Süddeutsche Zeitung

Architekt Friedrich Bürklein:Das war Münchens vielleicht prägendster Baumeister

Der Architekt Friedrich Bürklein hat die Stadt erfunden als das, was sie ist: auf eine seltsame Weise sehr schön. Seinen Bauwerken aber blieb lange die Anerkennung versagt - vor 150 Jahren starb er in geistiger Umnachtung.

Von Gerhard Matzig

Dem Autor dieser Hommage war es wichtig, in der Titelei den Namen Friedrich Bürklein unterzubringen - und Maximilian zu ignorieren. Nimm das, König Maximilian II. Joseph von Bayern, nach dem (es muss halt sein) in München die Maximilianstraße benannt ist, das Maximilianeum, die Maximiliansbrücke oder die Maximiliansanlagen. Erbaut in einem nicht ganz astreinen bajuwarisch-neugotischen Stil, der Eingang ins Lexikon gefunden hat: als, natürlich, Maximilianstil. Der König hat sich im Alltag verewigt, der Architekt im Archiv; der König gilt bis heute als heroischer Visionär, sein Architekt als Opfer des historistischen Wahnsinns.

Die Ego-Projekte eines, so viel Respekt muss fairerweise ebenfalls sein, kunstsinnigen Königs gehören bis heute zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Die erst mit solcher Hilfe entdeckt hat, sapperlot, dass München an der Isar liegt. Noch immer überstrahlen allerdings nicht königliche, sondern kongenial königlich-architektonische Werke ein München, das auf diese Weise auch per Selfie in aller Welt herumgereicht wird.

Wer gelegentlich am Maximilianeum vorbeikommt, man tut das gern, bevor man in der östlichen Wildschweinperipherie rund um den SZ-Turm versandet, vorbei also an diesem Bau der schieren Fantastik, den man sich als Regisseur des Alpenglühens nicht dramatischer, zugleich aber auch nicht schöner ausdenken könnte, weiß, dass es dort manchmal schwer ist, die begeisterten Selfie-Jäger aus aller Welt lebenserhaltend zu umkurven. Nicht allzu viele architektonische oder stadträumliche Sensationen sind in München zu bewundern. Je näher man der Gegenwart kommt, desto weniger Selfies sind zu erbeuten.

Der Königsplatz ist zu nennen, der Englische Garten, die Ludwigstraße, das Olympia-Areal ... In dieses Album gehört auch die homogen bebaute, gleichzeitig menschenfreundliche und angenehm selbstbewusste, dabei keineswegs nervige Maximilianstraße (in der es früher vor allem Cafés und jede Menge Kultur plus großbürgerliche Wohnungen gab, bis alles zu Prada und Bürostumpfsinn wurde), die über die Maximiliansbrücke bis zum Maximilianeum führt. All das sollte heißen: Bürkleinstraße, Bürkleinbrücke und unserethalben Bürklianeum. Sogar der kolossale Bau, in dem heute der Landtag untergebracht ist, nimmt die Menschen liebend in den Arm - was eher in architektonischer als politischer Weise gelingt.

Sehenswürdigkeiten wie das Maximilianeum sind eigentlich Denkwürdigkeiten. Unter anderem laden sie ein, darüber nachzudenken, warum die Städte von heute so erbärmlich gestaltarm und zugleich so menschenfeindlich dysfunktional sind - was auch für etliche neuere Teile von München gilt.

Die eingangs bemühte Anti-Maximilian-Haltung ist jedenfalls die späte Rache eines Architekten, dem all dies und noch viel mehr in Wahrheit zu verdanken ist; der diesem König Maximilian II. sein Können und sein halbes Leben, sogar seinen im Krieg gefallenen Sohn schenkte, der am Ende in Ungnade fiel, niederträchtig behandelt, mit Almosen abgespeist wurde - und gedemütigt starb. Gedemütigt auch von Leuten, die man heute so gern heranzieht für die Partizipations-Verheißungen, die leider oft einhergehen mit der sogenannten "Volksmeinung". Berufskollegen und Kritiker gehören ebenfalls dazu.

Gestorben ist der vom Geschmacks-Mob drangsalierte Bürklein in "geistiger Umnachtung", und zwar in der Heilanstalt Werneck. Das war vor 150 Jahren, am 4. Dezember 1872. Bürklein war im Tode einsam, mutmaßlich verrückt, vor allem aber seiner Würde und der Anerkennung für sein Lebenswerk beraubt. Dabei hat ihm das undankbare München viel zu verdanken.

Die Welt des Bauens könnte, ja müsste sogar immer noch von Bürklein lernen. Vor allem den Nachfolgern der Monarchen als Bauherren, also den Managern von BMW bis Siemens, aber auch den Damen und Herren vom Stadtrat, würde man eine Extra-Lektion Bürklein nachdrücklich ans Bausparer-Herz legen. Bürklein war ein Superheld der idealen, dem Auge, den Menschen, der Stadt, dem Alltäglichen gefälligen, zugleich dem Besonderen, der Fantastik und dem Großmut zuträglichen Maße, der Proportionen und der Harmonien. Mittelmäßig, ideenlos, unbegeistert: Das war er nie. Gut möglich, dass er am Mittelmaß gescheitert ist.

Georg Friedrich Christian Bürklein war ein zum Zwerg degradierter Riese, dem das Kleingemachtwerden schon in die Wiege gelegt wurde: Bürklein wurde am 30. März 1813 in Burk im Landkreis Ansbach als Sohn eines Lehrers geboren. Der Franke, der sich bald als enorm begabter, ja visionärer Architekt erweisen sollte, trug aber den Burk-Diminutiv schon im Namen: Bürklein, der Kleine aus Burk.

Das Talent des Kleinen wurde dennoch früh entdeckt. Von Friedrich von Gärtner wurde er unterrichtet, er stieg auf, machte Karriere. Vor allem mit dem Bau des Münchner "Centralbahnhofs" gelang das, hochmodern konstruiert als Stahlstrebwerk, bildlich aber an eine Basilika erinnernd, repräsentativ außen, raumüberwältigend innen, sogar vergleichsweise billig. So machte der junge Architekt Bürklein Eindruck auf den sparsam-verschwenderischen König, der seinerseits die Welt verändern wollte, auch stilistisch - am Übergang von Klassizismus und Historismus.

Bürklein wurde zum Erfinder eines neogotischen Baustils, der so eigensinnig geriet, aber auch so menschlich, so gestisch reich an ornamentalem Werk und plastischer Durchdringung, dass man in ihm auch ein aufrührerisches, bayerisches Moment sehen kann. Unter den neogotischen Stilen ist der monarchistische Maximilianstil reinste, die Baugeschichte lustvoll plündernde Anarchie. Bald wurde ein Stil verhöhnt, der freundliche und angenehme, ja zugleich bergende und weltoffene Räume von intensiver Farbigkeit und höchstem Detailreichtum schuf. Um zu erfreuen. Wann haben Architekten aufgehört, sich für diese Funktion - das Erfreuen - im Funktionalismus zu begeistern?

Das von König und Architekt so geliebte und ja auch so schöne Material Terrakotta (aber eben auch: Glas und Eisen als Materialien der Moderne) galt bald als "Kachelofenstil". Das Maximilianeum wurde noch während des Baus mit Gelächter überzogen von einem Volk, das eher die ausklingende Monarchie meinte, aber - da sich alle Macht in Architektur kleidet - die königliche Baukultur der Einfachheit halber ebenfalls verlachte. Maximilian II. war bald verunsichert, auch am Lebensende angekommen - Bürklein musste noch während der Bauphase umplanen (weg von der Neogotik hin zum Neoneoirgendwas), die Baukosten stiegen, der Architekt wurde gefeuert und durch Gottfried Semper ersetzt. Das Volk johlte und Friedrich Bürklein sank in geistige Umnachtung. Bürklein war der Charlie Brown unter den Architekten des 19. Jahrhunderts.

Er hat immer für eine Architektur der Schönheit gearbeitet. Oft umsonst. Wenn man heute in der so wahrhaft wie wahnhaft hässlichen Sonnenstraße in München vor dem beinahe einzigen Gebäude steht, das einen nicht in Tränen ausbrechen lässt über ein München, wie es nicht magdeburghafter sein könnte, steht man vor der ehemaligen Frauengebäranstalt, später Postscheckamt, "Event-Location" und Klinikum. Der Bau stammt von Friedrich Bürklein, der oft ohne Lohn blieb und ausgelacht wurde, weshalb es in seinem Nachruf hieß, er sei ein bescheidener Mensch gewesen. Bürklein, der Kleine aus Burk, war einer der Größten. München und Bürklein: Das ist eine der schönsten und grausamsten Liebesgeschichten der Moderne.

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