Süddeutsche Zeitung

Corona-Demo in München:Der Tanz um die Maske

10 000 Menschen demonstrieren in München gegen die Corona-Maßnahmen der Politik. Szenen wie in Berlin gibt es nicht - ausgetragen wird der Konflikt zwischen Staat und Demonstranten trotzdem.

Von Heiner Effern und Andreas Schubert

Als kurz nach 14 Uhr nichts mehr geht, ziehen die "Querdenker 089" selbst die Reißleine. Eine Stunde stehen sie nun in der Sonne auf der Gabelsberger Straße, und die Polizei lässt sie keinen Schritt weiter. Denn es sind viel mehr als die 500 Demonstranten, die vom Odeonsplatz zur Theresienwiese marschieren dürfen, um gegen die Corona-Regeln in Deutschland zu protestieren. Und kaum einer trägt eine Maske. "Es geht bei der Mund-Nasen-Bedeckung einfach nur darum, dass man uns schikanieren möchte. Das weiß jeder", sagt Markus Haintz vom Lastwagen an der Spitze des Zugs hinunter. Die zwei veranschlagten und genehmigten Stunden seien nun vorüber. "Deswegen werde ich jetzt diese Versammlung hier beenden", sagte er. Man sehe sich ja gleich auf der Theresienwiese zur Hauptveranstaltung.

Die Demonstranten sind damit der Polizei zuvorgekommen, die wegen der zu vielen Teilnehmer und der vielen Verstöße gegen die Maskenpflicht ihrerseits den Zug aufgelöst hätte. Doch das Ende des Marsches bedeutet nicht das Ende des Demonstrationstags in München. Und der Tanz und der Kampf um das Tragen der Maske wird an diesem Samstag zum Symbol für den Konflikt, der hier ausgetragen wird.

Auf der einen Seite die Demonstranten, für die es keine Corona-Pandemie gibt und die alle Maßnahmen des Staates als Willkür und Unrecht geißeln. Auf der anderen Seite die Polizei als Vertreter des Staats, die die Regeln zur Eindämmung der Pandemie durchsetzen soll, also auf Abstand und das Tragen von Masken achten. Und mittendrin und ständig am Mikrofon dieser Markus Haintz, Rechtsanwalt vieler "Querdenker"-Initiativen, der ununterbrochen auf Auflagen hinweist und trotzdem mit seinen rechtlichen Anmerkungen den Konflikt befeuert. Der sich und seine Mitstreiter an einem Tag so vielem Unrecht ausgesetzt sieht, dass man damit locker ein Buch füllen könnte.

Doch seine Mitdemonstranten hören auf ihn, meistens jedenfalls. Sie zerstreuen sich in der Gabelsbergerstraße und wandern hinüber zur Theresienwiese, wo sich nach Schätzung der Polizei etwa 10 000 Menschen einfinden. Menschen, die ständig Freiheit und Friede skandieren. Die kaum Masken tragen, dafür viele Schilder. Die die Seele für wichtiger halten als den Körper. Die keine Impfungen mögen. Deren Kinder in der Schule keine Maske tragen sollen. Die wegen der Corona-Maßnahmen beruflich oder wirtschaftlich in Schwierigkeiten geraten sind. Aber auch Menschen, sehr rechte Menschen, die diesen demokratischen Staat ablehnen. Sie schwingen keine Reichsfahnen wie in Berlin, aber sie sind da. Mal sichtbar und zuordenbar wie etwa der Bavarian Brotherhood, dem Bündnis Deutscher Patrioten oder der QAnon-Bewegung. Oder unerkannt in diesem bürgerlichen Umfeld aufgehend.

Vorne will zu dieser zusammengewürfelten Menge um 16 Uhr auf der Bühne Michael Ballweg sprechen, der Initiator der deutschlandweiten "Querdenken"-Initiative. Doch die Abstände, die seine Zuhörer untereinander einhalten, sind sehr gering. Und wieder sind kaum Masken zu sehen. Markus Haintz springt schon wieder fast im Minutentakt auf die Bühne, um die Demonstranten auseinanderzutreiben, Unrecht und Rechtsskandale zu verkünden. Von Ballwegs Rede bleiben nur zerstückelte Sätze ohne große Botschaft. Vor der Bühne beginnen Polizisten durch die Reihen zu gehen und Menschen systematisch aufzufordern, Mund und Nase zu bedecken. Eine zähe Aufgabe, die viel Geduld erfordert, weil ihnen eine andere Überzeugung, Unmut und auch Provokation entgegenschlägt.

Bei der Gegendemonstration um 14 Uhr auf dem Goetheplatz tragen alle ohne Murren eine Maske, auf dem Boden haben die Organisatoren Kreidestriche aufgemalt, die als Orientierung für den nötigen Abstand von anderthalb Metern dienen sollen. Und obwohl der kleine Platz am U-Bahneingang voll ist, halten sich die Menschen daran. Man grenzt sich ab, was auch in den Reden deutlich wird. Ein Bündnis aus fast 50 Organisationen hat dazu aufgerufen, unter dem Motto "Solidarität statt rechter Verschwörungswahn".

Sehr deutliche Worte findet etwa Max Brym, Trainer beim jüdischen Sportverein TSV Maccabi. Er bezeichnet die Demonstranten der "Querdenker" als "bescheuertes, rücksichtloses Kleinbürgertum". Dann erzählt er noch einmal die Geschichte, wie er Ende Mai im Englischen Garten von einem Radfahrer mit "Coronaleugner"-T-Shirt antisemitisch beleidigt wurde, die Juden "hätten das mit Corona gemacht". Brym redet sich regelrecht in Rage und fordert, man müsse "diese Typen in die Flucht schlagen".

Insgesamt ist die Gegendemonstration entspannt, mit lautem Applaus reagiert die Menge auf die Nachricht, dass der Zug der anderen aufgelöst worden sei. Ganz ohne Humor geht es auch hier nicht zu: Eine Demonstrantin und ein Demonstrant haben Schilder mit "Wir gratulieren den Absolventen der Youtube-Universität", und "So viel Fantasie, so wenig Verstand".

Gegendemonstranten gibt es auch auf der Theresienwiese. Diese provozieren gleich zu Beginn mit Schildern, mischen sich unter die Zuhörer, skandieren Parolen gegen Rechtsextremismus. Während es vorne kleinere Auseinandersetzungen gibt, haben es sich im Schatten der Bäume am Bavariaring einige "Querdenker"-Sympathisanten mit Picknickdecke und Bier gemütlich gemacht. Die Bühne ist zwar weit weg, aber die einzelnen Reden versteht man dennoch gut. Vereinzelt gibt es Szenenapplaus, doch als sich die Polizei um kurz nach halb fünf mehrmals per Lautsprecher zu Wort meldet, erntet sie auch hier viele Pfiffe.

Ein paar Meter weiter allerdings haben sich auch ein paar junge Leute, die vorher bei der Gegendemo am Goetheplatz waren, positioniert und klatschen bei der Ansage einer Polizistin "der Infektionsschutz wird nicht eingehalten", die Veranstaltung sei ab sofort unterbrochen. Parallel dazu spricht der Redner auf der Bühne einfach weiter, es ist wie ein Scharmützel per Lautsprecher, denn die Polizistin wiederholt ihre Ansage. Schließlich wird die Demo unterbrochen, bis wenigstens alle Abstände eingehalten sind.

Normalerweise wäre die Theresienwiese in diesen Tagen bereits mit Zelten und Fahrgeschäften vollgestellt, am nächsten Samstag wäre hier Wiesn-Auftakt. Stattdessen ist die 42 Hektar große Fläche nun Aufmarschfeld. Junge Frauen im Dirndl, ältere Frauen mit sehr bunten Kleidern und Hüten, die scheinbar weltvergessen Tänze aufführen, Frauen die Tai-Chi-Übungen machen, während Heiko Schöning von "Ärzte für Aufklärung" die Pandemie zur Inszenierung erklärt und von "internationalem Verbrechen" spricht. Männer, die mit Flaschenbier auf solche Thesen anstoßen.

Und ein junger Mann von der Gegenseite, der mit einem "Solidarität statt Verschwörungswahnsinn" den Bürgersteig am Bavariaring abwandert und einen Bollerwagen hinter sich herzieht, auf den er seine Soundanlage gepackt hat. "No woman, no cry" von Bob Marley hat er dabei, auch ein paar fröhliche Songs. Und es dauert nicht lange, bis er angefeindet wird, er störe die Veranstaltung. Am Straßenrand sind viele Autos von außerhalb geparkt, was eigentlich nichts Ungewöhnliches ist. An Aufklebern wie "Gib Gates keine Chance" an einem Rosenheimer Wagen ist aber zu erkennen, dass der Fahrer höchstwahrscheinlich gerade auf der Theresienwiese demonstriert.

Mit auffällig geparkten Fahrzeugen hat der Demo-Samstag schon begonnen. Als sich die "Querdenken"-Sympathisanten am späten Vormittag am Odeonsplatz versammeln, ist der Vorplatz der Feldherrnhalle fast komplett mit Polizeibussen vollgestellt. Oben auf den Stufen sind streng aussehende Beamtinnen und Beamte postiert, schließlich gilt in Bayern nicht nur Maskenpflicht bei Veranstaltungen mit mehr als 200 Personen, sondern auch eine Vorgabe der Politik: Szenen wie in Berlin, als Demonstranten der rechtsextremen Szene die Treppe des Reichstagsgebäudes besetzten und Reichsflaggen schwenkten, soll es auf keinen Fall geben.

Das scheint auch zu gelingen, was auch dem immensen Polizeiaufgebot geschuldet ist. Das hat nicht nur strategisch geschickt geparkt, sondern mit 1500 Beamten andere sensible Orte geschützt und die Demo begleitet. Als um 19.30 Uhr die letzte Versammlung endet, stehen in der Bilanz der Polizei 20 Anzeigen zum Beispiel wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung, Körperverletzung und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Und 100 Anzeigen wegen der Weigerung, Mund und Nase zu bedecken.

Mitarbeit: Noah Drautzburg und Julian Thamm

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