Süddeutsche Zeitung

Bundestagskandidaten im Porträt:Gesund essen statt impfen

Der AfD-Direktkandidat Paul Podolay hält Corona für einen Spuk und glaubt, dass offizielle Stellen Zahlen zur Pandemie fälschen. Bei der Wahl 2017 schaffte der 75-Jährige den Einzug in den Bundestag - doch diesmal sind die Chancen gering.

Von Anna Hoben

Ende August war Paul Podolay mit seinen Fraktionskollegen Beatrix von Storch und Siegbert Droese in der Türkei, um sich über die Flucht von Menschen aus Afghanistan zu informieren. "Die Lage ist heute so wie im Frühjahr 2015 - vor der großen Migrationswelle in die Bundesrepublik", ließ er sich danach in einer Pressemitteilung zitieren. "Die Fehler von damals dürfen wir nicht wiederholen." Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel die Grenzen im Herbst 2015 offen ließ, war für Podolay der Grund, in die AfD einzutreten. 16 Jahre lang sei er davor CSU-Mitglied gewesen. Bei einer Veranstaltung der AfD habe er gesehen: "Das sind normale, gebildete Leute aus der Mitte der Gesellschaft." Auf seiner Türkeireise habe er auch mit zwei Flüchtlingen gesprochen, sagt Podolay. Er selbst ist 1982 aus der damaligen Tschechoslowakei nach Deutschland gekommen. "Ich bin Flüchtling", sagt er, dann präzisiert er: "Spätaussiedler", seine Mutter war Deutsche. Seine Familie und er hätten in Bratislava ein gutes Leben geführt - aber er habe für seine Kinder eine demokratische Zukunft gewollt.

"Die Mehrheit will sich nicht integrieren", das sagt er heute über Flüchtlinge. Den eigenen Migrationshintergrund hat er gemeinsam mit Petr Bystron, der ihn als damaliger AfD-Landeschef in die Partei geholt habe, wie er sagt. Eigentlich habe er Politik als Hobby betrachtet, die Berufspolitik sei nicht sein Ziel gewesen. Er war bereits Rentner, habe "Enkel, Garten und Oldtimer" gehabt. Und dann kandidierte er zur Bundestagswahl 2017 - im Wahlkreis Erlangen, obwohl er seit vielen Jahren in München lebt. Auf der Landesliste hatte er Platz 10, "das war kein Ticket in den Bundestag". Doch dann konnte die AfD aus Bayern sogar 14 Abgeordnete ins Parlament schicken. Podolay wurde Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, im Gesundheitsausschuss und in der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Für diese war er in den vergangenen Jahren mehrmals als Wahlbeobachter unterwegs.

In diesem Jahr ist Podolay der Direktkandidat der AfD im Wahlkreis München West/Mitte. Der 75-Jährige ist gelernter Medizintechniker. In Bratislava habe er 1968 zum Operationsteam bei der ersten Herztransplantation in Mitteleuropa gehört, sagt er. In München arbeitete er später als Techniker und IT-Administrator an der Technischen Universität. Mit 55 Jahren begann er, im Abendstudium neun Semester lang Politikwissenschaft zu studieren. Im Bundestag zählt er nach eigener Einschätzung zu den gemäßigteren AfD-Abgeordneten. Wobei er findet, dass die Fraktion ohnehin "relativ brav" gewesen sei. Wie aggressiv es in Wirklichkeit zugeht, seit seine Partei im Parlament sitzt, zeigt die sprunghaft angestiegene Zahl der Ordnungsrufe; 2020 ergingen zwei Drittel davon gegen Abgeordnete der AfD. Was sagt Podolay zu den verbalen Provokationen seines Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland? "Das ist nicht meine Rhetorik." Er habe sich immer als Botschafter "einer richtigen AfD" gesehen. Und er stellt es gern so dar, als sei er mit seinem Kurs erfolgreich. Dass AfD-Politiker von anderen Fraktionen ausgegrenzt würde, wie Kollegen oft beklagen, habe er selbst nicht so empfunden - es gebe in allen Fraktionen, so behauptet er, Kollegen, die ihn duzten, außer bei der Linken. Klar sei für ihn: "Höcke schadet uns ungemein." Dass die Partei wegen des rechtsextremen Thüringer Fraktionschefs Björn Höcke nicht wählbar sei, bekomme er an Infoständen immer wieder zu hören.

2019 nominierte die Fraktion Podolay als Kandidat für das Amt des Bundestagsvizepräsidenten. "Im Bundestag gehört er nicht zu den Scharfmachern seiner Fraktion, trägt aber deren Positionen mit", schrieb die Welt damals über ihn. Zuvor waren bereits zwei andere Kandidaten und eine Kandidatin der AfD gescheitert. Nach der Geschäftsordnung des Bundestages steht der AfD wie jeder Fraktion ein Vize-Posten zu. Die Abgeordneten der anderen Fraktionen sind mit ihrem freien Mandat aber nicht verpflichtet, einen Kandidaten zu wählen. Auch Podolay scheiterte. 197 Ja-Stimmen erhielt er im dritten und letzten Wahlgang, nötig gewesen wären 355.

Bundespolitisch ist Podolay in Berlin nicht groß in Erscheinung getreten. Unverständlich seien seine Reden oft, man wisse nicht, was er wolle, sagt ein Kollege einer anderen Fraktion aus dem Gesundheitsausschuss. Generell versuche die AfD dort, abseits der Sacharbeit durch Provokationen Aufmerksamkeit zu bekommen - die typische AfD-Strategie. Als der Bundestag über die Widerspruchslösung beim Thema Organspende diskutierte, um mehr Transplantationen zu ermöglichen, äußerte Podolay die Ansicht, dass es schon jetzt zu viele davon gebe. Man müsse stattdessen mehr Geld in die Gesundheitsvorsorge investieren und so die Zahl jener Patienten senken, die ein Organ benötigen.

Im Januar 2019 warb er in einer Bundestagsrede für grüne Smoothies: "Essen Sie grün. Trinken Sie grün." Denn Chlorophyll sei "grünes Sonnenlicht". Gesunde Ernährung, das ist auch sein Rezept gegen das Coronavirus. Die Menschen sollten ihr Immunsystem besser pflegen, sagt Podolay; vom Impfen hält er nichts. Fast alle Maßnahmen in der Pandemie seien übertrieben gewesen. Die Abstandsregel könne er noch nachvollziehen - aber bereits eine Kombination aus Abstand und Maskentragen sei "unsinnig". Die Lockdowns? "Absoluter Quatsch, die haben die Wirtschaft ruiniert und die Kinder kaputt gemacht." Podolay behauptet zudem, dass offizielle Stellen in der Pandemie etliche Zahlen gefälscht hätten. Langzeitfolgen wie das Long-Covid-Syndrom? "Da muss erst mal jemand beweisen, was das ist." Auf seinem Instagram-Account schreibt er: "Am 26. September AfD wählen, dann ist der Corona-Spuk endlich vorbei!"

Seine Chancen, erneut in den Bundestag einzuziehen, sieht Podolay realistisch. Bei der Aufstellung der bayerischen Landesliste erhielt er kaum Stimmen. Man habe ihm vorgeworfen, in Berlin zu wenig gearbeitet und aus dem Bundestag ein Reisebüro gemacht zu haben. Dass seine Arbeit nicht geschätzt werde, habe ihn enttäuscht. Er habe trotzdem bis zum letzten Platz weiter kandidiert. Der einzige Weg würde also über ein Direktmandat führen, "was man in München vergessen kann". Wahlkampf macht er trotzdem.

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SZ vom 07.09.2021
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