Charlotte Knobloch wird 90:Wider den Widerstand

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(Foto: Martin Schutt/dpa)

Zu ihrem 90. Geburtstag blickt Charlotte Knobloch zurück auf ein langes Leben zwischen dunkler Zeit und großer Freude.

Von Verena Wolff

Charlotte Knobloch ist gerne mal unbequem. Energisch und unverdrossen setzt sie sich seit Jahrzehnten für Belange von Jüdinnen und Juden ebenso ein wie für Frieden und Demokratie. Mit 90 blickt sie auf ein Leben zwischen dunkler Zeit und großer Freude zurück.

(Foto: imago stock&people)

Charlotte Knobloch wurde am 29. Oktober 1932 in München geboren - ihr Vater, der Rechtsanwalt Fritz Neuland, war Jude. Ihre Mutter Margarethe war ihm zuliebe zum Judentum übergetreten, ließ sich aber wegen des hohen Drucks durch die Nazis 1936 scheiden. Die damals vierjährige Charlotte sah ihre Mutter nie wieder.

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Während der Novemberpogrome 1938 flohen Knobloch und ihr Vater zu Freunden nach Gauting, wo sie vorübergehend Unterschlupf fanden. 1942 tauchte der Name der damals Zehnjährigen auf einer Deportationsliste der Gestapo auf - Fritz Neuland brachte seine Tochter zu Kreszentia Hummel, einer ehemaligen Hausangestellten seines Bruders. Sie gab Charlotte Knobloch als ihr eigenes, uneheliches Kind aus und lebte mit ihr bis Kriegsende auf ihrem elterlichen Hof in Mittelfranken. Für die Rettung Knoblochs wurde Hummel 2017 posthum als "Gerechte unter den Völkern" ausgezeichnet. Mit ihrem Vater, der als Zwangsarbeiter überlebte, kehrte Charlotte Knobloch nach dem Krieg nach München zurück. Fritz Neuland wurde zum Präsidenten der jüdischen Gemeinde gewählt.

(Foto: imago stock&people)

Zurück in München absolvierte Knobloch die Handelsschule und arbeitete in der Kanzlei ihres Vaters mit. 1951 heiratete sie Samuel Knobloch, einen Überlebenden des Krakauer Ghettos und des KZ Buchenwalds. Schon als 16-Jährige hatte sie sich gegen den Willen ihres Vaters in den Kaufmann verliebt. Samuel und Charlotte Knobloch bekamen drei Kinder - ihnen zuliebe verwarfen sie ihre Pläne, in die USA auszuwandern.

(Foto: Regina Schmeken)

Neben ihrer Mutterrolle wurde Knobloch nach und nach politisch aktiv - sie engagierte sich als Schöffin in der orthodoxen jüdischen Gemeinde Münchens, wurde Schatzmeisterin des Jüdischen Frauenbundes in Deutschland und gründete die deutsche Sektion der "Women's International Zionist Organization". Seit 1984 war sie die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Auf diesem Bild ist sie 1989 mit dem deutsch-jüdischen Journalisten und Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin sowie dem CSU-Kommunalpolitiker Winfried Zehetmeier zu sehen.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Im November 2006 wurde Knobloch zur ersten weiblichen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland gewählt, zuvor war sie bereits mehrere Jahre Vizepräsidentin. Damit vertrat sie bis 2010 knapp 110 000 der 260 000 in Deutschland lebenden Juden. Auch in dieser Funktion war sie an zahlreichen Gedenkveranstaltungen beteiligt, wie auch hier mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Synagoge an der Rykestraße in Berlin bei der zentralen Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Reichspogromnacht.

(Foto: DPA)

Die alte Hauptsynagoge an der Herzog-Max-Straße sah sie brennen, an dem Bau der neuen Hauptsynagoge in München war sie maßgeblich beteiligt: 2003 versenkte Charlotte Knobloch einen Kupferbehälter mit Dokumenten im Grundstein der Ohel-Jakob-Synagoge. In den nächsten drei Jahren wurde am St.-Jakobs-Platz das Jüdische Zentrum gebaut. Besucher finden dort die Hauptsynagoge, einen jüdischen Kindergarten und eine Grundschule sowie das Jüdische Museum.

(Foto: Regina Schmeken)

Charlotte Knobloch bezeichnete es als Wunder: Am 9. November 2006 wurde Münchens neue Hauptsynagoge Ohel Jakob feierlich eröffnet. "Ich habe meine Koffer ausgepackt", sagte sie damals, in Anspielung auf den Satz aus den Fünfzigerjahren, die Juden in Deutschland säßen "auf gepackten Koffern".

In Anwesenheit von Bundespräsident Horst Köhler und dem bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber übergab Oberbürgermeister Christian Ude den Schlüssel an Knobloch. Ohne Charlotte Knobloch hätte es die Synagoge vielleicht nie gegeben: Bereits 1987 trat sie an die Behörden heran und äußerte den Wunsch, die ehemalige Hauptsynagoge wieder aufzubauen. Die alte Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße war 1938 - fünf Monate vor der Pogromnacht - von den Nazis zerstört worden.

(Foto: Ralf Succo/dpa)

Mit der Eröffnung der Hauptsynagoge am St.-Jakobs-Platz ist die jüdische Gemeinde wieder in der Stadtmitte angekommen. Zuvor traf man sich an der Reichenbachstraße - in den 1930er-Jahren entwickelte sich dort ein Treffpunkt in einem Hinterhof. Knobloch war es wichtig, dass das jüdische Leben bekannter wird, denn "Nicht-Wissen schafft Vorurteile".

Knobloch ist bekannt für ihr Engagement in der politischen Diskussion: Sie forderte vehement ein NPD-Verbot, ist eine deutliche Gegnerin der Stolpersteine im öffentlichen Raum Münchens und spricht sich gegen die wissenschaftlich kommentierte Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf" aus.

(Foto: Florian Peljak)

Der Kampf gegen Antisemitismus ist ihr ein besonderes Anliegen - auf dem Bild ist sie auf einer Kundgebung im Jahr 2014 zu sehen. Von der Politik verlangt sie, für den Schutz von Minderheiten zu sorgen und gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus vorzugehen. Wer sie kennt, den verwundert es nicht, dass Knobloch auch mit 90 noch energisch für ihre Ziele eintritt und etwa auch Jugendlichen als Zeitzeugin erzählt. Sie erzählt davon, wie andere Kinder nicht mit ihr spielten, oder von den Freunden ihres Vaters Fritz Neuland, die sich langsam von ihm und seiner Tochter abwendeten.

Die Energie Knoblochs zollt Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) Respekt. "Für mich ist Charlotte Knobloch eine Inspiration und sie zeigt einem, wie wichtig es ist, sich mit allem Nachdruck gegen Antisemitismus einzusetzen und alles dafür zu tun, dass sich Jüdinnen und Juden in Deutschland sicher fühlen können", sagte Reiter der Deutschen Presse-Agentur.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Evangelische Akademie Tutzing verlieh Knobloch im Jahr 2014 den Tutzinger Löwen für ihr Engagement für "eine jüdische Gegenwart und Zukunft in Deutschland". Knobloch erhielt im Laufe ihres Lebens einige Auszeichnungen: Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff überreichte der Münchner Ehrenbürgerin 2010 das Große Verdienstkreuz mit Stern, bereits 2008 hatte sie das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland bekommen.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Am 23. Januar 2019 kam es bei einer Rede Knoblochs bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus zu einem Eklat im Bayerischen Landtag. Knobloch hatte die AfD direkt attackiert, sie als verfassungsfeindlich kritisiert und die Gesellschaft sowie alle demokratischen Parteien zum Schutz der Demokratie aufgerufen. Daraufhin verließ ein Großteil der Fraktion das Plenum.

Auch bei der Gedenkstunde zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag hielt Knobloch am 27. Januar 2021 eine Rede.

(Foto: Uwe Anspach/picture alliance/dpa)

Viele Prominente würdigen das Lebenswerk Knoblochs zu ihrem Geburtstag. Doch an ihrem 90. am Samstag will Knobloch erst einmal in der Familie feiern, mit allen Kindern und möglichst vielen Enkeln und Urenkeln. Genaue Pläne kennt Charlotte Knobloch nicht. "Man will mir zur Feier eine Überraschung machen", sagt sie und hat auch gleich einen Wunsch angesichts von Krieg, Konflikten und Spannungen: "Ich hoffe sehr, dass wir diese schwierigen Zeiten hinter uns lassen und wieder zu einem Leben frei von Angst zurückkehren können."

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