50 Jahre Condrobs: "Wir bieten den Jugendlichen Alternativen"

50 Jahre Condrobs: "Wenn ich keine Klienten mehr sehen könnte, würde mir meine Arbeit keinen Spaß mehr machen", sagt Siegfried Gift, Abteilungsleiter bei Condrobs.

"Wenn ich keine Klienten mehr sehen könnte, würde mir meine Arbeit keinen Spaß mehr machen", sagt Siegfried Gift, Abteilungsleiter bei Condrobs.

(Foto: Robert Haas)

Was es braucht, um mit suchtkranken Menschen zu arbeiten und helfen zu können? Selbstbewusstsein, Empathie und vielleicht auch ein Macher-Gen, wie es Siegfried Gift mitbringt.

Von Sabine Buchwald

Wenn jemand seit mehr als 25 Jahren beim selben Arbeitgeber ist, dann hat er eines bewiesen: Durchhaltevermögen. Das brauche man als Sozialarbeiter, sagt Siegfried Gift. Er arbeitet seit 1995 bei Condrobs - mit einer kleinen Unterbrechung, nach der er "reumütig" zurückgekehrt ist.

Gift leitet bei Condrobs die Abteilung "Jugendsucht und Familienhilfe", zu der auch "Easy-Contact" gehört. Sein Büro liegt in einem Hinterhof in der Müllerstraße. In einem der Räume stehen ein Billiard-Tisch und ein Kicker. Oft kommt nur durch gemeinsames Tun ein Gespräch in Gang. Draußen ist es großstädtisch hektisch, aber das will Easy-Contact: gut erreichbar sein für Jugendliche, für ihre Eltern oder andere Erwachsene, die Beratung und Hilfe brauchen. Niederschwellig, heißt das im Sozialpädagogen-Fachjargon. Denn es geht um Menschen in einer Situation, in der sie allein nicht mehr weiterkommen.

Das würden auch andere soziale Einrichtungen so formulieren. Aber Siegfried Gift ist deshalb einer der Felsen bei Condrobs, weil hier flexibler als anderswo reagiert wird auf die "Bedarfe". Noch so ein Sozialpädagogen-Wort, das häufig fällt, wenn man sich mit Leuten wie Gift unterhält. "Wir sehen eine Problemlage, überlegen, was am besten passt, haben eine Idee dazu, bauen mit Hilfe von Kostenträgern etwas auf - und passen unser Konzept immer wieder an." So erklärt Gift die Vorgehensweise bei Condrobs, die ihn auch sagen lässt: "Es macht mir Spaß, bei einem Träger zu sein, der sich das traut." 16 Plätze haben sie bei Easy-Contact derzeit. "Wir bieten den Jugendlichen Alternativen", sagt Gift.

Gift, 56, ist bei Traunstein aufgewachsen, von dort bringt er sein geerdetes Oberbairisch mit, wohl auch seinen Spaß an Outdoor-Sport wie Mountainbiken oder Snowboarden. Nach Abitur und Wehrdienst studierte er in Bamberg Soziale Arbeit. Schon während seines Studiums arbeitete er in Praktika mit suchtkranken Menschen. Er lebte auf einem Bauernhof mit trockenen Alkoholikern und war in der Psychiatrie auf einer Entzugsstation.

Nachdem er 1994 sein Diplom gemacht hatte, sah er eine Stellenausschreibung von Condrobs. Gift kannte den Verein damals noch nicht. Er fragte einen Dozenten nach dessen Meinung und hörte: "Mei, die sind arrogant in der Personalauswahl." Gift wurde genommen. Was sein Mentor damals meinte, interpretiert er heute so: "Wir überlegen aus unserer Kompetenz heraus, was gut ist." Für ihn sei das nicht arrogant, sondern selbstbewusst.

Selbstbewusstsein braucht es, um anderen die Hand zu reichen. Und Empathie und vielleicht auch ein Macher-Gen, wie es Siegfried Gift mitbringt. An einer Wand in seinem Büro hängen mehrere Poster. Auf dem einen sind zwei Senioren mit Schlips zu sehen. Es sind Walter, 93, und sein Sohn Karl, 71. Der Ältere hält den Jüngeren auf dem Schoß. Darüber steht die Frage: "Warum brauchen Kinder Zärtlichkeit?" Und daneben die Antwort: "Damit sie ohne Drogen alt werden!" Etwas unterhalb hängt ein Bild von einer Szene aus "Star Wars" mit dem jungen Anakin und dem Schatten von Darth Vader. Das sei eine Schlüsselszene für ihn, auf die er gerne verweise, sagt Gift. "Es müssen einige Erwachsene zusammenhelfen, um ein Kind so zu zerstören, dass es abrutscht." Um das zu kompensieren, brauche es viel Zeit und Belastbarkeit des Systems.

Für Gift ist deshalb Durchhaltevermögen eine so wichtige Qualität für die soziale Arbeit. Oft müsse man eben lange da sein, damit jemand Vertrauen fasse und bereit sei, etwas zu ändern. Gift erzählt von seinem Arbeitsalltag und auf Nachfrage dann von dem Fall eines jungen Mannes, den er drei Jahre lange betreut hat. Der hatte am Ende eine Berufsausbildung und einen festen Job.

Etwa zwei Drittel der Arbeit finden draußen und nicht am Schreibtisch statt, sagt Gift. Die Klienten haben meist die Schule abgebrochen, konsumieren Alkohol und andere Drogen , hatten öfters Kontakt mit der Polizei. Die Idee von Condrobs ist, den jungen Leuten ein anderes Lebensumfeld aufzubauen und mit ihnen eine Tagesstruktur zu etablieren. Das kann in einer Wohngemeinschaft oder einer eigenen, von Condrobs angemieteten Wohnung sein. Die Klienten werden dann intensiv betreut.

Der Jugendliche, von dem Gift erzählt, war heftiger Cannabis-Konsument und von der Schule geflogen. Im ersten Jahr war Gift 20 Stunden pro Woche für den 15-Jährigen da, richtete mit ihm ein Zuhause ein, seine Mutter hatte selbst psychische Probleme. Nach sechs Monaten und einer Entgiftungskur in der Heckscher Klinik habe ihn der junge Mann als Bezugsperson akzeptiert. "Wir waren zusammen Wasserskifahren und in den Bergen." Und er habe ihm immer wieder sein "Zeug zum Rauchen" weggeworfen. Ein Zwischenfall mit einem Dealer war dann der Auslöser für den Wandel. "Ich war für ihn da, und er hat sich den Themen gestellt."

Fälle wie diese, sagt Gift, seien eine Bestätigung für das Konzept von Condrobs, immer wieder neue Wege zu gehen. "München hat aus meiner Sicht das beste Jugendsuchthilfe-System in Deutschland", lobt Gift. Weil sich das Jugendamt nicht wegducke und eine ganze Menge Geld fließe. "Die Breite des Angebots ist einzigartig."

Seit drei Jahren gibt es eine Einrichtung für Kinder von abhängigen Eltern. Condrobsmitarbeiter werden auch gerufen, wenn Jugendliche nach einer Party mit einer Alkoholvergiftung in der Klinik landen und am nächsten Tag wieder ansprechbar sind. Dann wird geschaut, ob es nur ein "Dosierungsfehler" war, wie bei etwa zwei Drittel der Fälle, oder die Folge von gravierenden Schwierigkeiten. "Man sollte dem ersten Eindruck nie trauen", sagt Gift. Manchmal brauche es weitere Gespräche.

Gift ist selbst Vater eines Teenagers, seine Frau arbeitet als Lehrerin. Auf ihre Akzeptanz kann er bauen. Das ist wichtig für seine Arbeit, denn "sie schwappt immer wieder ins Privatleben rein", etwa bei Bereitschaftsdiensten am Wochenende oder in den Abendstunden. Sich total abzuschotten von den Fällen und auf die Uhr zu schauen, sei unrealistisch, sagt Gift. Das sei ein Mythos. "Man ist richtig gut, wenn man beides kann: emotional erreichbar sein und sich auch abschotten", sagt Gift. Er habe Strategien gelernt, schraube mit seinem Sohn zum Ausgleich in der Freizeit an einem Oldtimer und schalte auch mal sein Handy aus.

Obwohl er seit Jahren Abteilungsleiter ist, springt Gift bei Personalengpässen ein und drückt sich auch nicht vor der Rufbereitschaft. "Excel allein ist nichts für mich", sagt er. "Wenn ich keine Klienten mehr sehen könnte, würde mir meine Arbeit keinen Spaß mehr machen."

50 Jahre Condrobs

Condrobs ist eine der größten überkonfessionellen Träger für soziale Hilfsangebote verschiedener Art in Bayern. Der Verein unterhält mehr als 70 Einrichtungen, in denen über 900 Mitarbeitende beschäftigt sind. Entstanden ist Condrobs aus einer Initiative von 18 Eltern mit der Unterstützung des Juristen Alexander Eberth und des Sozialarbeiters Vladimir Bosnjak. Die Intention war, Hilfsangebote für Drogenkonsumenten und Suchtkranke zu schaffen, die es damals kaum gab. Als Gründungsdatum feiert Condrobs den 13. Dezember 1971. Im Sommer 1972 wurde dann die erste Beratungsstelle in der Schwabinger Konradstraße eröffnet. Zwei Jahre später folgten das Teehaus Fidibus, 1977 entstand aus der therapeutischen WG in der Muspillistraße die Einrichtung Inizio. Mit den Jahren wurden die Angebote kontinuierlich erweitert etwa um die Arbeitsprojekte Con-Job und Viva Clara, spezialisierte Einrichtungen wie die Jugendsuchthilfe Easy-Contact und das Streetworkerprojekt Con-Action. Condrobs geht seit Jahren mutige Wege beim Thema Drogen, setzt sich für Konsumräume und die Entkriminalisierung von Cannabis ein. Katrin Bahr, mit Frederik Kronthaler Geschäftsführender Vorstand, sagt dazu: "Cannabis ist eine Droge, wir brauchen eine gute Präventionsstrategie." Gründer Alexander Eberth ist als Aufsichtsratsvorsitzender immer noch an strategischen und wirtschaftlichen Entscheidungen beteiligt, er vertritt zudem Klienten als Anwalt. bub

Zur SZ-Startseite
Bayern München - Joshua Kimmich

SZ PlusSport nach Covid-19-Infektion
:Corona überstanden und trotzdem nicht fit

Die Lungenprobleme von FC-Bayern-Profi Joshua Kimmich schrecken Freizeitsportler auf. Mediziner Martin Halle erklärt, wann sie sich nach einer Corona-Infektion durchchecken lassen sollten.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: