Er wollte weg vom Krieg, von der Gewalt und auch keine Kalaschnikows mehr zeichnen. Und zumindest das letzte blieb Joe Sacco in Kanada erspart. Auf Gewalt stieß der maltesisch-amerikanische Comiczeichner dann aber doch wieder, als er 2015 dort beim indigenen Volk der Dene war und für eine Reportage in einem französischen Magazin recherchierte. Aus der Reportage wurde mit "Wir gehören dem Land" ein Buch. Im letzten Jahr hat Joe Sacco dafür den Geschwister-Scholl-Preis in München erhalten. Das heißt: Nicht wirklich, denn die Preisverleihung fiel wegen Corona leider aus. Als weitere Turbulenz folgten bald kritische Stimmen, die sagten, Sacco hätte den Preis gar nicht verdient. Nicht für "Wir gehören dem Land". Und vor allem nicht wegen seiner früheren Comic-Reportagen "Palästina" und "Gaza".
Die Kritik? Die Sichtweise auf den Israel-Palästina-Konflikt sei in Saccos Comics "propagandistisch verzerrt". So hieß es jedenfalls im Oktober letzten Jahres in einem offenen Protestbrief der Akademiker für Frieden im Nahen Osten. Und bei "Wir gehören dem Land" sei die "Wahl kanadischer Ureinwohner" als Sujet zwar "löblich", aber intellektuell nicht "sonderlich beherzt". Das kann man so sehen und darüber streiten. Und es war auch die Frage, ob das in diesem Jahr passieren wird. Denn zur diesjährigen Münchner Bücherschau konnte Joe Sacco seinen Besuch nun nachholen. Er war in der Bibliothek des Literaturhauses zu Gast, um dort mit seinem Laudator, dem Journalisten Andreas Platthaus, über "Wir gehören dem Land" und seine Arbeit als Comic-Reporter zu sprechen.
In seine Comics bringt er sich auch immer selber als Figur ein
Das geriet sehr informativ und unterhaltsam. Da sich Sacco trotz der ernsten Themen als humorvoller, selbstironischer Gesprächspartner erwies. Kritische Stimmen gab es keine, auch im Vorfeld keinerlei Protest. Im Gegenteil hob Andreas Platthaus gleich zu Beginn und danach immer wieder die Stärken von Sacco hervor. Die Comic-Reportage, die habe der in Malta geborene und in Portland lebende Zeichner nicht erfunden. Aber er habe sie auf ein "neues Niveau gehoben". Und das habe viel mit der Subjektivität darin zu tun. Wirklich objektiv? Das könne man, gab Sacco zu, als Reporter gar nicht sein. Deshalb bringt er sich in seinen Comics immer selbst auch als Figur ein. Und er signalisiert damit genauso wie mit seinen Zeichnungen: Das ist meine eigene, persönliche Sicht.
Die Zitate stimmten aber immer. Sie seien penibel recherchiert, so Sacco, der Journalismus studiert hat. Das Zeichnen sei eher ein Jugendhobby gewesen, auf das er nur deswegen beruflich zurückkam, weil er nach seinem Abschluss keinen Job fand. Und so zeichnete er nun Rock-Poster und Plattencover, lebte zeitweise in Berlin und wurde Mitarbeiter von Fantagraphics Books. Anfang der Neunziger reiste er nach Israel und Palästina, weil er den Eindruck hatte, Palästinenser würden im US-Fernsehen nur als "Terroristen" dargestellt. Gedacht hatte er an einen Reisebericht. Daraus wurde dann aber eine in neun Heften bei Fantagraphics erschienene Reportage, die 2001 unter dem Titel "Palestine" als Buch herauskam. Und die zusammen mit seinem Buch über Bosnien seinen Ruf als Comic-Reporter begründete.
Wie er als Reporter vorgehe? Er lese zuerst viel, aber am Ende mache das maximal zehn Prozent seiner Geschichten aus. Denn vor Ort sei alles dann doch immer anders. Es werde komplizierter, wenn man mit den Menschen spricht. Um Zugang zu diesen zu finden, brauche es meist "Führer", Menschen vor Ort, denen die Leute vertrauen. Und die als Figuren ebenfalls mit in den Comics auftauchen. Bei "Wir gehören dem Land" ist das die Umweltaktivistin Shauna Morgan. Er hat mit ihr Mitglieder der Dene im Nordwesten Kanadas besucht, die ihr Land nicht als Besitz, sondern sich im Gegenteil als dessen "Schuldner" sehen. Und die nun zusehen müssen, wie die Regierung das Land ausbeutet.
Wie Morgan seien viele Dene-Mitglieder dagegen. Aber manche erhofften sich durch den Gold- und Öl-Raubbau auch Jobs. Weil sie nun mal in einem "westlichen System" lebten. Und da wird die Sache wieder kompliziert. Um ein komplexes Thema wird es auch in Saccos nächstem Buch gehen, in dem er sich auf nur 150 Seiten dem Konflikt zwischen Hindus und Muslimen in Indien nähern will. Und danach? Möchte er sich irgendwann noch mit der Rolle der Befreiungstheologien in Zentralamerika beschäftigten, aber zuvor endlich sein Buch über die Rolling Stones fertigstellen. Daran sitzt Sacco schon seit mehr als zehn Jahren. Er verspricht, dass es "philosophisch" und "satirisch" wird. Und er sagt mit einem Lachen: Die Stones seien für das Buch eigentlich "irrelevant", er benutze sie nur als "Verkaufsargument". Und es zu zeichnen sei ein "reines Vergnügen".