Süddeutsche Zeitung

Brustkrebs:"Wenn man ein kleines Kind hat, dann ist der Tod keine Option"

Ihr Sohn war erst zwei Jahre alt, als der Tumor bei ihr festgestellt wurde. Nur noch maximal zwei Lebensjahre stellte man Sonja Wagner damals in Aussicht. Sie begann zu kämpfen. 

Von Sabine Buchwald

Mama, warum du? Auf diese Frage kann Sonja Wagner ihrem Sohn keine Antwort geben. Diese Frage hat sie sich selbst schon viele Male gestellt seit der schockierenden Diagnose: Brustkrebs.

Niemand in ihrer Familie hatte oder hat diese Krankheit. Der Befund traf sie völlig unvorbereitet kurz vor ihrem 35. Geburtstag. Wagner hatte eine Veränderung in ihrer Brust bemerkt. Es sei kein Knoten gewesen, sondern hätte sich eher wie eine kleine harte Platte angefühlt, erzählt sie. Anfangs habe sie sich nicht viel dabei gedacht. Stillende Mütter kennen solche Verhärtungen in der Brust, volle Milchdrüsen können sich so anfühlen. Wagner hat gestillt. Ihr Sohn war erst zwei Jahre alt, als der Tumor bei ihr festgestellt wurde. Das war im Jahr 2012.

Da hatte der Tumor schon gestreut. Man fand unzählige kleine Metastasen in Wagners Leber. Nur noch maximal zwei Lebensjahre stellte man ihr damals in Aussicht. "Meine Krebsart ist hochgradig aggressiv", sagt sie. "Doch wenn man ein kleines Kind hat, dann ist der Tod keine Option. " Sie begann zu kämpfen.

Wagner setzte von Anfang an nicht auf Eigenrecherche. Sie erzählt, dass sie nicht ein einziges Mal über Brustkrebs gegoogelt habe, sondern den Informationen ihrer Ärzte vertraute. Von ihrem Hausarzt wurde sie ins Brustzentrum der Frauenklinik in der Maistraße überwiesen und traf dort auf die leitenden Onkologinnen Nadia Harbeck und Rachel Würstlein, bei denen sie sich gut aufgehoben fühlte.

Wagner empfindet es als Glück, dass sie zu den Arztterminen nicht allein gehen musste. Mal kam der Bruder mit, der Mediziner ist, mal eine Freundin. So hatte sie jemanden, mit dem sie darüber sprechen konnte. Das habe ihr sehr geholfen, ihre Lage einzuordnen und zu verstehen, um dann Entscheidungen zu treffen, sagt Wagner. Denn vor allem anfangs habe sie sich überfordert gefühlt. In manchen Momenten beobachtete sie sich und ihr Leben wie ein Zuschauer und konnte sich kaum konzentrieren. "Krebs, ich habe Krebs", dieser Satz beherrschte ihre Gedanken, erzählt sie. Er war morgens da, wenn der Wecker klingelte, und abends beim Einschlafen. Um das Wachstum der Metastasen zu stoppen und Neubildungen zu verhindern, hatte man Wagner eine Chemotherapie empfohlen. Sie holte sich Rat bei einem anderen Facharzt. Dessen Ansicht bestärkte sie letztlich, diesen Therapieweg zu gehen. Eine Zweitmeinung sei nichts Negatives, sogar wichtig für die Entscheidungsfindung und um Vertrauen zu fassen, versicherten ihr die Ärzte.

Wagner begann mit der Chemo. 18 Infusionen hatte man ihr verschrieben, die sie auslaugten. Jedes Mal ein bisschen mehr. Ihre Familie habe sie, so gut es nur ging, gestützt, betont Wagner, was sehr wichtig für sie war. Auch eine Psychoonkologin hat sie durch diese Phase begleitet. Die hörte zu und gab ihr Tipps. Zum Beispiel, schon frühzeitig eine Perücke zu kaufen. "Das war ein guter Hinweis", sagt Wagner. Weil sie eine fand, die ihrer gewohnten Frisur ähnlich kam. Sie wollte so unverändert wie nur möglich bleiben, vor allem für ihren kleinen Sohn.

Man wartet wöchentlich auf den Haarausfall, sagt Wagner. Der dann auch kam. Büschelweise blieben die Haare in der Bürste hängen. Auch die Augenbrauen hat sie verloren. Es sei wie Unkrautbekämpfung. Nicht nur das Wuchernde, das Unerwünschte wird angegriffen. Nach zwölf Infusionen hat man Wagner eingehend untersucht. Dieses Zwischenergebnis war ein Triumph: Der Tumor und die Lymphknoten hatten sich verkleinert und die Zahl der Metastasen verringert. Nach 18 Infusionen schließlich waren die Lebermetastasen inaktiv und das kranke Gewebe in der Brust konnte operativ entfernt werden.

Kurz danach kam Wagner in eine der Studien unter der Aufsicht von Harbeck und Würstlein, die passend auf ihren hormonabhängigen Krebs zugeschnitten ist. Seitdem bekommt sie eine Immuntherapie mit zielgerichteten Substanzen für metastasierten Brustkrebs. Anfangs geschah dies im Rahmen einer noch nicht standardisierten Therapie. Mittlerweile ist das Mittel zugelassen und wird in einer Langzeit-Folgestudie beforscht. Alle drei Wochen geht Wagner dazu wieder in die Maistraße zur Infusion. Ihre Haare und Brauen sind längst nachgewachsen und glänzen gesund. Äußerlich ist Sonja Wagner nichts anzumerken. Die Medikamente halten den Krebs im Zaum.

Wagner ist heute 43 Jahre alt, sie arbeitet in Teilzeit. Ihre Firma habe ihr immer den Rücken gestärkt, sagt sie. Unter anderem dieser Rückhalt habe ihrer Psyche gut getan. Von Anfang an ist sie offen mit ihrer Erkrankung umgegangen, auch vor ihrem Sohn. Wahrscheinlich habe ihn die Sorge um mich schneller groß werden lassen, vermutet Wagner. Jedenfalls vernünftiger. Sie merkt das an kleinen Gesten, wenn er ihr etwa hilft, die Münze im Einkaufswagen herauszuziehen, weil ihr das mit ihren tauben Fingerspitzen schwer fällt.

Man könne die Krankheit nicht abstreifen, sagt Wagner. Aber die tollen Erfahrungen in der Klinik, mit Freunden, Familie und Kollegen geben ihr Mut. Zeit ist nun ihr wichtigstes Gut.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4783516
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.02.2020/kbl
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.