Süddeutsche Zeitung

Nachtleben und Corona:Wie Münchens Clubs mit alternativen Konzepten überleben wollen

Lesezeit: 3 min

Clubbetreiber der Stadt setzen sich zur Wehr und suchen nach Wegen, ihre Räume wieder zu öffnen. Die Staatsregierung erschwert allerdings einiges.

Von Michael Zirnstein, München

Erinnert sich noch jemand an die Wunderbar? Der Kniff dieser hippen Kellerkneipe an der Hochbrückenstraße war in den Neunzigern, dass die Gäste von Sitznischen aus über Tischtelefone miteinander anbandelten. Flirts ohne Körperkontakt und Tröpfchenübertragung - das würden in Corona-Zeiten nicht nur strenge Eltern, sondern auch Infektionsbiologen absegnen. Momentan aber noch nicht die Bayerische Staatsregierung, die das gewerbliche Nachtleben derzeit generell auf Eis legt. Und damit das meiste, was in ihrer Not erfinderische Clubbetreiber derzeit vieles andenken. Hans-Georg Stocker etwa "Dancecourts", also mehrere Inseln im Saal, auf denen Kleingruppen getrennt voneinander tanzen könnten. Aber: Laut sechster bayerischer Infektionsschutzmaßnahmenverordnung ist derlei verboten, Schankbetrieb in Innenräumen zu sanfter Hintergrundmusik (auch Bar genannt) ebenso wie öffentliche Discos.

Die Clubszene ist wegen des finanziellen Totalschadens nach vier Monaten Vollschließung nicht nur verzweifelt. Sie ist auch stinksauer. Seit Ministerpräsident Markus Söder ihre soziale, künstlerische und politische Bedeutung leugnete, gerade für die in der Krise vergessene junge Generation, die lange genug die Füße stillhalten musste, indem er empfahl, man könne doch zu Hause mit seiner Partnerin tanzen. Und seit Staatskanzlei-Chef Florian Hermann das Vermieten von Club-Räumen an private Feiern oder für Kunstausstellungen auch deswegen untersagte, weil damit durch "Tricksereien" ein Discobetrieb "durch die Hintertür" ermöglicht werde.

"Das ist doch ein Quatsch", echauffiert sich Grünen-Stadtrat und Harry-Klein-Gründer David Süß. Aus den Aussagen der Staatsregierung spreche wohl die Angst vor "Superspreader-Events" wie dem Après-Ski in Ischgl, aber eine ganze Branche werde dadurch unter Schummelverdacht gestellt. Mit den vorgelegten, sehr detaillierten Hygienekonzepten hätten bestimmte Veranstaltungen wie einstündige "Mary Klein"-DJ-Streams vor 60 sitzenden Zuschauern bestimmt genauso sicher ablaufen können - was das Kommunalreferat untersagte - wie längst schon Biergartenöffnungen mit Begleitmusik oder Gottesdienste. Alle mögliche Nutzungen der Räume auszuschließen, nur weil ein Club ein Club ist (was rechtlich gar nicht definiert ist) und hier vielleicht vor Monaten einmal Menschen zu lauter Musik gefeiert haben, sei ungerecht. Wegen dieser Ungleichbehandlung hat die Harry Klein GmbH vor einer Woche ein Normenkontrollverfahren eingeleitet. Damit sind sie nun beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof abgeblitzt. Das Gericht gab in seinem Beschluss vom Montag, 20. Juli, dem Freistaat Bayern recht, da die "vom Betrieb eines Clubs typischerweise einhergehende Infektionsgefahren betreffend Sars-CoV-2 höher sind als in anderen Lebensbereichen". David Süß irritiert der Beschluss. Sei es bei dem Verfahren doch eben nicht um normalen Tanzbetrieb gegangen, sondern um die Frage, was Clubs darüber hinaus erlaubt sein soll. "Wir müssen das im Detail anschauen - und weiterarbeiten."

Und eigentlich hat die Staatsregierung inzwischen schon mehr erlaubt als der VGH. Denn die Großraumdisco Puls in Günzburg hatte am 9. Juli mit einer Klage mehr Erfolg. Der Betreiber hatte Räume für zwei Geburtstagspartys mit 50 Besuchern vermieten wollen, was das Landratsamt aber untersagte. Das Verwaltungsgericht Augsburg gab dem Club in einem Eilverfahren Recht. Ein wegweisendes Urteil, dem sich die Staatsregierung nun gebeugt hat: Nachdem zuerst der Wirtschaftsminister derlei erlaubt hatte und die Staatskanzlei dann wieder zurückgerudert war, schrieb das Gesundheitsministerium nach dem Puls-Sieg, dass Clubs ihre Räume nun doch an private Gruppen vermieten dürfen. Zumindest, wenn es einen "verantwortlichen Gastgeber" gebe und "einen Teilnehmerkreis, der durch persönliche Bekanntschaft und durch den Veranstaltungszweck miteinander verbunden" ist. Damit sind pseudoprivate Partys wie einst die Raucherclubs mit Internet- oder Tür-Gästelisten ausgeschlossen. Auch die Nutzung der Räume für Kulturveranstaltungen gestattet das Gesundheitsministerium wieder, etwa für kleine Konzerte oder für die dezentrale Jahresausstellung der Kunstakademie.

Die Grünen im bayerischen Landtag, die sich immer wieder für die Clubs stark gemacht haben, erkennen bei der Staatsregierung ein "babylonisches Durcheinander". Grünen-Kultursprecherin Sanne Kurz sagt: "Dass junge Menschen bei dem Hin und Her einfach ihren eigenen Weg gehen, muss nicht wundern."

Um das virologisch bedenkliche und für Anwohner schlafraubende wilde Feiern an Isar und Gärtnerplatz wieder in lärmgedämpfte, kontrollierbare Clubs umzulenken, arbeitet der Verband der Münchner Kulturveranstalter nun ein Konzept aus. Eine Gruppe mit etwa 15 Clubs unter der Leitung Dirk Beyers von der XXL-Diskothek Neuraum orientiert sich dabei am Vorstoß des Stuttgarter Clubs Lehmann. Demnach sollen Nachtschwärmer wieder ohne Masken und Abstand feiern dürfen - allerdings nur an einem Abend in einem einzigen Club mit reduzierter Kapazität pro Wochenende. Das ließe sich über ein personalisiertes, zentrales Ticketsystem regeln, erklärt Beyer. Wer einmal gefeiert hat, sei dann für andere Partys gesperrt. Und im Falle der Ansteckung eines Gastes könnte eine überschaubare Gruppe informiert und gegebenenfalls isoliert werden.

Ob das durchgeht, weiß niemand. Im Neuraum will Beyer bald zumindest den Außenbereich öffnen. Aber das werde die Diskothek mit fünf Tanzflächen an der Arnulfstraße auf Dauer ebenso wenig retten wie die Vermietung der Nebenräume für Familienfeiern, sagt er. Wobei er findet, die aktuellen Lockerungen seien "besser als nichts" und ein erstes Gesprächsangebot. "Die Regierenden kommunizieren ja leider nicht direkt mit der Clubszene - das muss sich ändern."

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SZ vom 22.07.2020
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