Süddeutsche Zeitung

Bundestagskandidaten im Porträt:Ein Mann für die Gesundheit

Im Bundestag fällt CSU-Mann Stephan Pilsinger durch medizinische Kompetenz auf. Ob er sein Mandat für den Wahlkreis West/Mitte behält, ist aber ungewiss.

Von Andreas Schubert

Manchmal liegen das Schöne und das Hässliche nah beieinander. Es ist ein sonniger Freitagnachmittag im August, Stephan Pilsinger hat zum Gespräch in das CSU-Bürgerbüro an der Verdistraße in Obermenzing eingeladen, das auch sein Wahlkreisbüro ist. Gleich um die Ecke ist das Schloss Blutenburg, zu dem der 34-Jährige eine besondere Beziehung hat. In der Nähe ist er aufgewachsen, als Kind ist er mit seiner Mutter regelmäßig hier spazieren gegangen, seine Großmutter hat sich im Förderverein engagiert.

Von der nahen Autobahn A 8 ist nichts zu hören, die hektische Hauptstadt, in der sich der Bundestagsabgeordnete normalerweise nur in den Sitzungswochen aufhält, ist weit weg. Die Gegend, die Innenstadtbewohner abfällig gerne als Outback bezeichnen, ist für Pilsinger Heimat. Hier lebt er nun wieder samt Verlobter und Rauhaardackel, nachdem er während des Medizinstudiums an der LMU eine Zeit lang im Zentrum gewohnt hat. Und auch politisch ist er als Mitglied des Bezirksausschusses Pasing-Obermenzing und Chef des CSU-Ortsverbands Obermenzing verwurzelt.

Beim Spaziergang durch den Hof der Blutenburg wirkt Pilsinger entspannt. Dabei hat er fünf Minuten vorher relativ aufgewühlt erzählt, wie sie an Ostern die Scheiben seines Büros erst mit Eiern beworfen und dann mit Steinen zertrümmert haben. Im Jahr davor hatten offenkundig rechtsextreme Täter "Volksverräter" an die Scheibe gesprüht. Das ist die hässliche Seite eines sonst recht angenehmen Quartiers, dessen Bewohner man eher mit der Pflege ihre Blumenrabatten im Vorgarten verbindet, als mit extremistischer Agitation. Aktuell prangt schräg gegenüber vom Büro ein Schmähplakat, das sich zwar gegen die Grünen richtet, Pilsinger aber ebenso ärgert, weil er diese aggressive Art von Diskurs ablehnt, auch wenn er die Grünen nicht möge, wie er sagt.

Die Grünen: Die haben gute Chancen, Pilsinger, der 2017 mit 30 Jahren als Direktkandidat und Nachfolger von Hans-Peter Uhl in den Bundestag einzog, das Amt abzuluchsen: Zwei aktuellen Prognosen zufolge liegt Pilsingers Kontrahent Dieter Janecek von den Grünen vorne. Der hat vor lauter Freude darüber am Donnerstag eine Karikatur getwittert, auf der er Pilsinger bei einem Rennen auf der Zielgeraden abhängt - Janecek auf dem Fahrrad mit Sonnenblume in der Hand, Pilsinger mit CSU-Fahne im Auto, das hinten raus schwarze Rauchschwaden in die Luft bläst. 33,3 Prozent hat der CSU-Mann vor vier Jahren geholt, Janecek holte damals 16,3 Prozent, zog aber wieder über die Liste ins Parlament ein. Jetzt haben sich, glaubt man den Prognosen, die Vorzeichen geändert.

Erstmals seit 1976 könnte die CSU den Wahlkreis, der 2002 von "München-West" zu "München-West/Mitte wurde", verlieren. Pilsinger ist sich bewusst, dass sein Mandat 2021 keineswegs gesichert ist. Der Wahlkreis ist so zugeschnitten, dass er konservative Wähler im Vorort vereint mit der urbanen Grünen-Klientel der Schwanthalerhöhe, wo die Grünen bei der Bezirksausschuss-Wahl 2020 mit 45,9 Prozent deutlich dominierten. Auch im BA Pasing-Obermenzing hatten sie mit 34,4 Prozent die Nase vorn.

"Es wird knapper als beim letzten Mal", räumt Pilsinger ein und hält sich zurück mit weiteren Ausführungen zu seinen Wahlchancen. Nur so viel: Gerne würde er weitere vier Jahre im Bundestag bleiben, vor allem, um sich weiter um die Gesundheitspolitik zu kümmern, die ihm als Arzt besonders am Herzen liege. Sollte er aus dem Parlament fliegen, ist er beruflich aber abgesichert. Im Nebenberuf arbeitet Pilsinger derzeit als Hausarzt in einer Oberhachinger Praxis. "Es ist nicht so, als wüsste ich nicht, was ich arbeiten sollte, ich habe zum Glück neben meiner Abgeordnetentätigkeit einen erfüllenden Beruf", sagt er.

Pilsinger ist der Sohn eines Arztes und einer Krankenschwester. Dass er selbst Mediziner geworden ist, nutzt er auch politisch. Besucht er eine Hilfsorganisation, einen Verein oder einen Betrieb, nennt er das "Pilsingers Sprechstunde". Auf seiner Homepage posiert er im weißen Kittel und mit Stethoskop. Und in der Corona-Krise hat er sich, als es noch keine Impfstoffe gab, für Hygienemaßnahmen und Kontaktbeschränkungen eingesetzt. Die Mitglieder der CSU-Landesgruppe in Berlin hat er als einziger Arzt in deren Reihen persönlich getestet.

Jetzt rührt Pilsinger, der Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestags ist, die Werbetrommel für die Corona-Impfung, bessere Bezahlung von Pflegekräften und das Rauchverbot in Shisha-Bars. Ein weiterer Slogan, mit dem er wirbt, lautet: "Gute medizinische Versorgung darf keine Frage des Geldbeutels sein." Zuzahlungen zu Medikamenten müssten "sozial angemessen" sein. So weit, die Trennung von privater und gesetzlicher Krankenversicherung abzuschaffen, wie es etwa die SPD will, würde er aber nicht gehen wollen. "Es macht vieles gleicher, aber nicht besser", glaubt Pilsinger.

Manches was er sagt, klingt gar nicht so weit weg vom politischen Gegner. Zum Beispiel beim Thema Wohnen. "Es gibt Tausende Senioren, die München verlassen müssen, weil sie sich diese Stadt nicht mehr leisten können, das ist eine große Ungerechtigkeit", sagt er. Und: "Ich will nicht nur eine Stadt für Reiche haben, man darf nicht alle weggentrifizieren." Das "S" in CSU dürfe man nicht vergessen.

Apropos CSU: Zum Spektrum des Unionspolitikers gehört es auch, die Themen Sicherheit und Wirtschaft abzudecken. "Sicherheit ist für uns nicht verhandelbar", lautet ein Slogan auf Facebook. "Weniger Bürokratie für Münchens Unternehmer", ein anderer. Zum Thema Klimaschutz äußert sich der CSU-Mann nur zurückhaltend, allzu viele politische Eingriffe in den Alltag der Menschen lehnt er ab. Auch er benutzt das häufig vorgebrachte und von Klimaschützern stets kritisierte Argument, dass Deutschland nur einen Anteil von zwei Prozent am weltweiten CO₂-Ausstoß verursache. "Wir brauchen neue Technologien, die wir in Deutschland entwickeln müssen, um globale Lösungen zu etablieren", meint Pilsinger. Man müsse die Menschen nicht bevormunden, meint er in Anspielung auf die Grünen.

Im Wahlkampf hat Pilsinger wegen Corona nur wenige Veranstaltungen. Zwei politische Frühschoppen und zwei "Biergartengespräche" stehen derzeit in seinem Veranstaltungskalender. Ansonsten nutzt er vor allem die sozialen Medien als Werbeplattform. Dort gibt es auch Fotos von einer "Sprechstunde" bei einem Burger-Brater in Aubing. Pilsinger posierte mit Pommes, Burger und Softdrink auf dem Tablett. Ob der Arzt auch eine Packung Cholesterinsenker in der Hosentasche hatte, ist auf dem Bild nicht zu erkennen.

Stephan Pilsinger im Video-Selbstporträt:

Die SZ hat die Münchner Direktkandidatinnen und Direktkandidaten für die Bundestagswahl gebeten, sich für ein Porträt selbst zu filmen. Alle Videos und weitere Kandidaten-Porträts finden Sie hier.

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Quelle:
SZ vom 28.08.2021
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