Vorweihnachtszeit:Sind Christbäume das neue Klopapier?

Vorweihnachtszeit: Viele Baumständer beim Gustl an der Münchner Freiheit sind schon leer.

Viele Baumständer beim Gustl an der Münchner Freiheit sind schon leer.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Sie sind in diesem Jahr so begehrt, dass einige Verkaufsstände in München schon am Wochenende schlossen. Bevor nun einige anfangen zu horten: Die Großen der Branche haben noch ausreichend Vorrat.

Von Julian Hans

"Tannabam hamma ned", sagt der Gustl, wenn sich wieder so ein "Preiß" nach seinen "Tannenbäumen" erkundigt. Verwirrt deuten die Kunden dann auf seine Ware und protestieren: "Da stehen doch noch Weihnachtsbäume!" Aber Weihnachtsbäume hat der Gustl auch nicht. "Ich verkaufe Christbäume", darauf legt er wert, und so steht es auch in der Genehmigung, die ihm das Kreisverwaltungsreferat für seinen Stand an der Münchner Freiheit erteilt hat: Christbäume. Traditionen sind dem Gustl wichtig. Gut, dass die Stadtverwaltung das offenbar genauso sieht: "Christbäume! Geil!", freut er sich.

Wer jetzt noch einen besorgen will, der bekommt an der Münchner Freiheit allerdings auch keinen Christbaum mehr. Der Stand ist seit dem Wochenende ausverkauft, so wie viele kleine Verkaufsstände in der Stadt. Einige haben schon in der vergangenen Woche die Absperrgitter abgebaut, die Nadeln zusammengekehrt und den Gehsteig besenrein der Öffentlichkeit zurückzugeben, zum Beispiel am Pündterplatz in Schwabing.

Die Biobäume vom Milchhäusl im Englischen Garten stehen inzwischen auch alle in warmen Wohnstuben oder werden auf kühlen Balkonen frisch gehalten. Seit er vor fünf Jahren mit dem Verkauf von Nordmanntannen begonnen hat, die ohne Pestizide groß geworden sind, sei die Nachfrage stetig gewachsen, sagt Axel Bansemir, der Betreiber des Milchhäusl. Dass sie in diesem Jahr noch früher ausverkauft sind, führt er auf die Angst vor dem Lockdown zurück. Die Leute seien unsicher gewesen, ob die Verkaufsstände vielleicht auch dicht gemacht werden, meint er, "also haben sie früher gekauft".

Vorweihnachtszeit: Beim Milchhäusl im Englischen Garten gibt's keine Christbäume mehr zu holen, erzählt Betreiber Axel Bansemir.

Beim Milchhäusl im Englischen Garten gibt's keine Christbäume mehr zu holen, erzählt Betreiber Axel Bansemir.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Außerdem feiern mehr Familien für sich statt gemeinsam.

Auch der Verkäufer an der Wittelsbacherbrücke kann nicht garantieren, dass man am 24. noch einen Baum bei ihm kriegt: "Heuer könnte es knapp werden", warnt er. Bevor nun einige Christbäume horten wie im Frühjahr das Toilettenpapier: Die Großen der Branche haben noch ausreichend Vorrat. Der Großhändler André Wolf zum Beispiel, der außer seinem Stammplatz auf der Theresienwiese noch gut ein Dutzend weitere Verkaufsstellen in der Stadt hat. Oder Norbert Kalhofer mit etwa ebensovielen Filialen, allein zwei davon auf dem Mariahilfplatz.

Und dann gibt es ja noch die Baumschulen im Umland, wo Tannen zum Teil selbst geschlagen werden könne. Glühwein wird dort in diesem Jahr allerdings keiner ausgeschenkt. Oder die Gartencenter: Seebauer in Ramersdorf etwa hat ebenfalls Bio-Tannen im Sortiment. "Wir spüren auch, dass die Nachfrage in diesem Jahr angezogen hat", sagt Christian Pössinger, der bei Seebauer den Überblick über die Christbäume hat. Aber noch sind selbst erlesene Spezialitäten vorrätig wie etwa die Nobilistanne mit ihrem silberfarbenen Kleid, die duftende Coloradotanne oder die Frasertanne, deren schlanker Wuchs sie besonders für kleine Wohnzimmer geeignet macht.

Früher war das ein Zuverdienst, jetzt ist der Verkauf zum Haupteinkommen geworden

Viele Christbaumstände in der Stadt sind schon seit Generationen in Familienhand. Wie viele Bäume sie verkaufen, ist ein ähnlich gut gehütetes Geheimnis wie der Umsatz der Wiesnwirte. Den Stand an der Münchner Freiheit gibt es seit 29 Jahren, aber Gustl ist erst im dritten Jahr als Verkäufer dabei. Eigentlich heißt er Michael C. Augustin und organisiert Autorennen, aber auch da kennen ihn alle nur mit seinem Spitznamen. Für Motorsport-Veranstaltungen mit Tausenden Zuschauern war 2020 kein gutes Jahr.

Früher war der Christbaumverkauf ein schöner Zuverdienst, jetzt ist er zum Haupteinkommen geworden neben dem Kurzarbeitergeld. Aber für den 55-Jährigen ist das nicht die Hauptsache; er redet einfach gern mit den Leuten, er ist gern an der frischen Luft und er freut sich, wenn Kunden glücklich ihren Baum heim tragen. Ohne Christkindlmärkte sind die Baumhändler heuer ja fast der einzige Ort, wo im öffentlichen Raum ein bisschen Weihnachtsstimmung aufkommt.

Es ist schon ein paar Jahrzehnte her, seit Michael "Gustl" Augustin aus Schwabing weg gezogen ist. Jetzt lebt er in Brunnthal. In den drei Wochen vor Weihnachten sammelt er an der Münchner Freiheit Eindrücke, was sich so tut in der Stadt. Geld ist offenbar immer noch vorhanden, jedenfalls bei den Bewohnern von Schwabinger Altbauwohnungen mit hohen Decken. Bäume mit drei Metern und mehr waren als erste ausverkauft. Das kann aber auch daran liegen, dass ein Teil des Geldes, das für den Skiurlaub eingeplant war, heuer dafür hergenommen wurde, um zuhause besonders festlich zu schmücken.

Selbst beim Christbaumständer muss man dieses Jahr improvisieren

Dafür spricht auch, dass die Nachfrage nach Christbaumständern so stark gestiegen ist. Die Leute hätten entweder gar keinen, weil sie in den vergangenen Jahren in die Sonne gefahren seien oder auf die Pisten nach Südtirol. Oder sie finden ihn im Keller nach so langer Zeit nicht mehr. Erst hat Gustl sie zum Karstadt nebenan geschickt, und als die Ständer dort ausverkauft waren ins Olympia-Einkaufszentrum. Jetzt hat das auch geschlossen, da bleibt nur Improvisieren. "Da nimmst einen großen Blumentopf, tust bissl Kies rein, dann geht das", rät Gustl. Bei einer Drei-Meter-Tanne könnte das freilich etwas wackelig werden.

Viele Amerikaner seien in diesem Jahr gekommen, das ist ihm aufgefallen. Die kaufen ihre Bäume schon früh und stellen sie schon im Advent geschmückt in die Wohnstuben. "Ich hab' früher immer warten müssen, bis an Heiligabend das Glöckchen klingelt", erinnert sich der 55-Jährige. Außer den Amerikanern hatte er in diesem Jahr auch viele spanischsprachige Kunden und sogar einige aus Indien. Die Stadt wird internationaler, selbst in den Traditionen des christlichen Abendlandes.

Manche Dinge ändern sich aber auch nie. Der Streit zwischen den Ehepaaren um die benötigte Größe und Wuchs des gewählten Exemplar etwa. "Jetzt schauts mal", ermuntert sie Gustl dann, "ich hab' aber nur grüne da". Oder die Väter, die ihren Kindern drohen, sie durch den Trichter zu schieben, mit dem das Netz über die Bäume gezogen wird.

Dass sein Stand direkt neben dem Spielplatz liegt, ist gut fürs Geschäft. "Tagsüber suchen die Mamis mit den Kindern den Baum aus, und abends kommen dann die Papis mit dem Lastenrad und holen ihn ab". In der Zwischenzeit spielen die Kinder zwischen den Bäumen Märchenwald und abends können sie länger bleiben, weil seine Scheinwerfer den Spielplatz mit beleuchten. Dieses Jahr werden die Strahler früher abgebaut. Ausgerechnet an den kürzesten Tagen des Jahres.

Zur SZ-Startseite
Die Plantage des Produzenten Spennesberger am 29.11.2018 in Hebertshausen.

SZ PlusWeihnachten
:Och Tannenbaum

Für viele Deutsche ist Heiligabend nicht Heiligabend ohne einen Tannenbaum. Doch mit dem festlichen Grün holen wir uns nicht nur weihnachtliche Stimmung, sondern auch Pestizide und bis zu 25 000 Tierchen ins Wohnzimmer.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: