Architektur in München:Diskussion über das "Candid-Tor": großer Wurf oder Effekthascherei?

Collage MUE 10 Candidplatz

Der Candidplatz, wie er aussieht (links) und wie er einmal aussehen soll (rechts).

(Foto: MVRDV)

Die Stadtgestaltungskommission beschäftigt sich mit einem Aufsehen erregenden Bauprojekt am Mittleren Ring. Begeisterte Befürworter treffen auf Stimmen, die das Projekt in der gegenwärtigen Form ablehnen.

Von Sebastian Krass

Ist es ein mutiger architektonischer Wurf, der München voranbringen würde? Oder ein Zeichen um des Zeichens willen, ohne eine tiefere Aussage und deshalb abzulehnen? Die Pläne für ein expressives, 64 Meter hohes Gebäude am Candidplatz in Untergiesing (Projektname "Candid-Tor") haben die Stadtgestaltungskommission am Dienstagabend gespalten. Die Münchner Architektin Ruth Berktold sprach von einem "Wahnsinns-Landmark an einem absoluten Unort, auf das ich mich total freue". Ihr Kollege Manfred Kovatsch fand, dass "solche Orte Möglichkeiten geben für radikal Neues", und dass das dem niederländischen Architekturbüro MVRDV "mit einem spannenden und mutigen Beitrag für die Erneuerung eines Quartiers sehr gut gelungen ist".

Eine der zahlreichen kritischen Wortmeldungen kam hingegen von der Amsterdamer Architektin Birgit Rapp, die die Frage nach der "Torfunktion" stellte: "Wohin ist das Tor ausgerichtet? Worauf bezieht es sich?" Im Übrigen sehe sie in der Planung "nur einzelne Würfel, die aufeinander gestapelt sind, die meiner Ansicht nach eine Differenzierung brauchen". Sie habe Zweifel, "ob das Gebäude an der Stelle richtig verortet ist". Ihre Hamburger Kollegin Karin Loosen fand es grundsätzlich "spannend, an so einem Ort mit so einer starken Idee loszulegen", dieser Entwurf aber sei "zu zeichenhaft". Der Berliner Architekt Piero Bruno urteilte, er sei "unsicher, ob diese Gestaltung ein positiver Beitrag ist".

An dem Grundstück, um das es geht, dürften die meisten Münchnerinnen und Münchner schon einmal vorbeigekommen sein. Es liegt wie eine Insel zwischen dem Mittleren Ring und der Candidstraße. Seit Anfang der Achtzigerjahre steht dort ein Ärzte- und Bürozentrum, das aus neun miteinander verbundenen Gebäuden besteht, sechs von ihnen sollen erhalten bleiben. Ihnen quasi vorangestellt werden soll das Hochhaus aus den gestapelten Einzelelementen. Bauherren des Projekts sind die Immobilienunternehmen Values Real Estate aus Hamburg und Ehret und Klein aus Starnberg. Neben MVRDV war das Münchner Landschaftsarchitekturbüro Keller Damm Kollegen mit der Planung der Freiflächen und der Begrünung beauftragt. Ein wesentliches Element dieser Planung ist eine neue Freitreppe, die zur Pilgersheimer Straße hin einen neuen öffentlichen Ort schaffen soll, der durch die darüber liegende Brücke des Mittleren Rings teilweise überdacht ist.

Genutzt werden soll das neue Gebäude, wenn es realisiert werden sollte, weiterhin als Ärztezentrum, aber zu einem großen Teil auch für Büros. Es sind zudem öffentliche Nutzungen, etwa ein Alten- und Servicezentrum und ein Bürger- und Kulturzentrum, angedacht.

Auch aus der Politik, die in der Stadtgestaltungskommission ebenfalls vertreten ist, kamen unterschiedliche Einschätzungen: Brigitte Wolf, Stadträtin der Linken, kritisierte den von Architekten verwendeten Bezug, dass man eine "Ikone" schaffen wolle, die mit anderen Ikonen an der Isarhangkante in einer Reihe stehen solle. Dieses Gebäude werde keine Ikone, die man mit dem Friedensengel vergleichen könne. Sie habe kein Problem mit der Höhe, erklärte Anna Hanusch (Grüne), sie sei aber "noch am Abwägen", ob ein Architektur-Wettbewerb "die richtige Lösung wäre an der Stelle". Jörg Hoffmann (FDP) hingegen sagte: "Wir führen die Diskussion um langweilige Architektur in München seit 20 Jahren. Hier traut sich mal jemand raus, und dann kommen wieder alle möglichen Fachleute, die das absägen und erklären, warum es an der Stelle nicht passt". Veronika Mirlach (CSU) appellierte, "dass wir uns mal was trauen". Das Projekt sei "großartig".

Auch weil es keinen einheitlichen Tenor aus der Kommission gab, schlug Stadtbaurätin Elisabeth Merk abschließend vor, das Projekt zunächst einmal dem Bezirksausschuss vorzustellen und dann zu überlegen, ob man ein "Workshop-Verfahren" mit Beteiligten aus der Politik und der Bevölkerung anschließt. Dabei könne man auch mögliche Entwicklungen auf umliegenden Grundstücken, etwa der Brache an der Schönstraße, diskutieren. "Und wenn das dann ein guter Weg wird, könnte man das Projekt noch mal in der Kommission vorstellen."

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