. Bei zwei Männern, offensichtlich Impfärzte, fällt auf, dass sie ihre Maske unter der Nase tragen. Ein Versehen? Kurz darauf ist es einer dieser beiden Ärzte, der einen zum Impfen aufruft. Die Kabine ist eng. Drei Menschen sind jetzt drin, eine Mitarbeiterin am Computer, der Arzt, der Impfling. Abstand: wenige Zentimeter. Der Arzt trägt seine Maske weiterhin unter der Nase. Ob man ihn bitten dürfte, sie richtig aufzusetzen? Es folgt keine Entschuldigung, sondern ein unfreundlicher Blick. Er zieht die Maske etwas höher, dann, im zweiten Anlauf, sitzt sie richtig.

Der Name des Arztes ist kaum zu lesen, wohl aber seine Postleitzahl: 8000 München. 8000?

Welcher Arm? Links bitte. Desinfektionsspray, Piks, fertig. Und welcher Impfstoff war das jetzt? Biontech, lautet die Antwort. Nun sollte man noch sitzen bleiben, so war es bei Impfung eins und zwei, und es gibt auch einen weiteren Wartebereich neben den Kabinen. Dort aber sitzen so viele Menschen auf so eng stehenden Stühlen ihre 15 Minuten ab, dass es sicherer erscheint, rasch ins Freie zu gehen. Knapp eine halbe Stunde hat der Aufenthalt im früheren Sportladen gedauert.

Zurück am Schreibtisch fällt der Blick auf die Unterlagen, die die Assistentin in der Kabine mitgegeben hat, "Dokumentation Auffrischungsimpfung". Der Arzt hat die Impfung mit Unterschrift und Stempel bestätigt. Sein Name ist kaum zu lesen, wohl aber seine Postleitzahl: 8000 München. 8000? Diese Postleitzahl wurde vor knapp drei Jahrzehnten abgeschafft. Auf dem Papier sind Anamnesefragen vermerkt: Chronische Erkrankung? Allergien? Gesund? Blutverdünnende Medikamente? Covid-19-Erkrankung? Auch Antworten sind angegeben, allein, die Fragen wurden gar nicht gestellt, weder bei der Anmeldung, noch in der Kabine. Die Antworten sind jene von der ersten oder zweiten Impfung. Auf der Rückseite sind maschinell ein paar Kästchen angekreuzt. Dass man über den Impfstoff aufgeklärt wurde, dass man den Aufklärungsbogen durchgesprochen habe, dass man eine Einverständniserklärung unterzeichnet habe. Auch das stimmt nicht.

Das Gesundheitsreferat bestätigt indirekt: Da ist einiges schiefgelaufen

All das erlebt man fast zwölf Monate nach Beginn der Impfkampagne, in einem Impfzentrum der Stadt München, mitten in der vierten Corona-Welle. So erwachsen dem privaten Termin einige journalistische Fragen. Die Aicher Ambulanz als Betreiberin der Impfstation antwortet, dass sich zu den Impfzentren allein die Stadt äußere, so sei es vereinbart. Das Gesundheitsreferat (GSR) von Beatrix Zurek (SPD) beantwortet die Fragen und bestätigt indirekt: Da ist einiges schiefgelaufen.

Nein, schreibt der GSR-Sprecher, für die Gestaltung der Arztstempel gebe es keine Vorgaben. Während die veraltete Postleitzahl eher ein Kuriosum ist, ist die Zahl der Personen, die sich gleichzeitig im Impfzentrum aufhalten, durchaus relevant, doch auch dafür gelte: keine Vorgaben. Jetzt aber sei der Sicherheitsdienst "angewiesen, die Abstandsregeln konsequent umzusetzen".

Es fällt auf, dass Geschäfte reglementiert sind, und eine Person pro zehn Quadratmeter erlaubt ist, obwohl nur Geimpfte und Genese reindürfen, wird ausgerechnet im Impfzentrum eine mögliche Ballung hingenommen. Dort, wohin Ungeimpfte gehen sollen, das ist ja Ziel der Politik. Und wie passen offen hingelegte Unterlagen zum Datenschutz? Der GSR-Sprecher schreibt: Man überprüfe dies und werde "gegebenenfalls umgehend eine Änderung des Prozesses veranlassen".

Man habe den Prozess der Registrierung verschlankt und beschleunigt, erklärt das Gesundheitsreferat

Die nicht gestellten Anamnese-Fragen und die falschen Angaben auf der Dokumentation versucht das GSR so zu erklären: Man habe den Prozess der Registrierung verschlankt und beschleunigt. Beim Boostern würden Daten der zu impfenden Menschen "erneut abgefragt", aber nur beim Check-In, nicht mehr in einem separaten Dokument. Immer? Es könne "zu individuellen Abweichungen kommen", die Impfung liege in der Verantwortung der Ärztinnen und Ärzte. Dabei könne "eine unterschiedliche Gewichtung auf manche Problem- und Fragestellungen gelegt" werden. Jeder, der geimpft werden möchte, könne aber "sehr gerne proaktiv" Fragen stellen.

Und die Hygieneregeln? Ja, es gebe sie für alle Impfzentren, das Personal sei etwa durch Aushänge und das morgendliche Briefing informiert, und als Reaktion auf die Fragen der SZ habe man "eine Sensibilisierung aller Mitarbeitenden veranlasst". Alle seien "an der Umsetzung beteiligt". Alle? Trägt ein Arzt seine Maske "nicht korrekt", schreibt das GSR, so sei das "als individuelles Fehlverhalten zu werten", das liege "allein in der Verantwortlichkeit" dieses Arztes. Und weiter: "Der betreffende Arzt wurde abgezogen."

Zur SZ-Startseite
Achtung: einmalige Nutzung für Interview in GES, Online Inklusive: Dr. Heidi Kastner, Psychiaterin.

SZ PlusPsychologie
:"Dummheit hat Hochkonjunktur!"

Die bekannte Gerichtspsychiaterin Heidi Kastner erklärt im Interview, warum man nicht mit allen reden muss, welche Menschen zu blöden Entscheidungen neigen und wieso Dummheit nicht unbedingt eine Frage der Intelligenz ist.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: