Süddeutsche Zeitung

Haushalt in Corona-Zeiten:München macht mehr als eine halbe Milliarde Euro Verlust

Eine neue Steuerschätzung verschärft die Finanzsituation der Stadt. 2021 drohe eine "historisch einmalige" Lage, warnt der Kämmerer, OB Reiter sieht eine bisher beispiellose Krise - die CSU übt scharfe Kritik.

Von Anna Hoben

Die Botschaft ist unmissverständlich: Es sei keineswegs so, dass nur ein oder zwei saure Jahre auf die Stadt zukämen, und dann gehe es wieder so weiter wie bisher, sagt Stadtkämmerer Christoph Frey, "sondern es bleibt dabei in den kommenden Jahren: sparen, sparen, sparen". Das klang am Freitag in einer Pressekonferenz der Rathauskoalition noch ein bisschen anders. Auch da war die Rede von der Notwendigkeit des Sparens im laufenden Geschäft der Verwaltung. Gleichzeitig aber verkündeten Grüne und SPD, dass sie im kommenden Jahr trotz der coronabedingten Finanzkrise 200 Millionen Euro zusätzlich investieren wollen - in den Bereichen Wohnen und Soziales, in die Verkehrswende und in den Klimaschutz. Die Summe ist in den Berechnungen der Stadtkämmerei für 2021 noch nicht inkludiert.

Die Kämmerei geht nun von einem noch größeren Minus für das kommende Jahr aus als erwartet. Rund 550 Millionen Euro Verlust werde die Stadt im kommenden Jahr machen, so Frey. Ein so schlechtes Ergebnis sei "historisch einmalig" und zeige, dass die Stadt auch 2021 "erhebliche Unterstützung" von Bund und Freistaat brauche.

Der Hauptgrund für die prognostizierten hohen Verluste in den kommenden Jahren seien die Ausfälle bei der Gewerbesteuer. Grüne und SPD hatten am Freitag noch von einem Defizit in Höhe von 400 Millionen Euro gesprochen. Da kannten sie allerdings das Ergebnis einer aktualisierten Steuerschätzung noch nicht. Man habe nicht gewusst, dass der Kämmerer die aktuelle Steuerschätzung noch einarbeiten würde, sagte SPD-Fraktionschefin Anne Hübner am Montag.

Die Haushaltslage stelle sich dadurch nochmals kritischer dar und man müsse das bis zum Haushaltsbeschluss im Dezember in die Planungen einarbeiten. Wie es 2021 wirklich aussehen werde, sei aber auch ein "Blick in die Glaskugel". Die Steuerschätzung sei "ein Stück weit Kaffeesatzleserei", sagte Grünen-Fraktionschef Florian Roth. Man lebe mit Corona "ein bisschen auf Sicht". Das Ziel am Freitag sei aber weniger gewesen, aktuelle Zahlen zu präsentieren, sondern politische Schwerpunkte zu setzen.

Oberbürgermeister Dieter Reiter fand am Montag deutliche Worte zur Haushaltssituation: "Das ist die schwerste Finanzkrise, die ich in meiner gesamten Berufslaufbahn erlebt habe", sagte er, "schlimmer noch als die Finanzkrise 2008". Das kommende Jahr werde finanziell "ein noch herausfordernderes Jahr für München, sollten die diversen Rettungsschirme von Bund und Freistaat - so wie es jetzt aussieht - wohl wegfallen". Deshalb müsse nun intensiv darüber nachgedacht werden, wo die Stadt sparen könne, im investiven Bereich und im laufenden Geschäft. Seine Prioritäten bei den Investitionen: den Ausbau im Schul- und Kitabereich fortsetzen, den Ausbau des ÖPNV weiter vorantreiben. Im Sozialbereich werde man sogar mehr Geld ausgeben müssen, um den Menschen durch die Krise zu helfen.

Seit 2014 hat die Stadt 6000 neue Stellen in der Verwaltung geschaffen, insgesamt gibt es 36 000 Stellen. Das sei richtig gewesen, sagt Reiter, "aber das kann unter den derzeitigen Bedingungen natürlich nicht so weitergehen". Freiwerdende Stellen müssten nicht zwangsläufig immer neu besetzt werden - in welchem Umfang genau, müsse der Stadtrat diskutieren. Personal- und Organisationsreferent Alexander Dietrich geht davon aus, dass im kommenden Jahr 500 Stellen nicht nachbesetzt werden. Durch die Politik der vergangenen Jahre sei die Personalausstattung allerdings aktuell sehr gut, "ich denke, dass 500 verschmerzbar sind", so Dietrich. Ausgenommen sein sollen die Stellen mit Kundenkontakt, etwa in den Bürgerbüros oder im Sozialreferat. Betriebsbedingte Kündigungen seien ausgeschlossen.

Die Kämmerei rechnet für 2021 mit einer Neuverschuldung von 1,32 Milliarden Euro. Bis 2024 könnte jedes Jahr ungefähr eine Milliarde dazukommen. Die Schuldenobergrenze für die kommenden Jahre bis 2024 sieht Frey bei knapp 5,8 Milliarden Euro - "immer noch extrem hoch für das, wo wir herkommen, aber das könnte die Stadt noch stemmen". Jede Milliarde Euro Schulden koste die Stadt jährlich 50 Millionen, sagte Frey - Geld, das an die Banken geht. Um einem drohenden Anstieg des Schuldenstandes bis Ende 2024 auf mehr als sieben Milliarden Euro vorzubeugen, schlägt er vor, jedes Jahr 200 Millionen Euro im laufenden Geschäft der Verwaltung einzusparen sowie die Investitionen um 300 Millionen Euro zu reduzieren.

Die Wolken am Finanzhimmel seien noch dunkler als befürchtet, kommentiert der finanzpolitische Sprecher der CSU, Hans Theiss, die Lage. Und kritisiert die Regierungskoalition heftig: Grüne und SPD müssten "aus ihren Träumen aufwachen" und den Bürgern "endlich erklären, wo sie einsparen und wie sie damit durchkommen wollen". Dass die Politik auf eine derart drastische Finanzkrise mit zusätzlichen Investitionen antworte, sei "jenseits jeder Realität". In Zeiten klammer Kassen 100 Millionen Euro zusätzlich für Klimaprogramme auszugeben, sei "schwierig". Die Koalition müsse sich außerdem von ihrer "sündhaft teuren Verkehrsideologie" verabschieden. Man müsse nun "schauen, dass man die Stadt am Laufen hält".

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SZ vom 17.11.2020/van/infu
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