Süddeutsche Zeitung

Wegen Corona-Lockdown:Münchner Clubs verklagen Freistaat

Dabei geht es den sechs Betreibern weniger darum, dass sie wieder öffnen wollen. Sie fühlen sich allein gelassen und fordern Entschädigung.

Von Franz Kotteder und Jakob Wetzel

Alexander Spierer will nicht missverstanden werden. Es sei richtig und auch nötig gewesen, Clubs zu schließen, um das Coronavirus einzudämmen, sagt der Gastronom. Er betreibt in München unter anderem den Sweetclub am zentralen Maximiliansplatz. Party gehe nicht vor Gesundheit, sagt er. Das ist ihm wichtig. Deshalb habe er seinen Club bereits Mitte März geschlossen, zwei Wochen bevor die Regierung das verfügt habe. Doch seither, klagt er, würden die Clubbetreiber von der Politik weitgehend alleingelassen. Nicht ansatzweise reichten die bisherigen Hilfen aus. Er sehe deshalb keinen anderen Weg.

Spierer hat sich mit den Betreibern von sechs weiteren Münchner Clubs zusammengetan. Sein Anwalt Christoph Limm hat nun einen Normenkontrollantrag beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingereicht. Die bayerische Staatsregierung habe gegen geltendes Recht und gegen das Grundgesetz verstoßen, als sie per Verordnung am 27. März unter anderem den Betrieb von Clubs untersagt hat, heißt es darin. Bis eine Entscheidung falle, könne es dauern, sagt Anwalt Limm.

Doch anders als in den vielen bisherigen, erfolglosen Eilverfahren geht es auch gar nicht darum, dass der Clubbetreiber umgehend wieder öffnen will. Es geht vielmehr um zwei andere Dinge: Juristisch geht es um Schadenersatz. Spierer zieht vor Gericht, damit er später einmal den Staat für seinen Schaden haftbar machen kann - und damit er sich dann nicht sagen lassen muss, er trage eine Mitschuld, weil er nichts unternommen habe.

So wie Spierer und seine Münchner Kollegen hoffen viele Gastronomen in ganz Deutschland auf die Gerichte. Durch den Lockdown stehen viele Lokale vor dem Ruin und suchen ihr Heil in Klagen gegen die Verordnungen. Mut machten ihnen verschiedene Teilerfolge. So kippten in Bayern die Gerichte gleich mehrere Anordnungen der Staatsregierung - etwa die, mit der ersten Lockerung Gäste im Freien nur bis 20 Uhr bewirten zu dürfen, in geschlossenen Räumen aber bis 22 Uhr. Wenig später fiel dann auch diese Sperrstunde. Die Richter befanden, wenn das bayerische Wirtschaftsministerium den mutmaßlich steigenden Alkoholkonsum nach 22 Uhr für die Ursache allen Übels halte, dann solle es doch besser gleich den Alkoholausschank zeitlich begrenzen.

Diese Urteile nährten die Hoffnung bis hin zum Mut der Verzweiflung, auf dem Rechtsweg auch Schadenersatzforderungen durchzusetzen. Vielen Betrieben steht das Wasser nach den Zwangsschließungen bis zum Hals, der deutsche Hotel- und Gaststättenverband rechnete schon nach wenigen Wochen damit, dass ein Drittel der Lokale und Hotels das Jahr nicht überstehen würde. Besonders hart hat es die Bars, Clubs und Discos getroffen; viele von ihnen dürfen immer noch nicht öffnen. Vorschläge, wie es weitergehen könnte, sind mittlerweile aber auf dem Tisch. Der Stuttgarter Club Lehmann etwa bringt ein personalisiertes, zentrales Ticketsystem ins Spiel. Wer ausgehen will, müsste dann vorab ein Ticket kaufen und dürfte dann nur an einem Abend pro Woche in einem einzigen Club tanzen und feiern. Die Clubs selbst bekämen nur eine deutlich reduzierte Kapazität zugewiesen, und wer eine Party besuche, sei danach für andere Clubs und Partys erst einmal gesperrt. Aber auch der Lehmann-Vorschlag ist nur ein Denkmodell, bislang gibt es noch keine Perspektive dafür.

Ob der Klageweg eine ist? Juristen sind da eher skeptisch. Die Pandemie ist schließlich keine Erfindung des Staates, auch wenn manche Hygienedemonstranten fest daran glauben. Und das Infektionsschutzgesetz spricht auch von "notwendigen Schutzmaßnahmen", für die es keine Entschädigung gebe. Verdienstausfall wird nur vereinzelt ersetzt - wenn jemand beispielsweise vom Gesundheitsamt in Quarantäne geschickt wird. Die präventive Stilllegung ganzer Branchen ist im Gesetz nicht geregelt.

Den Clubbetreibern dürfte klar sein, dass ihre Erfolgsaussichten begrenzt sind

Bisher haben die Gerichte Kläger, die wegen des Lockdowns Schadenersatz von den Landesregierungen wollten, abblitzen lassen. Den Anfang machte schon Ende April das Landgericht Heilbronn. Es lehnte den Eilantrag einer Friseurin auf Entschädigung ab, die von ihr geltend gemachten entgangenen Erwerbs- und Gewinnaussichten rechtfertigten keinen Entschädigungsanspruch im Sinne des Gesetzes - auch weil sie Zuschüsse und Kurzarbeitergeld erhalten habe. Und das Landgericht Hannover lehnte erst Anfang Juli die Klage eines Gastwirts gegen das Land Niedersachsen ab. Der wollte Schadenersatz für die coronabedingte Schließung in Höhe von 10 000 Euro, weil er seine Ausflugsgaststätte am Steinhuder Meer hatte dichtmachen müssen. Das wäre zwar auch nur ein Fünftel seines Verdienstausfalls gewesen, aber der Richter schmetterte seine Klage dennoch ab: Aus dem Infektionsschutzgesetz ergebe sich kein Anspruch auf Entschädigung, das habe der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Hätte der Bundestag das gewollt, dann hätte er das Ende März beschließen können, als er das Gesetz das letzte Mal zugunsten der Verdienstausfallregelungen für Eltern geändert hatte.

Auch den Münchner Clubbetreibern ist klar, dass die Erfolgsaussichten ihrer Normenkontrollklage möglicherweise überschaubar bleiben. Aber es geht ihnen vor allem auch um Aufmerksamkeit, sagen sie. Das Verfahren sei eigentlich ein Hilferuf, so ihr Anwalt Limm. Die Clubs stünden vor dem Aus, sie wollten endlich in einen Dialog mit der Politik treten - und am Ende Teil der Lösung sein. Sie wollten dazu beitragen, dass nicht mehr Hunderte Partygänger unkontrolliert auf öffentlichen Plätzen feiern, ohne Masken und ohne Abstand, weil sie nicht wissen, wohin sie sonst gehen sollten, steht in einem Begleitschreiben zum Antrag ans Gericht. "Wir, die Clubs, sind hier und wollen dazu beitragen, dass kontrolliert und in Abstimmung mit den Behörden weitere Ausbrüche verhindert und damit Menschenleben gerettet werden." Clubs seien schließlich spezialisiert auf Zugangskontrollen und darauf, Gäste zu erfassen, sagt Spierer. Damit ließen sich auch mögliche Infektionsketten leicht nachvollziehen.

Bislang hält sich die Gesprächsbereitschaft der Behörden aber sehr in Grenzen. Die Zeit ist anscheinend doch noch nicht reif fürs Tanzen und Feiern.

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SZ vom 01.08.2020/imei
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