Süddeutsche Zeitung

Protest in München:"Querdenker" bezeichnen Corona-Demo als Gottesdienst - und umgehen Auflagen

Statt der erlaubten 1000 kommen am Sonntagnachmittag etwa 1900 Personen zur Kundgebung. Zuvor waren die Veranstalter vor Gericht mit einer Beschwerde gegen die Begrenzung der Teilnehmerzahl gescheitert.

Von Dominik Hutter

Auf einmal wird gebetet auf der Theresienwiese. Der Pfarrer einer evangelischen Freikirche tritt auf und der Fernsehprediger Jürgen Fliege. Grablichter leuchten, man gedenkt alter Menschen, die wegen Corona keinen Besuch empfangen können und beklagt, dass die Regierungen weltweit ohne Liebe agieren. Lautes Amen. Es wirkt ein wenig bizarr, was da auf der regennassen und mit Pfützen bedeckten Brachfläche vor sich geht. Denn eigentlich war das Ganze als Demo gedacht gewesen, aufgerufen hatten die selbsternannten "Querdenker", die gegen die Corona-Schutzregeln aufbegehren.

Weil aber die Stadt angesichts der beunruhigenden Corona-Lage nur maximal 1000 statt der angemeldeten 5000 Teilnehmer zugelassen hat und darin auch von zwei Gerichten bestätigt wurde, beschlossen die Veranstalter kurzerhand, den Auflauf zum Gottesdienst zu erklären. Dann gelten keine Höchstzahlen. Die Polizei schritt nach Rücksprache mit dem Innenministerium nicht ein. Viel geändert hat sich dadurch letztlich nicht, vom andächtigen Grundton mal abgesehen. Denn es waren ohnehin nur 1900 Leute da. Viele davon standen außerhalb der Absperrungen, bei der Kundgebung ebenso wie beim "Gottesdienst". Die Abstände wurden trotz mehrere Ermahnungen eher mit mittlerem Engagement eingehalten, und Masken sind für viele "Querdenker" ja ohnehin Teufelszeug (für einige aber auch nicht). Bei einem Gottesdienst, so der anwaltliche Rat von der Bühne, muss man keine aufsetzen - es sei denn, man verlässt seinen Platz.

Zuvor hatte die "Querdenken"-Bewegung durch alle Instanzen versucht, die Vorgaben des KVR auszuhebeln. Am frühen Sonntagnachmittag bestätigte schließlich aber auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) als letzte Instanz die Bedenken der Stadt. Angesichts der Erfahrungen mit den Aktivisten in der Vergangenheit müsse die Ordnungsbehörde zu Recht davon ausgehen, dass bei der aktuellen Pandemie-Lage eine solche Versammlung nur mit begrenzter Teilnehmerzahl und den üblichen Masken- und Abstandsregularien vertretbar sei.

Nach Einschätzung des VGH dürfe eine Veranstaltung sogar ganz untersagt werden, wenn sich der Organisator ausdrücklich weigere, Hygienemaßnahmen zu ergreifen. Denn der allgemeine Schutz der Gesundheit sei höher einzuschätzen als das Selbstbestimmungsrecht von Versammlungen.

Ursprünglich hatten die Organisatoren eine Art Sternmarsch mit unterschiedlichen Startpunkten sowie der Abschlusskundgebung auf der Theresienwiese geplant. Das KVR hatte aber statt des Sternmarschs lediglich kleinere stationäre Kundgebungen zugelassen. Der Versammlungsleiter wurde abgelehnt, da nach den Erfahrungen der Verdacht bestehe, er könne einen friedlichen und ordnungsgemäßen Verlauf der Demo nicht gewährleisten. Zudem habe er bereits mehrmals die Geltung des Grundgesetzes in Abrede gestellt. Was nicht einer gewissen Pikanterie entbehrt: Bei der Demo sollte symbolisch das angeblich durch die Coronamaßnahmen gefährdete Grundgesetz zu Grabe getragen werden.

Die Auflagen gehen auf eine Gefahrenprognose der Polizei sowie eine infektionsschutzrechtliche Bewertung des Gesundheitsreferats zurück. Tatsächlich haben sich die Gegner des allgemeinen Corona-Schutzes bereits mehrmals über Auflagen wie das Abstandsgebot oder die Maskenpflicht hinweggesetzt. Weshalb bereits das Verwaltungsgericht die Auflagen der Stadt in erster Instanz bestätigt hatte. Die Vergangenheit zeige, dass die Demonstranten in großer Zahl nicht bereit seien, die Hygiene-Vorgaben zu akzeptieren - selbst wenn die Polizei sie dazu anhält.

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SZ vom 02.11.2020
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