Drogen- und Alkoholabhängige:Die ungeliebten Nachbarn

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Das Gespräch suchen: Mitarbeiter von Condrobs kümmern sich um Menschen mit Problemen, im Bild ein Streetworker mit einem Jugendlichen auf der Feierbanane. (Foto: Robert Haas)

"Es gibt immer einen Aufschrei, wenn wir kommen": Wie die Suchthelfer von Condrobs in München mit den Ängsten von Anwohnern umgehen.

Von Ulrike Steinbacher

Sie bieten jungen Leuten mit psychosozialen Problemen eine Bleibe, geben Geflüchteten ein Zuhause, haben Wohnplätze für Drogen-, Alkohol-, Spielsüchtige. Der Verein Condrobs, vor 50 Jahren gegründet, ist Träger einer breiten Palette sozialer Hilfsangebote, von Streetwork auf der Feierbanane über Erziehungshilfe bis zu Beschäftigungsprojekten für benachteiligte Frauen. In Sonntagsreden wird so viel soziales Engagement natürlich begeistert gefeiert. Aber was ist, wenn der Kontaktladen für Menschen mit Drogenproblemen im Haus gleich gegenüber eröffnet? Wenn die Wohngruppe für ältere Suchtmittelabhängige direkt nebenan einzieht?

"Beliebt sind wir nicht", stellt Karin Wiggenhauser fest. Sie ist bei Condrobs Bereichsleiterin für Hilfen für Erwachsene und bayernweite Angebote. "Es gibt immer einen Aufschrei, wenn wir kommen." Besonders dann, wenn die Klienten Menschen seien, "die im Stadtbild auffallen", und ganz besonders beim Thema Drogen, da ist sich Wiggenhauser mit ihren Kollegen Pia Müller und Olaf Ostermann einig. Müller ist Einrichtungsleiterin für "Betreutes Wohnen 40+", Ostermann leitet die Abteilung Angebote für Ältere und niedrigschwellige Hilfen in München.

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An Argumenten haben sie schon alles Mögliche gehört, von den Bedenken von Immobilienbesitzern, dass ihr Eigentum angesichts solcher Nachbarn an Wert verliere, bis zu den Ängsten von Eltern, wenn der Kinderspielplatz gleich neben den Condrobs-Räumen liegt. Von Ärger über zu laute Musik in Jugendwohngemeinschaften und Zigarettenkippen vor der Haustür bis hin zu Klagen über Spritzenbesteck im Gebüsch. Grundsätzlich müsse man jede Beschwerde ernst nehmen, sagt Olaf Ostermann. Und natürlich könne man die Probleme nicht schönreden: "Dass unsere Menschen krank sind und dadurch verhaltensauffällig, das ist gegeben", sagt Pia Müller.

Für den Kontaktladen in Neuperlach wurde ein Kompromiss gefunden

Also hakt es, manchmal sogar gewaltig. Beim Kontaktladen Pedro in Neuperlach zum Beispiel. Mehr als 20 Jahre war er an der Ollenhauerstraße untergebracht, dann verlängerte der Hauseigentümer 2018 den Mietvertrag nicht mehr - wegen der Nachbarn, wie er in der Kündigung schrieb. Condrobs fand keine neue Bleibe, zum Retter in der Not wurde schließlich die katholische Kirche: Der Kontaktladen kam 2019 in zwei ehemaligen Jugendräumen im Keller des Stephanszentrums unter. Sehr beengt war das für Lebensmittel- und Spritzenausgabe, Beratungsgespräche und das tägliche warme Mittagessen, aber immerhin. Ende 2022 ist jetzt der Umzug in einen Neubau der Gewofag am Hanns-Seidel-Platz geplant. "Und da gab's dann gleich große Unruhe wie immer", berichtet Karin Wiggenhauser. Inzwischen sei aber ein Kompromiss mit den Nachbarn gefunden: Man habe den Kontaktladen nicht in einer Wohnung in der Nähe des Spielplatzes untergebracht, sondern andere Räume dafür gefunden.

Ohne Gewofag und GWG "würden wir schlecht aussehen", sagt Wiggenhauser. Die beiden städtischen Wohnungsgesellschaften sind für Condrobs die wichtigsten Vermieter. Allerdings ist der Verein mit mehr als 70 Einrichtungen bayernweit und fast 1000 Mitarbeitern da nur einer von mehreren Bewerbern aus dem sozialen Bereich, die Konkurrenz ist also groß. Und dass der Zuzug nach München unvermindert anhält, macht die Suche nicht einfacher.

Also setzt Condrobs auch auf private Vermieter. Bezahlt wird maximal, was die Stadt als Mietobergrenze vorgibt, für eine Person und 50 Quadratmeter Wohngröße sind das derzeit 688 Euro. Dringend gesucht sind gerade Räume für eine Kontakt- und Begegnungsstätte am Pasinger Bahnhof. Der Münchner Westen sei "etwas unterversorgt", sagt Ostermann. Der Verein finanziert seine Arbeit aus öffentlichen Mitteln, über Kranken- und Rentenversicherungsträger, Spenden und Bußgelder.

Viele Süchtige würden sich gern "ganz normal in der Gesellschaft bewegen"

Und was machen die Verantwortlichen nun, wenn sie endlich dringend benötigte Räume gefunden haben und die Anwohner sofort anfangen, Unterschriften zu sammeln, um den ungeliebten neuen Nachbarn wieder loszuwerden? Reden, reden, reden, sagen Wiggenhäuser, Müller und Ostermann. Das Gespräch suchen, mit den Klienten genauso wie mit den Beschwerdeführern, runde Tische veranstalten, Tage der offenen Tür organisieren, Flyer mit den eigenen Kontaktdaten in den Briefkästen ringsum verteilen, vielleicht Pakete annehmen für die Umgebung, denn da mache man sich immer Freunde, "und manchmal räumen wir auch mehr auf, als wir müssen".

Am Hohenzollernplatz in Schwabing etwa, berichtet Olaf Ostermann, gebe es oft Ärger mit Leuten, die mit Condrobs gar nichts zu tun hätten. "Aber da nimmt man dann das Gespräch auf, auch wenn man nicht zuständig ist." Im Fall des dortigen Kontaktladens habe man sehr viel erreichen können, als die Condrobs-Klienten begannen, sich am Auf- und Abbau von Stadtteilfesten zu beteiligen. Und wichtig sei es außerdem, die Lokalpolitiker ins Boot zu bekommen.

"Klar gibt's immer noch Beschwerden", gibt Ostermann zu und erzählt von einer alten Nachbarin, die sich anfangs so über herumliegende Flaschen aufgeregt habe, dass gar nicht mehr mit ihr zu reden war. Später habe sie immer noch geschimpft - aber sie sei auch zum warmen Mittagessen vorbeigekommen. Und es gebe Klienten, die Hunde-Sitting im Quartier machten oder im Seniorenheim zum Kartenspielen vorbeischauten. Denn, ergänzt Pia Müller, die meisten ihrer Schützlinge wünschten sich Kontakte zu Nicht-Süchtigen, würden sich gerne "normal in der Gesellschaft bewegen". "Wenn man sich traut, das anzunehmen", resümiert Olaf Ostermann, "dann ist es bereichernd für beiden Seiten."

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