Süddeutsche Zeitung

Zero Waste:Ganz schön viele Telefonbücher für eine Telefonzelle

Besser tauschen als wegwerfen - das finden immer mehr Menschen. Münchens originellste Tauschstationen im Überblick.

Von Lea Kramer

München will keinen Müll mehr machen - oder zumindest weniger. Ende des vergangenen Jahres hat die Stadt einen Antrag unterschrieben, um dem sogenannten "Zero-Waste-Europe"-Netzwerk (ZWE) beizutreten. Konkret heißt das, dass München Strategien entwickeln will, um weniger Ressourcen zu verschwenden und Abfall zu vermeiden.

Während sich die Stadt noch vernetzt, sind viele Bewohnerinnen und Bewohner schon einen Schritt weiter. Sie werfen das Geraffel nicht mehr weg, sondern tauschen es gegen anderen Kruscht ein. Das geht in München gerade besonders gut an ziemlich ungewöhnlichen Tauschstationen.

Weltliteratur aus Spind und Zelle

Wer sich für skurrile Klappengestaltung und absonderliche Vektorgrafiken begeistert, für den sind die Metall- oder Glasschränke, die in der ganzen Stadt verteilt auf öffentlichen Plätzen und Wegen stehen, sicherlich eine wahre Fundgrube. Im offenen Bücherschrank am Grünen Markt in Berg am Laim zum Beispiel kann man sich gerade "Totentanz" von James Herbert ausleihen. Es handelt sich um einen Gruselroman, in dem ein Parapsychologe mysteriöse Todesfälle auflösen will. Die "T"s im Buchtitel sind daher Kreuzen nachempfunden, ein geradezu genialer grafischer Einfall.

Knaurs Kulturführer - "in Farbe" - kann da nur wenig mithalten, trotz Schloss Neuschwanstein auf dem Titel. Daher lohnt sich in diesem Fall vermutlich eher der Blick ins Buch statt nur auf die Klappe, wobei fraglich ist, wie viele Erkenntnisse über Deutschland sich aus einem Buch aus dem Jahr 1976 gewinnen lassen.

Ein Ausflug zu einem Bücherschrank ist in jedem Fall empfehlenswert. Der erste seiner Art - ein rostbrauner Metallkasten - feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen. Im Dezember 2013 ist er am Nordbad von dem eigens gegründeten Verein "Offene Bücherschränke Schwabing-West" aufgestellt worden. Dort konnten dann erstmals in München die Viertelbewohnerinnen und -bewohner anonym und ohne Gebühren Lesestoff untereinander tauschen. Damals waren die bürokratischen Hürden noch recht hoch und auch die Angst, der Schrank könnte für das missbraucht werden, wogegen er eigentlich ankämpfen will: als Müllablagerungsort.

Die Sorge hat sich nicht bestätigt, auch in den meisten anderen Spinden - mittlerweile gibt es an die 50 Bücherschränke im gesamten Stadtgebiet - geht es geordnet zu. Dafür sorgen jeweils Paten und Patinnen, die den Schrank ausmisten, etwa wenn sich Hetzschriften oder anderes zwielichtiges Material in die Freiluftbibliothek verirrt haben. Vom rost-braunen Pionier über grüne, rote oder graue Varianten bis hin zu Telefonzelle (Tulbeckstraße 50), der Holzhüttn (Herrgottseck 2) oder der spröden Pappkiste - in München wird in vielerlei Gestalt zum Buchtausch animiert.

Kreislaufschränke voller Hinsteller

Die Kartons mit der Aufschrift "Zu verschenken" hatte auch Hannah Patalong immer häufiger in ihrem Umfeld entdeckt. Die Idee, alte Gegenstände weiterzugeben, gefiel ihr. Die Münchner "Nehmt's-mit-Kisten" hingegen, die empfand sie als unpraktisch. "Wenn es regnet, wird alles nass und es gibt keinen Ansprechpartner, denn der ist in der Regel ja weggezogen", sagt sie.

Mit weiteren Mitstreitern entwickelte sie daher vor drei Jahren ein Konzept weiter, das es schon vereinzelt auf Privatgrundstücken und in anderen europäischen Städten gab: die Kreislaufschränke. Das sind Boxen oder Häusl, die in den Stadtteilen aufgebaut werden. Dort kann jeder unkompliziert seine entliebten Wertstoffe unterstellen, um sie nach kurzer Trennungsphase für eine neue Bestimmung freizugeben. Da steht dann der 80er-Jahre-Skianzug aus Ballonseide neben Schätzen aus der Wohnzimmervitrine bereit.

"Haushaltsgegenstände, Vasen, einzelne Geschirrteile - Hinsteller eben, die haben einen wahnsinnigen Umlauf. Die gehen innerhalb von Stunden weg", sagt Patalong. Klamotten oder Möbel stünden länger. Will ein Stück partout nicht wegkommen, wird es von den Schrankpaten bei Kleinanzeigen eingestellt oder entsorgt. Die Paten, das sind Menschen aus der Nachbarschaft, die sich im Team um ein Häusl kümmern.

Inzwischen gibt es sieben solcher Kreislaufschränke in ganz München. Der neueste heißt "Giesinger Perle" und steht an der Perlacher Straße 116. Weitere Standorte sind schon in Planung: In diesem Jahr sollen in Neuhausen, Schwabing-West, am Mariahilfplatz, in Sendling, Harlaching sowie in Ramersdorf neue Tauschhütten aufgestellt werden.

Wer sich für eine Patenschaft interessiert oder als Werkstudent Teil eines Forschungsprojekts über die Wirkung der Schränke werden will, kann sich unter kontakt@kreislaufschraenke.de melden. Da immer versucht werde, auch ortsansässige Vereine und Initiativen mit ins Boot zu holen, würden die Schränke schnell zum Ort der Begegnung, sagt Patalong. "Das Schöne daran ist, dass so auch Menschen erreicht werden, die vielleicht nicht so viel am Hut haben mit einer nachhaltigen Lebensweise."

Samen aus Nachbars Blumenkübel

Nicht erst seit den jüngsten Bürgerprotesten rund um die schwindende Artenvielfalt oder den Flächenfraß ist klar: Die Münchnerinnen und Münchner mögen's, wenn es um sie herum grün bleibt und summt. Damit weiterhin viele verschiedene Blumen, Sträucher oder Gemüse in der Stadt heimisch sind, hat das Ökologische Bildungszentrum München (ÖBZ) eine Pflanzen-Tauschbörse initiiert.

Am Samstag, 13. Mai, von 14 Uhr an können angemeldete urbane Gärtner überschüssige Jungpflanzen, geteilte Stauden oder Kräuter an andere weitergeben und sich aus der grün-bunten Palette der anderen eine Pflanze für den eigenen Balkon mitnehmen. Auch Neugärtnerinnen, die noch nichts tauschen können, dürfen zur Börse ins Umweltbildungszentrum an der Englschalkinger Straße 166 in Bogenhausen kommen.

Es wäre allerdings noch Zeit, um das ein oder andere Pflänzchen großzuziehen. Die Samen dafür gibt es seit einiger Zeit bei der Münchner Stadtbibliothek. In diesem Jahr startet die Saatgutbibliothek am 14. März in den Zweigstellen in Giesing, Laim und Ramersdorf. Dort wird sortenreines Saatgut "verliehen".

Das heißt, dass sich Freizeitgärtner dort gefüllte Tütchen kostenfrei abholen können, um sie dann daheim in die Erde zu geben. Das aus dem geernteten Gemüse gewonnene Saatgut kann dann im Herbst zurück in die Bibliotheken gebracht werden - damit die nächste Saison kommen kann.

Salat aus dem Kostenlosladen

Gebrauchsgegenstände oder Lebensmittel sollen in der Gesellschaft bleiben und nicht nach dem ersten Leben in der Mülltonne landen, daher haben sich in ganz München sogenannte Fairteiler-Stellen etabliert. Mal als einsamer Kühlschrank in einem Geschäft, mal als eigener kleiner Laden. Einer davon ist die "Brauchbar" im Kreativlabor an der Dachauer Straße. "Es ist ein Ort, der nach der Schenkökonomie funktioniert", sagt die Verantwortliche Doro Seror. Die Künstlerin engagiert sich in der "Zona libre", einem Zusammenschluss von Kunst- und Kulturschaffenden, die freiwillig und geldfrei auf dem Gelände des Kreativquartiers und in der Nachbarschaft Kulturveranstaltungen und andere Aktionen organisieren.

Neben dem Kostenlosladen bauen die Mitglieder auf einem Feld in der Hallertau beispielsweise regionales Obst, Gemüse und Wildkräuter an, die sie neben geretteten Lebensmitteln an zwei Tagen in der Woche aus der "Brauchbar" - einer Garage - verteilen. Auf einer kleine Grünfläche auf dem Kreativquartiergelände wird zudem im "Huberhäuslgarten" gemeinsam gegartelt. "Es gibt kein Geld. Man muss nichts spenden, man kauft nichts. Es soll alles vollkommen umsonst sein", sagt Seror. Zwischen 20 und 30 Leute stellten sich zu den Ausgabezeiten jeweils in die Schlange vor die "Brauchbar". "Seit Corona merken wir, dass wahnsinnig große Bedürfnisse nach Lebensmitteln da sind."

Kleidchen wechsle dich

Unter dem Namen "Upcycle your style" organisiert der Verein Green City seit 13 Jahren in regelmäßigen Abständen Kleidertauschpartys in München. Zum Veranstaltungsort können zwischen zehn und 15 gebrauchte Klamotten mitgebracht und gegen andere getauscht werden. Alles, was nicht weitergekreiselt worden ist, wird anschließend an die Diakonie gespendet. Doch bei den Partys wird nicht nur getauscht, sondern auch genäht: Vergangenes Jahr sind aus alten Bettlaken neue Haargummis geworden. Andere haben bei der Münchner Umweltorganisation gelernt, wie man Hosen kürzt oder Löcher richtig stopft.

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