Theoretisch könnten schon irgendwo die ersten berauschenden Pflänzchen wachsen – und zwar ganz legal solche, die auch an andere weitergegeben werden können. Doch in der Praxis dürfen die sogenannten Cannabis Social Clubs, also Anbauvereinigungen für Cannabis, wie sie im Bundesgesetz vorgesehen sind, noch lange nicht loslegen. Zumindest nicht in Bayern.
Seit Anfang Juli können Vereine eine Lizenz für eine nicht-gewerbliche Cannabis-Anbauvereinigung beim bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelschutz (LGL) beantragen. Diese Clubs dürfen an maximal 500 Vereinsmitglieder jeweils bis zu 50 Gramm Cannabis im Monat zum Eigenkonsum abgeben. 14 Anträge sind laut der Behörde, Stand 24. Juli, aus dem ganzen Bundesland eingegangen. Genehmigt oder abgelehnt wurde bisher noch kein einziger, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilt. Alle seien derzeit „in Prüfung“.
Einer, der auf den Bescheid wartet, ist Yaroslav Lysytsia. Der 27-Jährige hat gemeinsam mit zwei Freunden in München den Verein Alpine Aroma Agency gegründet. Vor etwa einer Woche hätten sie endlich alle erforderlichen Dokumente beisammen gehabt, erzählt Lysytsia, um den Antrag für eine Lizenz beim LGL zu stellen. Antwort hätten sie noch keine erhalten.
Um überhaupt einen Antrag stellen zu können, muss eine Anbauvereinigung bereits einen Ort zum Anbau angemietet haben. Lysytsia und seine Mitstreiter haben nach eigenen Angaben einen Vertrag für eine Gewerbehalle mit 150 Quadratmeter Fläche abgeschlossen, in der Nähe von Augsburg. In München sei so etwas unbezahlbar – und wegen der Anforderung, dass ein Abstand von 200 Meter zu Einrichtungen für Kinder und Jugendliche bestehen soll, sehr schwer zu finden. Deshalb habe man direkt im Umland geschaut.
Die Kaltmiete von 1200 Euro monatlich und die Kaution müssten hauptsächlich die drei Gründer vorstrecken, erzählt Lysytsia, der bei einem Münchner Energieunternehmen arbeitet. Etwa 60 Mitglieder hätten außerdem einen Beitrag von jeweils 50 Euro entrichtet. Gehe alles gut und komme die Lizenz demnächst, könne man bereits Ende August mit dem Anbau starten, sagt Lysytsia. Und im November die ersten Club-Blüten ernten.
Etwas desillusioniert klingt dagegen Erdinc Tuncer. Sein Antrag für eine Anbauvereinigung für den Verein Cannabis Social Club Minga wurde zwar bisher nicht abgelehnt. Jedoch habe er bereits einen Brief vom LGL bekommen, erzählt der 42-jährige, welche „Versagungsgründe“ man bei seinem Antrag für eine Lizenz sehe. Nun habe er zusammen mit seinen Mitstreitern wenige Wochen Zeit, darauf zu erwidern und die nötigen Dokumente zu beschaffen. „In Bayern legt man uns Steine in den Weg, wo es geht“, sagt er. Beispielsweise gebe es nun die Anforderung, einen speziellen Kurs zum Jugend- und Präventionsschutz zu absolvieren, so Tuncer. Die Schulungen könnten aber frühestens im September beginnen. Dies sei Teil einer „Verzögerungstaktik“, sagt Tuncer.
Der Freistaat hat von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht, dass der Weg zum legalen Anbau möglichst beschwerlich werden soll. Man wolle sich an allem beteiligen, was das Cannabis-Gesetz außer Kraft setze oder verzögere, kündigte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bereits im Februar an. Eine neue Kontrolleinheit mit 20 neuen Planstellen beim LGL wurde eigens geschaffen, um „extremst restriktiv“ mit den Anbauvereinigungen umzugehen.
Tuncer will dennoch weitermachen. „Ich bin zuversichtlich, dass es am Ende klappt.“ Eine Anbaufläche in einem Lagerhaus im Landkreis Ebersberg sei bereits angemietet. Die Club-Mitglieder sollen sich das Gras in Zukunft in einer Art begehbarem Selbstbedienungskiosk mit einer Chipkarte abholen können. Tuncer schwebt eine zentrale Stelle irgendwo in der Nähe des Hauptbahnhofs vor.
Das Interesse an dem Cannabis-Verein sei groß, sagt Tuncer, der eigentlich als Vertriebsleiter bei einer Firma für Zeitarbeit arbeitet. Sein Verein habe 160 aktive Mitglieder, die bereits investierten. Und etwa 260, die auf einer Warteliste stünden, jedoch noch skeptisch seien, ob das alles wirklich klappt. Oder die Schikanen seitens der Regierung befürchteten, falls sie als Mitglieder gelistet werden.
Fabian Baumann vom Münchner Cantura Cannabis Club spricht gar von 5000 Anmeldungen seit der Gründung seines Vereins im Januar. Dabei könne man gesetzlich maximal 500 Plätze anbieten. Baumann ist Geschäftsführer des gleichnamigen Onlinemarkts (Cantura) für Hanf- und CBD-Produkte. Zusammen mit sechs Mitstreitern ist er gerade dabei, alle nötigen Dokumente für den Lizenzantrag für eine Anbauvereinigung zusammenzustellen. Der bürokratische Aufwand dieses Antrags sei immens, sagt er, es gebe eine Fülle von Auflagen und Schutzkonzepten, die man vorweisen müsse. Etwa zum Transport des Cannabis, zur Qualitätssicherung oder eben zur Suchtprävention. Vonseiten des Staates würde er sich weniger Hürden wünschen, sondern eher eine zentrale Stelle, die die Anbauvereinigungen bei der Erstellung der Konzepte unterstützt.
Auch die Ansprüche an die Qualität des Cannabis seien sehr hoch. Baumann begrüßt das, bemängelt aber, dass eine staatliche Möglichkeit fehle, Cannabissorten auf deren Qualität testen zu lassen. „Die Ansprüche sind wie in einem Pharmaunternehmen, doch die Struktur ist eigentlich auf den klassischen deutschen Kleingärtnerverein ausgelegt“, so Baumann. Ohne juristische Unterstützung sei die Gründung eines Cannabis-Clubs eigentlich gar nicht möglich.
Baumanns Anbauvereinigung finanziert sich über den Beitrag von 25 Euro, den jedes Mitglied monatlich leistet. „Dieses Geld sammeln wir auf unserem Konto und investieren es in so Sachen wie Schutzkonzepte oder Anwaltsgebühren“, sagt Baumann. Sein Cannabis-Club sucht aktuell noch nach einer geeigneten Immobilie, um Cannabis anbauen und abgeben zu können. Erst wenn diese gefunden ist, können die Konzepte zum Brandschutz oder der Flächennutzung erarbeitet werden. Ist der Antrag einmal abgeschickt, hat die Behörde drei Monate Zeit, diesen zu bearbeiten. Ein langwieriger Prozess, der „viel Zeit, viel Geld und unglaublich viel Nerven“ fordert, sagt Baumann.
Bayern war auch das erste Bundesland, das einen Bußgeldkatalog für Konsumcannabis veröffentlicht hat. Anbauvereine können beispielsweise mit einer Strafe von 250 bis 30 000 Euro belegt werden, sollten sie mehr als sieben Cannabissamen pro Monat an ein Mitglied aushändigen. Für Baumann ist das ein weiteres Symbol für die restriktive Haltung und den „starken politischen Widerstand“ der bayerischen Landesregierung gegen Cannabis.
Viele Mitglieder der Clubs bezeichnen sich selbst als Patienten, konsumieren Cannabis also aus gesundheitlichen Gründen oder beziehen Medizinalcannabis auf Rezept, dies bestätigen sowohl Baumann als auch Tuncer. Die strenge Auslegung des Cannabis-Gesetzes aber spiele Dealern in die Hände, die laut Gesetz mit bis zu 25 Gramm Cannabis ungestraft unterwegs sein können. Solange es keine legale Möglichkeit gebe, Cannabis zu erwerben, seien Konsumenten ohne grünen Daumen nach wie vor auf den Schwarzmarkt angewiesen.