Süddeutsche Zeitung

Roncalli-Premiere in München:So "wunderbar absurd" geht Zirkus - ganz ohne Tiere

Lesezeit: 3 min

Wenn auf Uli Hoeneß' Kopf gescratcht wird, Schauspielerin Juliane Köhler vom Clownsein träumt und sogar Franz Xaver Kroetz versöhnlich schwärmt, dann ist Roncalli-Premiere. Über einen popcornsüßen Abend.

Von Philipp Crone

Vielleicht ist es der Moment, als Uli Hoeneß plötzlich im Schweinwerferlicht sitzt und die Luft anhält? Oder die Geschichte vom dicken Clown mit dem Besen, der erst die Kinder zum Quieken und dann die Erwachsenen zum Brüllen bringt? Ist es der Blick von Schauspielerin Juliane Köhler, wenn sie von ihrem Lebenstraum Clown spricht? Oder ihrer Kollegin Ilse Neubauer, die schon beim Betreten der Vorhalle so verzückt aussieht wie das kleine Mädchen neben ihr, das gerade eine Tüte Popcorn überreicht bekommt, die so groß ist, dass es sich dahinter verstecken könnte? Ist es die Atmosphäre beim Reinkommen? Oder der sonst so gern grantlige Franz Xaver Kroetz, der sich schon zur Pause in einen schwärmenden Fan verwandelt hat? Der erschrockene Bayern-Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, der bei mancher Akrobatik gar nicht hinsehen kann?

Welche Geschichte ist wohl die des Abends? Es sind alle zusammen. Alle, die am Samstag in Neuhausen bei der Premiere des neuen Circus-Roncalli-Programms erzählt, aufgeführt und erlebt werden. Es ist ein richtiger Zirkus-Abend: viele kleine Situationen, lustige, atemberaubende oder absurde, die am Ende die Besucher verändern.

Eigentlich wäre sogar die Szenerie beim Einlass eine Clown-Nummer. Da stehen Besucher brav an auf dem Bürgersteig, und die vorbeirasenden Radlern versuchen, vom Anblick der erleuchteten märchenhaften Zirkus-Zelt-Kulisse irritiert, niemanden zu rammen. Selbst Clown Chistirrin schafft später kaum bessere Stolperpannen. Ilse Neubauer steigt aus dem Taxi aus, dass ein Radler beim Ausweichen beinahe an der Absperrkordel zerschellt. Sie staunt ein auf Stelzen umherstaksendes Fabelwesen mit leuchtenden Lamettaflügeln an, dann sagt sie: "Roncalli schafft immer eine Atmosphäre, in die man richtig eintauchen kann."

Da ist der Duft von erwärmtem Zucker, die Musik im beheizten Vorzelt, und da sind die kleinen Bonbons, die den Gästen den Mund zupappen, während sie von oben mit Konfetti berieselt werden. Es ist eine Art Heißluftschleuse hinein in einen Abendtraum. Ex-Bayern-Stürmer Giovane Elber lächelt beinahe so viel wie die Kellner und sagt: "Dieses Ambiente, das darf man nicht verpassen." 1500 Premierenbesucher strömen ins Zelt. Ski-Olympiasiegerin Maria Höfl-Riesch oder Eiskunstlauf-Olympiasieger Manfred Schnelldorfer erwarten Akrobaten beim Hochleistungssport, der Schauspielerin Juliane Köhler geht es eher um die Clowns. Seit 1976 geht sie zum Roncalli, seit dem ersten Programm, und da ist sie nicht die einzige. "Ich wollte immer Clown werden, habe es aber nicht geschafft. Irre, diese Magie, die sie erschaffen." Der Roncalli-Gründer Bernhard Paul steht derweilen vor dem Hauptzelt und sinniert in seinem österreichischen Slang vor sich hin: "Wir wollen einfach immer überraschen."

Das gelingt, zunächst mit Pferden. Die galoppieren, weil Roncalli ganz ohne Tiere auskommt, als Hologramme über eine rund um die Manege gespannte Leinwand. Das ist vielleicht nicht sehr beeindruckend, aber technisch neu. Dann kommen die ersten Akrobaten und Arzt Müller-Wohlfahrt sagt: "Wenn die ihre Wirbelsäulen so überstrecken und aus größerer Höhe springen - da frage ich mich, wie lange die das durchhalten?" Begeistert ist er dann aber auch, "bei dem Chinesen konnte ich am Schulterblatt jeden einzelnen Muskel erkennen". Anatomie-Kurs mit Popcorn.

Die Live-Band groovt sich durch das Programm, Akrobaten balancieren, springen und schwingen. Zum Geruch der Nebelmaschine wechseln die Lichtshow und die Geschichten zwischen Spaß und Spannung. Clown Kai Eikermann braucht nur einen Besen, um alle Altersstufen zum Lachen zu bringen, Beatboxer Robert Wicke macht das mit Tönen und Musik. Als er zu Hoeneß an die Loge tritt und auf dessen übersichtlichem Haupthaar scratcht wie ein DJ auf dem Plattenteller, hält der Bayern-Präsident kurz die Luft an, bevor er sich vor Lachen schüttelt. Franz Xaver Kroetz hatte vorher noch gesagt, dass ihm das letzte Programm nicht gefallen habe. "Das war langatmig und hatte etwas kunsthandwerkliches Fett angesetzt." Zur Pause stapft er durch den Kies zwischen den Zelten und ruft. "Wunderbar absurd!"

Die in den Logen verteilten München-Größen wie Moderatorin Carolin Reiber, Ex-Fußballer Paul Breitner oder Schauspieler Friedrich von Thun verwandeln sich von Nummer zu Nummer. Erst schauen sie noch so routiniert gelangweilt, als wäre das einer dieser Standard-Empfänge einer Mode-Boutique auf der Maximilianstraße, dann gehen selbst ihnen die Münder immer weiter auf. Sie träumen bei der nachdenklichen Nummer des Clowns, der Maschinen ein Herz einsetzen will, staunen beim Akrobaten, der im mühelosen Duett mit einem tonnenschweren Industrieroboter, wie man ihn aus der Autofertigung kennt, durch den Raum wirbelt.

Am Ende geht es den Erwachsenen wie den Kindern: Viele dieser romantisch-beeindruckenden Roncalli-Momente gehen direkt durch den offenen Mund ins Langzeitgedächtnis, an den Platz für traumhaft schöne Erinnerungen.

Circus Roncalli, Kreativquartier am Leonrodplatz, bis 12. November, Infos unter roncalli.de

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Quelle:
SZ vom 14.10.2019
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