CSU steuert auf Richtungsstreit zu:Das Ende von Söders One-Man-Show?

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Lichtgestalt im Hintergrund: Bei der Wahlparty in der CSU-Zentrale zeigt sich, wie sehr die Partei im Moment eine One-Man-Show ist. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Wie bei der Kommunal-, der Europa- und der Landtagswahl landet die CSU in München hinter den Grünen. Der Weg zu einer liberalen Großstadtpartei ist noch weit - und unumstritten ist der Kurs auch nicht.

Von Sebastian Krass

Hinten im Saal sind die Tische schon abgeräumt, die Fernsehübertragung auf der Leinwand ist ausgeschaltet. Aber auf der Terrasse der "Nachtkantine", wo der Regen aufs Vordach trommelt, da steht Wolfgang Stefinger mit den letzten 20 Verbliebenen seiner Wahlparty im Werksviertel hinterm Ostbahnhof. Und man kann sagen: Das Lachen im Gesicht des wiedergewählten CSU-Direktkandidaten aus dem Münchner Osten sieht in echt genau so strahlend aus wie auf den Plakaten. Stefinger hat seinen Wahlkreis gewonnen, als einziger Münchner CSU-Kandidat mit mehr als 30 Prozent der Erststimmen und mit knapp zehn Prozent Vorsprung auf die Grüne Vaniessa Rashid. Dieser Wahlkreis galt schon vorher als einziger, der der CSU halbwegs sicher ist, aber Stefingers Ergebnis ist auch unter diesem Gesichtspunkt respektabel.

Aber als man ihn auf die 23,8 Prozent der Zweitstimmen anspricht, mit denen die CSU nach Landtags-, Europa- und Kommunalwahl nun auch bei der Bundestagswahl in München hinter den Grünen gelandet ist, da wird Stefingers ausgeprägte Mimik schlagartig nachdenklich, Tendenz besorgt.

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Früher, zu Zeiten von Alois Glück und Barbara Stamm auf der einen Seite und Günther Beckstein und Peter Gauweiler auf der anderen, sei die CSU breit aufgestellt gewesen, inhaltlich wie personell. "Aktuell ist das eher nicht der Fall", analysiert Stefinger, 36 Jahre alt, Betriebswirt und im Bundestag bisher für Entwicklungs- und Bildungspolitik zuständig, den Zustand seiner Partei. "Ich kann nur sagen: Wir brauchen eine Öffnung, wir brauchen mehr Personen, die für bestimmte Themenfelder stehen." Hoppla, denkt man, fordert hier ein CSU-Bundestagsabgeordneter das Ende von Söders One-Man-Show? Stefingers Antwort auf diese Frage lautet: "Wenn Sie das so nennen wollen."

Er sieht in seinem Ergebnis jedenfalls "einen Fingerzeig", wo es für die CSU hingehen sollte: in Richtung "liberale Großstadtpolitik, diese Themen müssen künftig eine größere Rolle spielen bei uns", als Beispiele nennt er Wohnen, Kinderbetreuung, Mobilität, aber auch den "Erhalt grüner Lungen in der Stadt". Stefinger erwähnt, dass er im Bundestag öfters gegen die Mehrheitsmeinung seiner Fraktion gewesen sei, bei Themen wie der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare oder der Migration. Will dieser Wolfgang Stefinger, der bisher nicht zu den prominenten CSU-Mandatsträgern gehört, mit seinem Wahlergebnis im Rücken nun eine größere Rolle spielen? "Ich stehe zur Verfügung", sagt er.

Allerdings darf man Stefingers Bedeutung und seinen Einfluss auf die Geschicke der CSU in München oder darüber hinaus nicht überschätzen, zum 36-köpfigen Bezirksvorstand etwa gehört er nicht. Das verbindet ihn mit Bernhard Loos und Stephan Pilsinger, die ihre Direktmandate im Norden und Westen verteidigt haben, aber bei Fragen zur Parteistrategie auch eher keine Rolle spielten. Etwas anders ist das kurioserweise beim CSU-Wahlverlierer Michael Kuffer, der den Wahlkreis im Süden an die Grüne Jamila Schäfer abgeben muss. Kuffer ist Beisitzer im Bezirksvorstand, saß bis 2017 im Stadtrat und hat gern und lautstark das CSU-Klassikerthema "Recht und Ordnung" besetzt. Zur Sitzung des Bezirksvorstands am Montagabend waren alle vier Kandidaten eingeladen.

Hat doch einiges zu erklären: Georg Eisenreich, seit Juli dieses Jahres Chef der Münchner CSU. (Foto: Friedrich Bungert)

Geleitet wird sie von Bayerns Justizminister Georg Eisenreich, der seit gut zwei Monaten der Münchner CSU vorsteht. In seiner ersten Reaktion am Wahlabend im Kreisverwaltungsreferat kündigte Eisenreich am Sonntagabend an: "Wir werden die nächsten zwei, drei Jahre nutzen, um unsere Programmatik weiterzuentwickeln, ohne unseren bürgerlichen Markenkern aufzugeben." Eine Aussage, die den Vorteil hat, dass sie so ziemlich jede denkbare Änderung abdeckt.

Konkret wird Eisenreich auch tags drauf nicht, aber er erklärt das Prozedere: "Nach dieser Bundestagswahl werden 17 Fachforen ihre Arbeit aufnehmen und alle für München relevanten Themen abdecken." Der Ausgang sei offen, "ich werde kein Ergebnis vorgeben". Auf Kontroversen ist Eisenreich eingerichtet: "Wir haben Mitglieder mit Diesel im Blut und welche, die kein Auto mehr haben."

Es ist ein Beispiel, das hübsch illustriert, wie groß der Spagat wird für die CSU zwischen dem Anspruch der liberalen Großstadtpartei, die Stefinger - und vor ihm schon viele andere Münchner CSUler - beschworen haben und dem bürgerlichen Markenkern, den Eisenreich auch erhalten will. Es ist ein Prozess, für den Eisenreich der Partei Zeit gibt: 2023 oder 2024 solle "die Programmatik fertiggestellt sein". Ein erster Test steht zur Landtagswahl 2023 an, bei der die CSU, kündigt Eisenreich an, wieder stadtweit vor den Grünen landen werde. "Aber die wichtigste Prüfung für die Münchner CSU", sagt er "ist die Kommunalwahl 2026."

© SZ vom 28.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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