Café Über den Tellerrand:Begegnungen bei Butterbreze und Baklava

Café Über den Tellerrand

Das Café Über den Tellerrand ist kein Restaurant im klassischen Sinn.

(Foto: Robert Haas)
  • Das Münchner Integrationscafé Über den Tellerrand hat es geschafft, ins Finale für den Deutschen Gastro-Gründerpreis 2019 zu kommen.
  • Die Idee zu dem Café bestand ursprünglich darin, Geflüchtete und Einheimische übers gemeinsame Essen zusammenzubringen.
  • Über den Tellerrand soll ein Ort der Begegnung sein und bleiben.

Von Franz Kotteder

Deutschlandweit unter den ersten fünf - das ist natürlich schon der Hammer. An diesem Freitagnachmittag wird sich in Hamburg auf der Gastronomiemesse Internorga zeigen, ob das Münchner Integrationscafé Über den Tellerrand den Deutschen Gastro-Gründerpreis 2019 für sein Konzept gewinnen wird. Für das Finale haben sie sich bereits Ende Februar qualifiziert, haben dabei Mitbewerber aus der ganzen Republik ausgestochen. Jetzt stehen sie in der Endausscheidung, zusammen mit vier Konkurrenten aus Berlin, Hamburg, Kleve und Biebergemünd. Aber als einziges Konzept, das einen sozialen Hintergrund hat. Das Café Über den Tellerrand versteht sich nämlich als "Sozialunternehmen und Begegnungsstätte, in dem Menschen mit und ohne Fluchterfahrung miteinander kochen sowie Gäste und Mitarbeiter voneinander lernen", wie die Jury schreibt.

Das Phänomen, das man hilfsweise mit dem Begriff "Sozialgastronomie" umschreiben könnte, liegt im Trend. Wer Menschen mit einem bestimmten Handicap in Lohn und Brot bringen möchte, denkt gern einmal an ein Lokal: In der Branche werden eigentlich ständig Arbeitskräfte gesucht, man bekommt in der Regel auch als Angelernter einen Job, und man begegnet vielen anderen Menschen, findet also schnell Kontakt. Ideale Bedingungen mithin für Menschen, die es im Leben sonst nicht so leicht haben. Keine Rolle spielt hingegen, was viele Menschen als Grund vermuten, warum ein sozialer Verein ein Café oder eine Kneipe aufmacht: Geld zu verdienen für die gute Sache. Denn die meisten Sozialgaststätten sind eher Zuschussbetriebe oder tragen sich bestenfalls selbst. Oft braucht man für die dort Beschäftigten ja Betreuer oder Sozialpädagogen, die bezahlt werden müssen. Und dann ist mit der normalen Gastronomie oft gar nicht so viel verdient, wie man gemeinhin glaubt. Nicht umsonst macht ein Drittel aller neu eröffneten Lokale in der Stadt nach dem ersten Jahr schon wieder dicht.

Café Über den Tellerrand: Wichtig ist die Vielfalt im Team.

Wichtig ist die Vielfalt im Team.

(Foto: Andreas Gebert)

So gesehen haben zwei Münchner Betriebe mit sozialem Hintergrund ein erstaunlich langes Leben. Das erste Conviva-Restaurant eröffnete bereits 1995 und beschäftigte zur Hälfte Menschen mit geistiger oder Lernbehinderung, heute lebt das Konzept im Conviva im Blauen Haus, dem Restaurant der Münchner Kammerspiele fort. Und dann gibt es seit 2008 das Ausbildungsrestaurant Roecklplatz. Gegründet hat es der Verein "Heilpädagogisch-psychotherapeutische Kinder- und Jugendhilfe e. V.", abgekürzt: hpkj, mit der Szenegastronomin Sandra Forster, die zusammen mit Angela Bauer vom hpkj auch Geschäftsführerin ist. Die Idee entstand, als Bauer vom Londoner Restaurant Fifteen des Fernsehkochs Jamie Oliver hörte, das sozial benachteiligten Jugendlichen eine Ausbildung in der gehobenen Gastronomie ermöglicht. Man adaptierte das Konzept für München; seither können alle drei Jahre zwölf Jugendliche eine Lehre hier beginnen. Sogar einen richtigen Fernsehkoch hat man als Ausbilder am Herd stehen: Martin Baudrexel, der schon in Kochsendungen wie Küchenschlacht und Kochprofis mitwirkte. Trotz einer gewissen Grundfinanzierung durch das städtische Sozialreferat ist das Geld immer knapp, Spenden sind höchst erwünscht. Dass im Roecklplatz noch ausgebildet wird, merkt man der Küche nicht an - die ist denen normaler Restaurants durchaus ebenbürtig, übertrifft sie in aller Regel sogar.

Eine Vollgaststätte im rechtlichen Sinne wie das Conviva oder das Roecklplatz sind die meisten Soziallokale jedoch nicht. Auch das Café Über den Tellerrand ist kein Restaurant im klassischen Sinn, obwohl es mittags zwei verschiedene Gerichte anbietet, wie andere Gaststätten in der Umgebung auch. Im Grunde aber ist es für die Gastronomie im Volkshochschulzentrum an der Einsteinstraße 28 zuständig, das im vergangenen Juli eröffnete. "Wir haben als Gäste vor allem Kursteilnehmer, Angestellte der Volkshochschule und des Klinikums rechts der Isar", erzählt Betriebsleiter Felix Durejka, "samstags sind es aber auch viele Anwohner aus dem Viertel, die zum Brunch kommen."

Die Idee zu Über den Tellerrand ist 2013 in Berlin entstanden

Gemäß dem Motto: "Begegnungen bei Butterbreze und Baklava, Hummus und Obadza", bietet man internationale und regionale Gerichte an. Mittags gibt es jeweils ein vegetarisches und ein nicht-vegetarisches Gericht, die Preise dürfen sich die Gäste sogar aussuchen. Das vegetarische Gericht kostet zum "Selbstkostenpreis" beispielsweise 6,50 Euro, zum normalen Preis acht Euro und zum Soli-Preis (mit Spende an den Trägerverein) 9,50 Euro. Die nichtvegetarischen Gerichte kosten jeweils 50 Cent mehr.

Die Idee zu Über den Tellerrand ist eigentlich 2013 in Berlin entstanden; es ging darum, Geflüchtete und Einheimische übers gemeinsame Essen zusammenzubringen. Die Idee hat inzwischen deutschlandweit Verbreitung gefunden. In München hatten Jasmin Seipp und Julia Harig davon gehört und eine entsprechende Gruppe an der Volkshochschule versammelt, die bald auch professionelle Kochkurse anbot und "Begegnungen über das Essen im Alltag und auf Augenhöhe" (Seipp) ermöglichte.

Als dann die Ausschreibung für die Gastronomie im neuen Volkshochschulzentrum kam, bewarb sich der Münchner Tellerrand-Verein kurz entschlossen darum und erhielt den Zuschlag. "Jetzt arbeiten hier acht bis neun Beschäftigte mit Fluchthintergrund und vier ohne", sagt Felix Durejka, "unser Chefkoch Augusto ist Mexikaner und bringt die Küche seiner Heimat auch mit ein." Tipps für Gerichte oder einzelne Beilagen kommen natürlich auch von den anderen Mitarbeitern, Geflüchteten aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, aus Senegal und aus Gambia. "Wir wollen demnächst auch mal eine Karte mit den Lieblingsessen unserer Mitarbeiter machen", sagt Durejka, "da wollen wir sie dann auch mit Fotos vorstellen und kurz ihre jeweilige Geschichte erzählen." Schließlich soll das Café Über den Tellerrand ja auch ein Ort der Begegnung sein und bleiben.

Jasmin Seipp aber ist nun sehr gespannt auf das Finale am Freitag. Um 15 Uhr geht es los, da dürfen sich die fünf Projekte auf der Gastronomiemesse Internorga dem Fachpublikum präsentieren, moderiert wird die Veranstaltung vom Sternekoch Tim Mälzer. Das Publikum darf schließlich abstimmen, wer den Hauptpreis, immerhin 10 000 Euro, erhält. "Natürlich ist es schon toll, überhaupt in die Endrunde gekommen zu sein", sagt Jasmin Seipp, "aber das Geld könnten wir wirklich auch sehr gut gebrauchen." Finanziell sei man "noch nicht ganz in stabilem Fahrwasser". Der Ansporn weiterzumachen, ist aber groß - kein Wunder, nach so einem Erfolg, wie ihn die Einladung zur Hamburger Gastro-Messe darstellt.

Café Über den Tellerrand, Einsteinstraße 28, Telefon 89 08 19 65, www.ueberdentellerrand.cafe, Mo.-Sa. 8.30-22 Uhr.

Roecklplatz, Isartalstraße 26, Telefon 45 21 71 29, www.roecklplatz.de, Mo.-Sa. 17.30-1.00 Uhr.

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