Süddeutsche Zeitung

Szenario:Unterwegs auf sieben Bergen

Helga Hengge, die erste Deutsche, die auf den höchsten Gipfeln der Welt war, berichtet bei der Eröffnung des Münchner Canada-Goose-Ladens erstaunlich offen von ihren Ängsten und Selbstzweifeln.

Von Tanja Rest, München

"Ich bin jetzt nicht der typische Bergsteiger mit dem heroischen Bart und der unbändigen Muskelkraft." Das, so erzählt es Helga Hengge, sei ihr klar geworden, als sie im Everest-Basecamp ankam und sich unter den dort versammelten Aspiranten umsah. Ziemlich genau das gleiche schießt einem durch den Kopf, als man in der frisch eröffneten Canada-Goose-Boutique an der Theatinerstraße eintrifft und von Partymacherin Andrea Schoeller empfangen wird: "Helga steht da hinten." Pardon - wo? "Na da!" Und es ist so, dass die erste deutsche Frau auf dem Everest eine aparte blonde Erscheinung ist, die an diesem Abend in weißer Bluse und schwarzer Hose auch als Store-Managerin durchgegangen wäre.

Man glaubt den Nachhall des Aufseufzens immer noch zu hören, der durch die Münchner Society gegangen sein muss, als die Einladung im Postfach landete: Endlich wieder ein Event, bei dem eine gestandene Bogenhausenerin die Saddle Bag von Dior unter den Arm klemmen darf und auf Menschen trifft, die wissen, dass sie 2500 Euro gekostet hat. InStyle-Chefredakteurin Kerstin Weng balanciert auf garantiert nicht gipfeltauglichen Riemchensandaletten, Designerin Daniel Brunner erscheint mit dramatischem Augen-Make-up und Glitzerstirnband über dem Wallehaar, der Schauspieler Max von Thun sieht mit seinem fein geschwungenen Menjou-Schnurrbärtchen ein bisschen wie der Graf von Monte Cristo aus. Vermutung: Die einzige, die hier ganz ansatzweise weiß, wie unglamourös sich das Bergsteigerleben in seinen extremen Ausformungen gestaltet, ist die Stylistin Tanja Valérien. Sie ist mit dem Kletterer Stefan Glowacz verheiratet.

Und Helga Hengge natürlich. Der Stargast des Abends ist gleichzeitig dessen Schnittmenge: Sie arbeitete nämlich gerade als Modejournalistin in New York, als ihr Yoga-Studio an den Chelsea Piers um eine Kletterwand ergänzt wurde, an der sie fortan jeden Abend verbrachte. Die Seven Summits zu besteigen, die höchsten Berge der sieben Kontinente also, wurde das Ziel. Weil ihr nicht nur der Bart, sondern auch das heroische Selbstverständnis fehlte, zweifelte sie bis zuletzt, ob es gelingen würde.

Nun also bitte mal die Champagnerflöten weggestellt und Platz genommen, denn nun beginnt Helga Hengges Diavortrag, angemessen umrahmt von sehr vielen, sehr dicken Canada-Goose-Jacken. Drei Jahre Vorbereitung brauchte es für den höchsten Gipfel der Welt; dass sie ihn erreichte, ist auch schon wieder mehr als zwanzig Jahre her. Wie oft wird sie ihre Geschichte seither aufgesagt haben? Der Charme des Vortrags besteht dann darin, dass es einmal nicht Reinhold Messner oder Hans Kammerlander ist, der hier spricht - sondern diese schmale blonde Frau, die all ihre Selbstzweifel und Ängste, vor allem aber ihr Staunen angesichts der schieren Majestät dieses Berges miterzählt. Beeindruckend, das auch, vor allem aber berührend. Die Seven Summits, dies der Vollständigkeit halber, hatte sie 2011 in der Tasche. Ebenfalls als erste Deutsche.

Mit dem Foto von Hengge auf 8848 Metern Höhe ist dieser Fashion-Termin, einer der ersten in der fortgeschrittenen Saison, auch wieder vorbei. Die Bogenhauserinnen kommen ihre Sandaletten und fragilen Blüschen spätestens jetzt teuer zu stehen. Vor der Tür ist Canada-Goose-Wetter.

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