Schule in der Corona-Krise:Wieder auf Distanz, wieder überrascht

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Eine Szene aus dem bisherigen Alltag: Schülerinnen und Schüler nehmen mit Mund- und Nasenschutz am Unterricht in einem Geografie-Seminar in der Jahrgangsstufe elf am staatlichen Gymnasium Trudering teil. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Die Schulen sollten so lange wie möglich offen bleiben - jetzt wird trotzdem ein großer Teil der Klassen bis Weihnachten daheim unterrichtet. Unter Schülerinnen und Schülern wächst die Angst um ihre Zukunft.

Von Jakob Wetzel

"Die Angst geht um, besonders in der Oberstufe", sagt Alexander Löher. Der 18-Jährige geht in die zwölfte Klasse im privaten Neuhof-Gymnasium in Sendling und will in diesem Schuljahr Abitur machen. Er spricht aber nicht für sich: Löher ist Bezirksschülersprecher in Oberbayern-West und im Vorstand der Münchner "StadtschülerInnenvertretung" (SSV), er hat ein Ohr für die Sorgen aller Schüler. Diese sind zurzeit groß. Und seit dieser Woche sind sie noch ein bisschen größer.

Der Distanzunterricht ist wieder da. Um die Corona-Pandemie einzudämmen, erhalten Münchner Schülerinnen und Schüler ab der achten Klasse zunächst bis zu den Weihnachtsferien keinen Unterricht mehr in den Schulen, sondern daheim; Ausnahmen gibt es nur für Abschlussklassen. Doch die Schüler hätten noch nicht einmal das vergangene Schuljahr verdaut, warnt Löher. Von Gymnasien, Realschulen oder Mittelschulen, überall gebe es dieselben Sorgen.

Alexander Löher, 18, Bezirksschülersprecher Oberbayern-West und im Vorstand der Münchner "StadtschülerInnenvertretung" (SSV). (Foto: Gino Dambrowski)

In seiner eigenen Klasse sei neulich eine Mathe-Klausur mit einem Schnitt von 2,2 ausgefallen - 2,2 von 15 Punkten, wohlgemerkt, das entspricht der Schulnote 5-. Kein Lehrer wünsche sich einen derart miesen Notenschnitt, aber den Schülern fehlten eben Grundlagen: Im zweiten Halbjahr der elften Klasse hätten sie nicht denselben Unterricht bekommen. Die Lücken seien bis zum Abschluss kaum zu schließen, "uns läuft die Zeit davon". Und jetzt dürften zwar wenigstens die Abschlussklassen weiterhin kommen - "aber bleibt das so, oder ist das auf Bewährung? Wir wissen es nicht."

Löher hat sich am Donnerstag mit drei weiteren Schülerinnen und Schülern der SSV sowie mit der Vorsitzenden des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) Simone Fleischmann an die Öffentlichkeit gewandt: Zusammen forderten sie in Anbetracht der Krise mehr Fairness und weniger Druck. Der sei schon im bisherigen Schuljahr höher gewesen, wegen der Furcht vor einem neuen Lockdown, höre er immer wieder, sagte Julien Greiner, 17, von der SSV. "Da muss von staatlicher Seite die Nachricht kommen: Dieses Schuljahr sind die Noten zweitrangig!" Als stattdessen die Nachricht kam, dass es erneut Distanzunterricht gibt, hätten einzelne seiner Mitschüler geweint.

Verglichen mit dem Lockdown im März sei aber manches mittlerweile besser, berichten die Schülerinnen und Schüler. Es gebe kein Durcheinander wie im Frühjahr, als Arbeitsaufträge oft über verschiedenste Kanäle kamen, sagt Greiner. Die Schulen hätten voneinander gelernt. Auch die Kommunikation zwischen Lehrern, Eltern und Schülern gelinge besser, sagt Mireia Herrer, 17. Die Schulen erhielten mehr Aufmerksamkeit, Schüler kämen häufiger selber mit ihren Problemen zu Wort, sagt Löher, das sei gut.

Wie der Distanzunterricht konkret abläuft, unterscheide sich von Fach zu Fach, erzählt Giuliana Stoll, 17. Manche Lehrer würden regelmäßig per Videokonferenz unterrichten, andere würden vor allem Material über die Lernplattform Mebis verteilen. Diese Plattform freilich ist am Mittwoch wegen einer Panne prompt für zweieinhalb Stunden ausgefallen. Auch am Donnerstag habe es Probleme gegeben, berichten Schüler. Das erinnert an den März: Als da die Schulen schließen mussten, war Mebis überlastet und gleich am ersten Tag stundenlang nicht zu erreichen.

Die Schulen hat der Distanzunterricht im Frühjahr vielfach kalt erwischt - und das ist auch jetzt nicht anders. Denn bisher war stets die Rede davon gewesen, bei hohem Infektionsgeschehen sollten die Schulen in den Wechsel- oder Hybridunterricht gehen, also die Klassen teilen und die Gruppen abwechselnd in der Schule und daheim unterrichten. Erst vor einer Woche sei noch angekündigt worden, die Klassen würden geteilt, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz auf über 200 pro 100 000 Einwohnern steige, sagt ein vom Hin und Her genervter Schulleiter. Kaum habe sich die Schule darauf eingestellt, hieß es am Sonntag: In dem Fall gebe es keinen Wechsel-, sondern Distanzunterricht, aber nur für bestimmte Klassen. Das gelte ab Mittwoch, verbindliche Details gab es aber zunächst keine. Ausgerechnet zum Stichtag überschritt München dann den kritischen Schwellenwert. Fleischmann vom BLLV forderte am Donnerstag klare Vorgaben aus dem Kultusministerium, wie es im Januar weitergehen soll.

Dass nun die einen Klassen zuhause hocken und die anderen in die Schule gehen, macht es für die Schulen ohnehin kompliziert: Die Lehrerinnen und Lehrer müssen jetzt je nach Stundenplan abwechselnd Distanz- und Präsenzunterricht geben. Sie würden dazu vor allem Mebis nutzen, heißt es aus mehreren Schulen: Dort würden Aufgaben für die Schüler hinterlegt, sagt zum Beispiel Helmut Martin, der Leiter des Wittelsbacher-Gymnasiums in der Maxvorstadt. Schulen und Lehrer täten ihr Bestes. Sie hätten schon im September Wochenpläne für alle Klassen erstellt, sagt Alexander Schröder, Direktor des Erasmus-Grasser-Gymnasiums am Westpark. Die Lehrer seien zudem angehalten, mit den Schülern mindestens eine Videokonferenz am Tag zu machen, "damit es nicht so schlimm ist". Ob das funktioniere, hänge aber vom Wlan ab. "In bestimmten Räumen" klappe das.

Tatsächlich hat sich an der technischen Ausstattung vieler Schulen seit März wenig geändert: Es gibt Leih-Tablets für Schüler, und die Stadt will sämtliche Schulen mit Wlan und Dienst-Computern ausstatten - doch da steht noch ein Stadtratsbeschluss aus. Bisher sei nichts von dem angekommen, was die Politik versprochen habe, klagt ein Direktor. Es sei wie im März, nur die Lehrer hätten sich inzwischen fortgebildet: Wie im Frühjahr nutzten sie wieder ihre Privatgeräte, um sich um die Klassen daheim zu kümmern, mal in einer Zwischenstunde im Schulhaus, mal von zuhause aus. Da sei auch das Wlan stabiler.

© SZ vom 11.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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