„Coffee with a Jew“:Wie Münchner Juden versuchen, Vorurteile zu bekämpfen

Lesezeit: 3 Min.

Daniel Gitbud (li.) und Ariella Chmiel (2. v. li.) im Gespräch mit Passantinnen bei „Coffee with a Jew“ am Salvatorplatz. (Foto: Johannes Simon)

Mitglieder einer Wohltätigkeitsorganisation stellen sich auf die Straße, um mit Passanten bei einem Kaffee ins Gespräch zu kommen. Dabei zeigt sich, dass immer noch viel zu wenig über das Judentum bekannt ist.

Von Stephan Handel

Routiniert lässt Daniel Gitbud den Kaffee in die Tasse laufen, routiniert schäumt er die Milch auf, voilà: ein Cappuccino. Das ist natürlich keine große Sache für Gitbud, den Gastro-Unternehmer. Ungewöhnlich ist in diesem Fall allerdings der Ort des Ausschanks - am Salvatorplatz zwischen Literaturhaus und orthodoxer Kirche, Samstagnachmittag unter freiem Himmel.

Dass Gitbud und seine Mitstreiter sich nicht aus Spaß auf die Straße gestellt haben, das beweist eine Fahne neben dem mobilen Kaffeeautomaten. „Coffee with a Jew“ steht darauf, darunter: „Redet mit uns, nicht über uns.“

Daniel Gitbud und Ariella Chmiel, die Mitorganisatorin, sind Mitglieder bei B'nai B'rith. Das ist eine weltweit tätige jüdische Wohltätigkeitsorganisation, organisiert in sogenannten Logen. Gitbud und Chmiel vertreten die Münchner Loge. Und haben sich vor etwa einem halben Jahr eine Aktion einfallen lassen.

Zugegeben: Die Idee ist nicht zu 100 Prozent in ihren Köpfen entstanden. Seit einiger Zeit gibt es bundesweit, auch in München, die Aktion „Coffee with Cop“ - Polizisten stellen sich auf die Straße und versuchen, bei einer Tasse Kaffee mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen.

Die Juden von B'nai B'rith haben sich diese Idee zu eigen gemacht - wenn auch mit einem etwas ernsteren Hintergrund als bei der Polizei: „Wir wollen der derzeitigen Stimmung entgegenwirken“, sagt Ariella Chmiel - eine Stimmung, die geprägt ist vom Rechtsruck, von Populisten, vom wieder wachsenden Antisemitismus. „Es gibt so viel Unwissen und falsche Information über das Judentum“, sagt Gitbud. „Daher auch unser Motto: Redet mit uns, nicht über uns.“

In diesem Moment allerdings, Samstag gegen 16 Uhr, krankt die Veranstaltung vor allem an einem - an zu viel Sympathie. Offenbar sind die meisten derer, die sich um den Kaffeeautomaten versammeln, nicht jene, die Aufklärung nötig hätten. Die Krux aller gut gemeinten Informationsveranstaltungen: Meisten kommen die, die's sowieso nicht nötig hätten. Freunde, Mitglieder, viele tragen am Revers die gelbe Schleife als Zeichen des Gedenkens an die Opfer vom 7. Oktober 2023.

Das ist nicht immer so. Ariella Chmiel berichtet von einer Situation am Alten Peter, als sie mit einem jungen Syrer ins Gespräch kamen. „Das war durchaus emotional“, sagt sie. „Am Ende waren wir uns nicht in allem einig, aber froh, dass wir uns vernünftig unterhalten haben.“

In den wenigsten Fällen geht es aber um solche Fachdiskussionen - viele Leute kommen aus einer merkwürdigen Art von Neugier heraus, viele bekennen, dass die Menschen am Stand die ersten Juden sind, die sie kennenlernen. Um die Scheu vor einem Gespräch zu brechen, liegen neben der Kaffeemaschine kleine Kärtchen mit teils lustigen, teils provokanten Fragen: Wer hat den Hummus erfunden, Israelis oder Araber? Sind alle Juden reich? Darf man „Jude“ sagen?

Die Kärtchen helfen, ins Gespräch einzusteigen. (Foto: Johannes Simon)

Die Kärtchen zeigen allerdings auch, dass die B'nai-B'rith-Mitglieder recht haben mit ihrer These - dass über das Judentum viel zu wenig bekannt ist in Deutschland, und dass viele Leute lieber irgendwo Halbwissen aufschnappen, als sich bei den Originalen zu erkundigen.

Israel-Feinde oder Antisemiten kommen selten an den Stand - Gitbud und Chmiel geben zu, dass sie Ort und Termin ihrer Aktionen wenn überhaupt nur sehr kurzfristig ankündigen, um genau das zu verhindern. Der Stand ist als Versammlung angemeldet, womit auch die Polizei informiert ist. „Wir haben aber gebeten, sich unauffällig zu verhalten“, sagt Gitbud. Deshalb: Keine bewaffnete Überwachung der Aktion mit zehn Polizisten rund um den Stand. Chmiel sagt: „Die fahren halt ab und zu mal vorbei und schauen, ob alles in Ordnung ist.“

Allerdings: Auch das ist die Wahrheit für Juden in München 2025 - sie fühlen sich gefährdeter seit den Pro-Palästina-Demos, seit dem Anschlag auf das israelische Generalkonsulat. Ariella Chmiel sagt, sie sei heute vorsichtiger und zögerlicher, neuen Bekannten gegenüber zu erzählen, dass sie Jüdin sei. „Da gibt es dann oft so eine komische Barriere.“ Seit Neuestem gibt es ihre Aktion nun auch auf Instagram mit dem Account „Coffee_with_a_Jew“ - als weiterer Beitrag in dem Versuch, Juden und Andersgläubige ins Gespräch zu bringen - am besten bei einer Tasse Kaffee und ganz vielen Fragen.

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