Süddeutsche Zeitung

Bundestagswahlkampf im Netz:Wie Münchner Direktkandidaten die sozialen Medien nutzen

Ein 72-Jähriger als Tiktok-Star, Liveberichte von der IAA-Demo und manchmal ein Katzenbild auf Instagram. Twitter gehört für viele sowieso zum Tagesgeschäft dazu.

Von Anna Hoben und Jana Jöbstl

Wahlkampf, das war einmal: am Infostand Flyer und Kugelschreiber verteilen. An Haustüren klingeln. An Podiumsdiskussionen teilnehmen. Okay, all das ist Wahlkampf immer noch. Aber eben längst nicht mehr nur. Es ist eine weitere Wahlkampfwelt hinzugekommen: das Internet und speziell die sozialen Medien. Noch bei der letzten Bundestagswahl 2017 spielten die Plattformen keine große Rolle. Damals hatte nur etwa die Hälfte der Kandidatinnen und Kandidaten ein öffentliches Facebook-Profil, und nur ein Drittel war auf Twitter, wie der Tagesspiegel berichtet. Mittlerweile ist nicht nur der Großteil der Politik in den sozialen Medien unterwegs, sondern auch immer mehr Menschen in Deutschland sind es. Die Corona-Pandemie hat nochmals wie ein Verstärker für den Online-Wahlkampf gewirkt. Denn größere Veranstaltungen waren in Präsenz lange nicht möglich, und während der Pandemie konnten sich alle in Netz-Formaten erproben.

Die SZ hat die Social-Media-Profile der Münchner Direktkandidatinnen und Direktkandidaten zur Bundestagswahl von CSU, SPD, Grünen, FDP, AfD und Linken unter die Lupe genommen, eine Auswahl wird hier vorgestellt. Nur drei der 24 Kandidaten sind nicht mit einem öffentlichen Profil in den sozialen Medien präsent. Mit den Möglichkeiten der Plattformen gehen die Politiker unterschiedlich um. Kerem Schamberger (Linke) nutzt schon mal die Live-Funktion bei Instagram, etwa am Freitagmorgen, als er seinen Followern in dem Video "Auf dem Weg zu #BlockIAA" erzählte, was der Tag in Sachen Protest gegen die Automesse so bringen werde. Andere posten mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks täglich einen Post. Und bei manchen könnten die Profile ein bisschen mehr Pflege brauchen.

Was die Zahlen angeht, ist Petr Bystron (AfD) Spitzenreiter bei Facebook, mit 35 000 Abonnenten. Bei Instagram führt die Grüne Jamila Schäfer mit 8600 Abonnenten, ebenso bei Twitter, mit 20 600 Followern. Alle Zahlen stammen vom Freitag dieser Woche und sind auf Hunderter gerundet. Und dann gibt es da noch einen, der heraussticht - nicht bei den sonst üblichen Plattformen, sondern bei Tiktok. Thomas Sattelberger ist 2015 in die FDP eingetreten, 2017 zog er über die bayerische Landesliste in den Bundestag ein. Dann wurde er Tiktok-Star. 135 600 Menschen folgen dem 72-Jährigen auf der Plattform, auf der jeder dritte Nutzer unter 18 ist. Wie macht er das? Sein Erfolg in der Jugendapp habe, so glaubt der Abgeordnete, damit zu tun, dass er nicht gekünstelt auftrete: "Ich bin ja schon ein bisschen tollpatschig, aber ich verstelle mich nicht." Tiktok basiert auf kurzen, oft ironischen oder schwarzhumorigen Videos, unterlegt mit Musik. Darauf hat sich Sattelberger, einst Manager bei Daimler, Lufthansa, Continental und Telekom, eingelassen - und das Prinzip ganz offensichtlich verstanden.

Sattelberger hält Tiktok für nicht unwichtig in seinem Wahlkampf. Er glaube, sagt er, "dass ich damit etwas für unsere gesamte Partei tue". Immer wieder spielt der Online-Wahlkampf auch in den analogen hinein, dann kommt ein junger Mensch an den Infostand und sagt: "Ich habe Sie bei Tiktok gesehen." Aber politische Arbeit im Internet bedeutet für Sattelberger noch viel mehr. Er sehe die sozialen Medien als Möglichkeit, "auf andere Art und Weise Menschen zu treffen". Er hat einen Podcast gemacht mit dem Klimaaktivisten und Influencer Fabian Grischkat, 70 Folgen. "Ich experimentiere mit Formaten, nicht indem ich sie perfekt plane, sondern indem ich einfach mache." Wobei die Formate freilich professionell produziert sind, auch die kleinen Videos auf Tiktok, für die er mit der Digitalagentur Project Z zusammenarbeitet.

50 Prozent seiner Energie investiere er heuer im Wahlkampf in Infostände, Gespräche und Panels, sagt Sattelberger, 50 Prozent in Online-Aktivitäten. Und er glaubt, dass Letzteres weiter an Bedeutung gewinnen werde: "Da wird sich in den kommenden Jahren noch mal gravierend etwas ändern in der Wahlkampfstrategie der Parteien."

Mitarbeit: Jana Jöbstl

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Quelle:
SZ vom 11.09.2021
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