Wirtschaft in München:Wenn Azubis zum Risikofaktor werden

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Die Corona-Krise kostet in München viele Ausbildungsplätze: Jeder achte Betrieb begründet so, warum er keine Lehrlinge einstellt. Die Handwerkskammer stellt allerdings große Unterschiede je nach Berufsgruppe fest.

Von Christian Rost, München

Carlos Barroca und seine Kompagnons leben Engagement. Drei Männer und eine Frau betreiben die Friseursalons "Unison" in München und im benachbarten Poing mit insgesamt 27 Mitarbeitern und bilden auch in diesem Jahr trotz äußerst schwieriger Voraussetzungen Lehrlinge aus. Sechs Jugendliche beginnen im Herbst ihre Ausbildung im Friseurhandwerk. Das ist in Corona-Zeiten nicht selbstverständlich - weder für die jungen Leute noch für einen Betrieb, der sich selbst neu strukturiert hat und von den Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft schwer getroffen war.

Die Inhaber hatten sich gerade erst zusammengeschlossen und mit ihren Ersparnissen "Unison" neu gegründet, als von März an der Lockdown mit seinen strikten Kontaktbeschränkungen Branchen wie das Friseurhandwerk zu Schließungen zwang. Ohne Umsätze, aber schließlich mit Einsparungen, guter Beratung und Staatshilfen schafften es die Friseure durch die Krise. Seit den Lockerungen läuft das Geschäft wieder, und Barroca setzte sich dafür ein, auch in diesem Jahr Lehrlinge auszubilden. Seit 20 Jahren gibt der gebürtige Portugiese sein Fachwissen mit Leidenschaft an Jüngere weiter.

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Er ist auf Seminaren als Trainer unterwegs und hat sich damit auch bei der Handwerkskammer für München und Oberbayern einen Ruf als erfahrener Ausbilder erarbeitet. Das gesamte Team habe diskutiert, ob es trotz des problematischen Jahres Auszubildende einstellen soll. Zwei Mitarbeiter stimmten dagegen und verließen "Unison" - alle anderen gingen das "kalkulierte Risiko" ein, wie Barroca sagt. Denn das Risiko bleibe für jeden Unternehmer in dieser Zeit, niemand könne vorhersagen, wie es mit Corona weitergehe.

Industrie, Handel und Handwerk stehen offenbar dennoch zu ihrer Verantwortung in Sachen Ausbildung. Laut einer Umfrage der Industrie- und Handelskammer in München gaben sogar drei Viertel der Betriebe an, "dass die Ausbildung trotz Corona normal weiterläuft", wie IHK-Präsident Eberhard Sasse berichtet. Nur 13 Prozent wollten aktuell keine Auszubildenden einstellen. Lediglich jeder hundertste Betrieb hat der Umfrage zufolge bereits für diesen Herbst abgeschlossene Ausbildungsverträge wieder aufgelöst. "Unser Eindruck bisher ist, dass trotz der teils dramatischen Auswirkungen auf die Wirtschaft, besonders in der Gastronomie und Hotellerie, die meisten Betriebe ganz bewusst und nachdrücklich auf die Ausbildung setzen, um nicht nach der Krise auch noch in eine Fachkräftekrise zu rutschen", so die IHK.

Die Handwerkskammer stellt bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen momentan große Unterschiede je nach Berufsgruppe fest. Ein deutliches Plus habe sich bei Metzgern, Land- und Baumaschinenmechatronikern sowie Malern und Lackierern ergeben. "Deutlich im Minus liegen die Abschlüsse bei Mechanikern für Reifen- und Vulkanisationstechnik, Fachverkäufern im Lebensmittelhandwerk oder Mechatronikern", so Andreas Tauscher, Sprecher der Kammer. Generell seien vor allem die industrienahen Dienstleister noch zurückhaltender bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen. "Wir hoffen dennoch, dass unsere Betriebe auch in diesem Herbst im ähnlichen Umfang ausbilden können wie in den Vorjahren." Rechnen müsse man mit einer starken Nachvermittlung weit nach dem offiziellen Ausbildungsbeginn im September. Viele Betriebe könnten laut Tauscher noch nicht absehen, wie gut sie die Krise wirtschaftlich verkrafteten. Zudem hätten viele Jugendliche ihre Abschlussprüfungen in diesem Jahr später geschrieben und bisher keine Gelegenheit, an einer Veranstaltung zur Berufsorientierung teilzunehmen.

Obwohl die Zahl der noch nicht besetzten Ausbildungsplätze um fast 13 Prozent gesunken ist im Vergleich zum Vorjahr, sind bei der Agentur für Arbeit in München momentan rund 4200 Stellen für Lehrlinge gemeldet. Damit, so Sprecherin Anne Beck, kommen auf jeden Ausbildungswilligen etwa eineinhalb freie Stellen. "Es gibt in allen Bereichen etwas." Auch die Agentur stellt fest, dass manche Betriebe zurückhaltender geworden sind bei der Vergabe und sich der gesamte Prozess in diesem Jahr weiter in den Herbst verschiebt - üblicherweise beginnt das neue Ausbildungsjahr am 1. September.

Die Auswahl an Ausbildungsplätzen ist also durchaus gut im Raum München. Nun gelte es allerdings, so Beck, die Jugendlichen auch zur Suche zu animieren. "Die Schule ist ausgefallen, die Eltern sind verunsichert von Kurzarbeit und Stellenstreichungen, das alles hat die Schulabgänger nicht gerade beflügelt", sagt sie. "Die Trägheit hat unter Corona noch zugenommen."

Um Bewegung in den Ausbildungsmarkt zu bringen, hat die Arbeitsagentur bereits online Video-Chats angeboten, weil die klassische Berufsberatung in den Schulen pandemiebedingt nicht stattfinden konnte. Serkan Engin bezeichnet es als "erhebliches Problem", dass die persönlichen Kontakte nicht möglich waren. Der Berufsberater der Handwerkskammer berichtet, dass sich zahlreiche Schulen bei ihm gemeldet und nach Angeboten erkundigt hätten. "Wegen der Kontaktbeschränkungen durften wir aber nicht an die Schulen."

Hinzu kam, dass die seit Jahren erfolgreiche Ausbildungsmesse "Last Minute" der Stadt München ausfallen musste. "Das erschwerte den jungen Leuten die Berufswahl zusätzlich", so Engin. Er engagiert sich deshalb für ein Alternativangebot, das die Stadt, die Volkshochschule und die Berufsverbände zusammen entwickelten. Wie so vieles in diesem Jahr, wird die Messe nun ins Internet verlagert - verbunden mit der Hoffnung, dass so die jüngere Generation vielleicht noch besser erreicht werden kann. Das digitale Messeformat "Last Week" wird vom 21. bis 25. September online laufen. Betriebe stellen sich vor und halten per Chat Informations- und Bewerbungsgespräche ab. Neben Ausbildungs- werden auch Praktikumsplätze angeboten.

Die Ausbildungs- und Praktika-Messe "Last Week" findet unter https://lhm-raw.expo-ip.com statt.

© SZ vom 19.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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