Hilfe in der Not:Das Virus hat das Ehrenamt verändert

Hilfe in der Not: Als die Tafel im Frühjahr um Hilfe bat, meldeten sich 3000 Freiwillige. Mittlerweile sind 25 der 27 Stationen - wie diese im Westend - wieder geöffnet.

Als die Tafel im Frühjahr um Hilfe bat, meldeten sich 3000 Freiwillige. Mittlerweile sind 25 der 27 Stationen - wie diese im Westend - wieder geöffnet.

(Foto: Dambrowski)

Die Pandemie macht die Arbeit von wohltätigen Organisationen komplizierter, Kontakte müssen eingeschränkt werden, die Not wächst. Doch zumindest an einem herrscht kein Mangel: Hilfsbereitschaft.

Von Sophia Kaiser

Lange Schlangen stehen vor einem roten Foodtruck am Karl-Stützel-Platz am Alten Botanischen Garten, die Menschen dort warten auf eine warme Mahlzeit. Von zwölf bis 17 Uhr bekommen Bedürftige hier Essen und ein Getränk. Ins Leben gerufen wurde die mobile Essensausgabe mit dem Namen Korbinian Küche während des ersten Lockdowns, denn viele andere Ausgabestellen, wie auch die der Tafel, blieben geschlossen. Doch die Not ist natürlich nicht verschwunden, gerade für Wohnungslose, Menschen in Kurzarbeit und ohne finanzielle Rücklagen hat sich die Lage sogar noch verschärft.

Nun wurde der Teil-Lockdown gerade wieder verlängert, Aufenthaltsräume für Wohnungslose bleiben geschlossen. Auch andere Angebote von ehrenamtlichen Helfern fallen weg. Besuche in Seniorenheimen zum Beispiel, Lernförderung und auch die Besuchsdienste von kranken oder behinderten Menschen seien gerade nicht möglich, erklärt Renate Volk, eine der Leiterinnen der Vermittlungsagentur Tatendrang. "Das ist sehr schade und macht uns Sorgen", sagt sie.

Wie steht es um die ehrenamtliche Hilfe in Corona-Zeiten - zum internationalen Tag des Ehrenamts an diesem Samstag? Gerade zu Beginn der Pandemie seien viele Helfer ausgefallen, weil sie älter seien und damit zur Risikogruppe gehörten, berichtet Volk. Viele hätten deshalb eine Pause eingelegt. Doch gerade auf deren Hilfe seien die meisten gemeinnützigen Organisationen angewiesen.

So auch die Münchner Tafel: Ein Großteil der Helfer ist dort älter als 65 Jahre. Im März habe es deswegen einen großen Ausfall gegeben, berichtet Axel Schweiger, Leiter von zwei Ausgabestellen. Statt wie sonst 27, habe es dann nur noch eine einzige Ausgabestelle an der Großmarkthalle gegeben. Über Facebook bat die Tafel jüngere Münchner um Unterstützung. Was dann passierte, kam für alle überraschend: "Wir wurden von einer Welle der Hilfsbereitschaft überrollt", sagt Schweiger, "das hat uns sehr berührt." Mehr als 3000 Menschen baten ihre Hilfe an und wurden kurz darauf in Schichten und auf verschiedene Arbeitstage aufgeteilt. Mittlerweile sind 25 der 27 Stationen der Tafel wieder geöffnet und auch einige der älteren Helfer sind zurückgekehrt.

"Gerade während des ersten Lockdowns war die Welle der Hilfsbereitschaft riesig"

Auch andere Organisationen wie die Freiwilligen-Zentren der Caritas, das Vermittlungsprojekt Gemeinsam Aktiv des Münchner Flüchtlingsrats und die Vermittlungsagentur Tatendrang haben ähnliche Erfahrungen gemacht: "Gerade während des ersten Lockdowns war die Welle der Hilfsbereitschaft riesig," sagt Renate Volk von Tatendrang. Viele Freiwillige hätten sich als Einkaufshilfe für Senioren oder Risikogruppen angeboten - vor allem jüngere Menschen hätten durch den Lockdown den Weg zum Ehrenamt gefunden. Die Arbeit im Home-Office, die Kurzarbeit und das Studieren von zu Hause aus habe das Engagement ebenfalls bestärkt. Denn die Hilfe sei eine Möglichkeit, rauszukommen und die freie Zeit sinnvoll zu nutzen, meint Volk.

Einige Organisationen, wie auch Tatendrang, haben sich neue Lösungen überlegt oder ihr Angebot digital ausgeweitet. So gibt es mittlerweile eine digitale Lernförderung, Telefonanrufe bei Senioren oder Unterstützung des Pflegepersonals beim Betreuen von Besuchern.

Auch die mobilen Essensausgaben der Caritas sind solch eine neue Idee. "Jetzt, wo es kälter wird, soll die Essensausgabe auch bald wieder an einem Ort angeboten werden, wo die Bedürftigen auch vor Ort ihr Essen zu sich nehmen können," sagt Dorothea Curchod von der Teamleitung des Freiwilligen-Zentrums München Mitte. An diesem Mittwoch soll der Foodtruck in die Bayerstraße, Ecke Bahnhofsplatz umziehen. In den Räumen einer früheren Apotheke kann dann auch an Einzeltischen gegessen werden.

Corona ist eine große Herausforderung

Auch die Altenheime brauchen gerade wieder mehr Hilfe, sagt Curchod. "Es wird Unterstützung an der Pforte gesucht und jetzt bekommen wir gerade auch Anfragen rein, dass es Unterstützung braucht bei der Organisation der Familienbesuche über Weihnachten." Man müsse ständig abwägen, sagt Curchod, was könne noch angeboten werden unter den aktuellen Umständen - und was geht nicht mehr? "Für Heiligabend beispielsweise planen wir eine Weihnachtsgabe, anstatt einer Feier wie sonst. Die Menschen können kommen und sich ein Essen zum Mitnehmen und eine Geschenktüte abholen."

Corona ist eine Herausforderung für die ehrenamtlichen Organisationen. "Ständig muss neu und umgeplant werden. Weil persönliche Begegnungen kaum mehr möglich sind, ist eine regelmäßige Kommunikation via Telefon, E-Mail oder Video ganz wichtig", erklärt Volk. Auch Schweiger von der Tafel berichtet von anfänglichen Schwierigkeiten: "Niemand von uns hatte Pandemieerfahrung. Wir mussten alles selbst herausfinden." Vor allem die Masken seien eine große Herausforderung gewesen, weil es nicht genügend gegeben habe. Auch die Ausgabe musste angepasst werden, weil die Lebensmittel nicht mehr auf den Tischen liegen dürfen.

Die Umstellung auf ein reines Internet-Angebot habe sich nicht bei allen ehrenamtlichen Organisationen bewährt, sagt Elif Beiner vom Projekt Gemeinsam Aktiv. "Viele Ehrenamtliche wollen helfen, weil sie direkten Kontakt zu Menschen haben wollen. Dazu kommt, dass einige Geflüchtete nicht die technische Ausstattung haben, sei es, dass der Laptop fehlt oder die stabile Internetverbindung oder das Wissen, wie man alles anwenden kann."

Auch wenn die Pandemie der Hilfsbereitschaft keinen Abbruch getan habe, so habe sie doch einige Probleme verschärft. "Die Nachfrage beginnt massiver zu werden", berichtet Schweiger von der Tafel. "Viele Leute sind in Kurzarbeit - und 60 Prozent des Einkommens reichen neben der Miete in München nicht mehr für viel. Einige haben auch ihr Erspartes langsam aufgebraucht, oder Studenten haben ihren Minijob verloren."

Auch der Bedarf an Nachhilfe sei gewachsen, berichtet Elif Beiner, gleichzeitig aber sei die Kommunikation schwieriger geworden. Barbara Toma von der Bahnhofsmission berichtet ebenfalls, dass sich die "Notlagen verschärft" hätten. "Die Notversorgung wird viel stärker nachgefragt, gerade was Kleidung betrifft, weil einige Einrichtungen einschränken mussten", sagt sie. Derzeit verteile man die Hilfsgüter durch ein Fenster, anstatt wie sonst im Aufenthaltsraum. Der Schutzraum, den Frauen in Not aufsuchen können, sei jedoch nach wie vor geöffnet, sagt Toma. Gerade das Wegfallen der Aufenthaltsräume verschlechtere auch die Situation der Wohnungslosen, sagt Renate Volk. "Menschen, die kein schönes Zuhause haben, sind viel mehr auf Hilfen angewiesen."

Wie hält man Kontakt zu anderen Menschen - das ist für Renate Volk eine der wichtigsten Fragen derzeit. Sie stellt sich sowohl für die Ehrenamtlichen untereinander, als auch für den Kontakt zwischen den Helfern und den Bedürftigen. Der Ausbau von digitalen Angeboten sei zwar ein positiver Nebeneffekt, den es ohne die Pandemie vermutlich so nicht gegeben hätte, allerdings stelle sich mittlerweile auch eine "digitale Müdigkeit" ein, so Volk. Ein Telefonanruf könne den physischen Kontakt einfach nicht ersetzen.

Die Suche nach Ehrenamtlichen ist nie beendet. Man freue sich über jede helfende Hand, sagt Schweiger von der Tafel. "Wenn Interesse besteht, kann man sich gerne bei den Freiwilligen-Zentren beraten lassen", erklärt Curchod. Über einen Mail-Verteiler könne man sich auch für spontane Aufgaben melden.

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