Süddeutsche Zeitung

Verbrechen von 2006:Neue Zweifel am Tathergang beim Parkhausmord

Lesezeit: 4 min

In den aufsehenerregenden Fall Charlotte Böhringer kommt wieder Bewegung. In einem Indizienprozess war ihr Neffe als Täter verurteilt worden. Nun prüft die Staatsanwaltschaft nach einem Hinweis, ob es einen neuen Ermittlungsansatz gibt.

Von Joachim Mölter

Es dürfte noch bekannt sein, wie Charlotte Böhringer ums Leben kam am 15. Mai 2006, einem Montag: Jemand hat ihr den Schädel zerschmettert. 24 Schläge wurden identifiziert, als man die 59-Jährige am nächsten Tag in ihrer Wohnung an der Baaderstraße fand, oben auf dem Parkhaus, das ihr gehörte und der Tat einen prägnanten Namen gab - der Parkhaus-Mord. Der Fall war aufsehenerregend, die verwitwete Charlotte Böhringer galt als vermögend, sie zählte zur Münchner Society. In einem der längsten Gerichtsprozesse in der Geschichte der Stadt, nach 93 Verhandlungstagen zwischen Mai 2007 und August 2008, wurde Böhringers Neffe Benedikt T. wegen Mordes aus Habgier zu lebenslanger Haft verurteilt, strafverschärfend mit besonderer Schwere der Schuld, wegen Heimtücke.

Bis heute beteuert Benedikt T. seine Unschuld. Bis heute sind die Akten nie ganz geschlossen worden.

Gerade hat die Staatsanwaltschaft München I sie wieder aus dem Schrank geholt. "Seitens eines Anwalts" sei "eine Anregung zu einem möglichen Ermittlungsansatz bei uns eingegangen", bestätigt Anne Leiding, die Sprecherin der Staatsanwaltschaft: "Derzeit prüfen wir diese Anregung." Die Formulierung hat Leiding bewusst gewählt: Es ist kein formaler Antrag, kein offizielles Rechtsmittel, der Anwalt hat nur etwas zur Kenntnis gebracht, wie es im Juristen-Deutsch heißt. Aber es könnte ein Hebel sein, den Prozess wieder aufzurollen und Benedikt T. zu rehabilitieren. Könnte, mehr nicht.

Das Tatwerkzeug wurde nie gefunden, es gab weder Augenzeugen noch ein Geständnis

Das Urteil war von Anfang an umstritten, es fehlte ja ein Beweis für Benedikt T. als Mörder: Das Tatwerkzeug wurde nie gefunden, es gab keine Augenzeugen, kein Geständnis. Die Richter schmiedeten für ihr Urteil eine Indizienkette aus 14 Einzelteilen. "Jedes Indiz reicht alleine für sich gesehen noch nicht aus", steht in der 214 Seiten langen Urteilsbegründung: "Allerdings bringt die Gesamtschau aller Indizien den Beweis."

Ein Beispiel aus der Indizienkette: "Der Umstand, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Linkshänder handelt und die Schläge ausnahmslos mit der rechten Hand geführt worden sind, spricht nicht gegen die Täterschaft des Angeklagten." Aber deutet das auch zwingend auf ihn hin?

Ermin Brießmann, ehemals Vorsitzender Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht und Spezialist für Revisionsverfahren, hat in dem Urteil eine "zwanghaft anmutende Hinwendung zu Belegen für die Täterschaft des Angeklagten" gesehen. Im Rahmen einer Strafanzeige wegen Rechtsbeugung hat der inzwischen verstorbene Jurist das Urteil des Münchner Landgerichts einst ungewöhnlich scharf filetiert. Es basiere auf "phantastischen Konstruktionen", sei "mit zahllosen rechtlichen Fehlern durchsetzt" und "vielfach dilettantisch argumentierend". Brießmanns Fazit: "Der Schuldspruch ist nicht schlüssig und nicht nachvollziehbar. Die Fehlerhaftigkeit des Urteils ist auch ohne juristische Kenntnisse evident."

Geholfen hat das nicht. Seine Anzeige verlief seinerzeit im Sand, wie so vieles in diesem Fall.

Alle Versuche, eine Wiederaufnahme zu erreichen, wurden zurückgewiesen

Der Anwalt Peter Witting hat Benedikt T. von Beginn an verteidigt. Er hat immer wieder Revision eingelegt, die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt, Beschwerden eingereicht; hat ans Oberlandesgericht geschrieben, ans Verfassungsgericht, an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Alle Einwände sind als unbegründet zurückgewiesen worden, meist ohne nähere Erklärung. "Die Justiz weigert sich einfach, in diesen Fall noch mal reinzuschauen", sagt Witting und seufzt: "Ich hatte immer nur Misserfolg in dieser Sache. Ich hatte nie Erfolg. Nie, nie, nie! Zu keinem Zeitpunkt."

Trotzdem hat Witting nie aufgegeben. Nun, fast 14 Jahre nach dem Prozess, glaubt er, hofft er, nachweisen zu können, dass eine Zeugin in der Hauptverhandlung die Unwahrheit gesagt hat. Die Details dazu hat er der Staatsanwaltschaft in einem Schriftstück mitgeteilt, öffentlich mag er dazu keine Auskunft geben. Nur so viel: Die Zeugin ist nicht unwichtig. Es soll sich um die Freundin von Charlotte Böhringer handeln, die sie am Nachmittag des 15. Mai 2006 noch lebend gesehen hat, kurz bevor sie ermordet wurde.

Auf die mutmaßliche Unwahrheit der Zeugenaussage ist Witting aufmerksam gemacht worden von einem neuen Unterstützerkreis für Benedikt T., den zwei Münchnerinnen initiiert haben, die Autorin Marie Velden und die Fotografin Susanne von Lieven-Jell. Velden hatte sich im Auftrag eines True-Crime-Magazins mit dem Fall beschäftigt und so starke Zweifel am Urteil bekommen, dass sie eine zweite Meinung einholte, die ihrer Freundin Lieven-Jell. "Das Thema hat mich nicht mehr losgelassen", sagt Velden. "Es hat uns einfach gepackt", sagt Lieven-Jell. Der Parkhaus-Mord hat viele Menschen gefesselt, es gibt Sachbücher dazu, TV-Dokus, Audio-Podcasts; gerade ist ein Roman erschienen, der davon inspiriert ist.

Weil die Frauen fürchteten, sich in Verschwörungstheorien zu verstricken, band Lieven-Jell ihren Vater ein, Münchens Alt-oberbürgermeister Christian Ude, immerhin studierter Jurist. Auch ihm kamen "mehr Zweifel als ein Strafurteil verträgt", wie er in einem Podcast von Radio Gong 96.3 sagte: "Ich denke, es gibt Ermittlungsbedarf." Christian Ude ist jetzt das prominenteste Gesicht der mittlerweile auf fast 200 Mitglieder angewachsenen Unterstützergruppe.

Marie Velden und Susanne von Lieven-Jell haben sich alle Ermittlungsakten beschafft und nachgelesen, wer wann was wo ausgesagt hat, bei der Kripo, vor Gericht. "Wir sind auf sehr viele Ungereimtheiten gestoßen", sagt Velden. Auf ihrer Webseite www.zweifelhaft.org. haben sie alles aufgelistet.

Zu den Ungereimtheiten zählt zum Beispiel, dass die Richter selbst "die theoretische Möglichkeit" ausschlossen, dass Charlotte Böhringer einen Anruf absichtlich nicht entgegennahm - was für die Bestimmung des Tatzeitraums und T.s Alibi eine Rolle spielt. Andererseits hielten sie es für plausibler, dass sich Böhringer zur möglichen Tatzeit ein, zwei Gläser Wein einschenkte und dann einfach wegschüttete, als dass ein anderer den Wein getrunken haben könnte - der dann als Verdächtiger in Frage hätte kommen müssen.

Böhringer selbst hatte den Wein jedenfalls nicht getrunken, wie sich an ihrem Blutalkoholwert ermessen ließ; auch ihre Freundin wollte nur einen Probeschluck genippt haben, wie sie aussagte. Trotzdem war die Flasche fast leer, als die Kripo sie im Kühlschrank entdeckte. Aber in diese Richtung hat die Mordkommission nicht weiter ermittelt, sie hatte sich schon auf Benedikt T. festgelegt. Im Urteil hieß es: "Die Denkmöglichkeit, dass die Tat von einem anderen Täter begangen wurde, erachtet die Kammer als so fern liegend, dass sie ausgeschlossen werden konnte."

Marie Velden und Susanne von Lieven-Jell geht es mit ihrer Initiative darum, dass der Fall von der Justiz nicht weiter unter dem Deckel gehalten wird. "Wir sagen nicht, Benedikt T. ist unschuldig", versichert Susanne von Lieven-Jell: "Aber das Urteil muss noch mal auf den Prüfstand gestellt werden."

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