Süddeutsche Zeitung

Festakt für Charlotte Knobloch:"Ohne Menschen wie Sie wäre auch ich heute ein anderer"

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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und viele weitere Gäste ehren Charlotte Knobloch zu ihrem 90. Geburtstag. Sie würdigen den Mut, die menschliche Größe und das Engagement der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde.

Von Ulrike Heidenreich

Es gib keinen geeigneteren Ort in München, um Charlotte Knobloch zu feiern. In der Hauptsynagoge Ohel-Jakob auf dem Jakobsplatz wurde am Sonntag der 90. Geburtstag der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) mit einem großen Festakt begangen. Diese Synagoge, dessen steinerner Quader der Klagemauer in Jerusalem nachempfunden ist, ist das Lebenswerk von Charlotte Knobloch. Zumindest jener Teil davon, den man mit Händen berühren kann. Ihre Gabe zur Versöhnung, ihr Wirken tief in die Gesellschaft hinein ist der andere Part, der nicht so leicht auszumessen ist und den die Gäste aus Politik, Gesellschaft und Religion bei der Feierstunde würdigten. Allen voran Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) in seiner Festrede, als er sagte: "Ich bin zutiefst dankbar für das Geschenk der Versöhnung, das Sie unserem Land und auch mir persönlich gewährt haben. Es ist ein kostbares Geschenk. Ohne Menschen wie Sie wäre auch ich heute ein anderer."

Der Festakt am Sonntag mündete in einen Neujahrsempfang, denn das jüdische Jahr 5783 hat begonnen. Für Shmuel Aharon Brodman, den Gemeinderabbiner der IKG, ist es kein Zufall, dass die Jubilarin in dieser Zeit des Jahres geboren wurde - denn während Rosch Haschana, wie das Neujahrsfest auf Hebräisch heißt, gedenke man der Geschichte, reflektiere das Vergangene und plane die Zukunft. "Auch Charlotte Knoblochs Leben ist geprägt von Kontinuität auf der einen Seite und Erneuerung auf der anderen", sagte er.

Charlotte Knobloch hat in den vergangenen 90 Lebensjahren so Vieles erlebt und bewegt, dass das kaum in ein einziges Leben hineinpasst. Sie wurde am 29. Oktober 1932 in München geboren. Dass sie die Nazi-Zeit überstand, bezeichnet sie selbst als ein "Wunder". Weil eine frühere Haushälterin sie als ihr eigenes, uneheliches Kind ausgab, überlebte sie den Holocaust auf einem Bauernhof in Mittelfranken. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte sie nach München zurück, heiratete Samuel Knobloch, bekam drei Kinder.

Seit 1985 ist sie die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Von 2006 bis 2010 war sie auch Präsidentin des Zentralrats der Juden, sie gründete zudem die deutsche Sektion der Women's International Zionist Organisation. Darüber hinaus ist sie Beauftragte für Holocaust-Gedenken des World Jewish Congress. Sie ist Ehrenbürgerin der Stadt München, trägt das Große Bundesverdienstkreuz und Ehrendoktortitel, engagiert sich in unzähligen Institutionen und Vereinen - gegen Antisemitismus, gegen Rechtsextremismus. Dass jüdisches Leben und das Gemeindezentrum seit 2006 einen Platz im Herzen der Stadt haben, ist maßgeblich ihr zu verdanken.

Im Innenraum der Synagoge, gestaltet mit hellem Jerusalem-Stein und Zedernholz aus dem Libanon, war es still

Zu Beginn des Festakts schimmerten die letzten Sonnenstrahlen durch das Bronze-Netz im quaderförmigen Oberlicht, bestehend aus stählernen Davidsternen. Die Zeremonie, moderiert von Schauspielerin Maria Furtwängler, umrahmte die Geigerin Anne-Sophie Mutter mit Stipendiaten ihrer Stiftung sowie Mitgliedern des Jewish Chamber Orchestra. Die Musikauswahl: Felix Mendelssohn Bartholdy, dessen Musik zu Beginn der Nazizeit 1933 nicht mehr gespielt werden durfte, weil er Jude war. Später "Air" von Johann Sebastian Bach, den die Nationalsozialisten als "nordischen" Künstler gefeiert hatten und dessen Kompositionen sie auf Reichsparteitagen erklingen ließen.

"Ich stehe vor Ihnen - als stolze Deutsche." Bundespräsident Steinmeier erinnerte an die Worte, die Charlotte Knobloch im Plenarsaal des Bundestags am 27. Januar 2021 in der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus gesagt hatte. Dieser Satz halle bis heute nach. "Welches Bekenntnis einer Frau, die als Kind verfolgt, gedemütigt, terrorisiert wurde, die unendliches Leid erlebt hat. Welche Kraft liegt in diesem Satz. Welcher Mut", sagte er. Im Innenraum der Synagoge, gestaltet mit hellem Jerusalem-Stein und Zedernholz aus dem Libanon, war es sehr still. Der Bundespräsident und die IKG-Präsidentin treffen häufig zusammen. Etwa bei Jahrestagen zur Befreiung von Auschwitz oder zum Holocaust-Gedenktag. Zuletzt im Sommer beim Gedenkakt der Opfer des Attentats auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Spielen 1972 in München. "Beunruhigend oft ging es in den letzten Jahren um den wachsenden Antisemitismus in unserem Land, ging es um Übergriffe gegenüber Juden und antisemitische Hetze. Und es ging leider auch um perfide Angriffe, um abscheuliche Drohungen gegen Sie persönlich", wandte sich Steinmeier an Knobloch.

Die 90-Jährige habe Brücken gebaut - über die Abgründe der deutschen Geschichte hinweg. "Immer haben Sie das Gespräch, den Dialog gesucht für Versöhnung, für ein friedliches, aufgeklärtes Miteinander der Religionen." Knobloch, ein "Füllhorn der Mitmenschlichkeit", sei eine gewichtige, eine hochgeschätzte Stimme. "Sie scheuen nicht klare, deutliche Worte, Sie sind kritisch und auch immer wieder unbequem. Zu mahnen, das begreifen Sie als eine Ihrer vordringlichen Aufgaben. Und gerade in einer Zeit wie der jetzigen, in der unsere Demokratie in vielen westlichen Demokratien, aber auch bei uns stärker angefochten wird, brauchen wir Sie, braucht unser Land Ihre Stimme."

"Seien Sie an dieser Stelle versichert: Wir werden niemals von Ihrer Seite weichen"

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) schloss sich den Worten Steinmeiers an. Das Jüdische Zentrum am Sankt-Jakobs-Platz sei ein für alle sichtbarer und stolzer Ausdruck der ins Herz der Stadt gehörenden Jüdischen Gemeinde Münchens. "All das haben wir Ihrem persönlichen Mut, Ihrer menschlichen Größe und Ihrem beharrlichen Engagement ganz wesentlich mitzuverdanken", wandte er sich an Knobloch. Auch für ihn sei sie eine Inspiration und zeige, wie wichtig es sei, sich mit allem Nachdruck gegen Antisemitismus einzusetzen und alles dafür zu tun, dass sich Jüdinnen und Juden in Deutschland sicher fühlten. Reiter weiter: "Seien Sie an dieser Stelle versichert: Wir werden niemals von Ihrer Seite weichen. Ihr Wohlergehen, Ihre Sicherheit und Ihr Kampf sind die unseren."

Weitere Grußworte sprachen bei der Veranstaltung am Sonntag Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sowie Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Söder verneigte sich vor "dem Engel auf Erden": "Sie machen uns Mut und Hoffnung, dass die Welt noch besser werden kann, selbst wenn es schwierige Zeiten sind. Sie haben so viel Leid im Leben erfahren - und so viel Liebe geben können." Schuster sagte, niemand sonst stehe so exemplarisch für den inneren Kampf der Annäherung. Knobloch erhebe die Stimme "für alle, die nicht gehört werden."

Von Charlotte Knobloch selbst gibt es den Satz: "Ich werde nicht schweigen, solange ich fähig sein werde, ein Wort zu sagen." Der Bundespräsident sagte, dass er dies als Versprechen betrachte. Und was antwortete die 90 Jahre alte Jubilarin am Sonntag lächelnd: "Ich gebe nicht nach. Wir müssen Mut haben. Ich möchte, dass meine Kinder, Enkel und Urenkel ein schönes Leben in einem freien Land haben dürfen." Die Feier danach ging lange in den Abend hinein, berührt sagte Knobloch: "Ich liebe es, das Leben spüren."

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