Verein mit Nachwuchssorgen:Um Kropf und Kragen

Verein mit Nachwuchssorgen: Schmucke Schnäbel und schönes Gefieder.

Schmucke Schnäbel und schönes Gefieder.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Taubenzüchter sind rar geworden in München - ohne Zuwanderer wäre die Tradition längst ausgestorben. Diejenigen, die sie noch aufrechterhalten, klagen über immer strengere Bestimmungen und steigende Mieten.

Von Julian Hans

"Oa Taubn pro Mann mit am Kardofflsalad und a guade Soß dazua - passt!". Alois Fuchs ist lange genug Taubenzüchter, um zu wissen, dass einen das Hobby zur Not auch ernähren kann. Aber eigentlich geht es natürlich um etwas anderes: um Kopf, Kropf und Kragen, um schmucke Schnäbel, krönende Hauben, eine feine Stimme und eine schöne Zeichnung des Gefieders. Aber als Züchter muss man eben auch aufpassen, dass der Bestand im Rahmen bleibt. Wenn es eng wird in den Volieren, kommt doch mal ein Tier in den Topf.

Im Gasthof Zur Post in Daglfing trifft sich der Geflügelzuchtverein an diesem Abend bei Bier und Schweinebraten. Alois Fuchs ist der Veteran am Tisch; ergraut, im Trachtenhemd und mit Münchner Zunge. Er hat viele unterschiedliche Taubenrassen gezüchtet in seinem langen Leben, aber für seine Luzerner Goldkragen war er berühmt. Sechs Mal war er bayerischer Meister, fünf Mal deutscher Meister, vier Mal Europameister. Als Reifenhändler war er in ganz Deutschland unterwegs. Aber die Leidenschaft für die Vögel hat ihn um die halbe Welt geführt, bis nach Russland und Usbekistan. Vor einem Jahr hat der 77-Jährige seine Zucht aufgegeben. "Ich habe alles erreicht, was man erreichen kann", sagt er. Niemand am Tisch würde das bezweifeln.

Und allen ist klar, dass die goldenen Zeiten der Taubenzucht in München vorbei sind. An der Isar lag einst eine Hochburg dieser Kunst. Deutsche Züchter waren für ihre Gründlichkeit und Systematik weltweit angesehen, besonders die aus Thüringen, Sachsen und Bayern. In Germering erschien die Geflügel-Börse, eine illustrierte "Zeitschrift für Kleintierzüchter und Naturfreunde" voll mit Anzeigen zum Verkauf und Tausch. Sozusagen das Zentralorgan der Rassegeflügelzüchter. Vor fünf Jahren erschien die letzte Ausgabe. Liebhaber hüten alte Exemplare wie Schätze.

Als Alois Fuchs ein junger Mann war, gab es in München noch zwei große Vereine mit Hunderten Taubenzüchtern. In der Olympiareithalle wurden Ausstellungen mit 4000 Tieren veranstaltet. Heute existiert nur noch der Geflügelzuchtverein München e.V., gegründet 1871. Von den etwa 25 Mitgliedern ist etwa ein Dutzend noch aktiv, zur Versammlung an diesem Abend sind sechs gekommen. Sie klagen über immer strengere Bestimmungen und über die steigenden Mieten.

Anderswo haben Vereine Gemeinschaftszuchtanlagen. In der Landeshauptstadt, wo um jeden Quadratmeter Wohn- und Geschäftsraum gerungen wird, ist dafür kein Platz. Nur wer ein eigenes Grundstück hat oder einen Schrebergarten, kann dort eine Voliere aufstellen. Alois Fuchs hatte trotzdem Ärger mit dem Nachbarn. Zehn Jahre lang haben sie gestritten, weil der sich vom Gurren und Flattern gestört fühlte. Am Ende ist der Nachbar weggezogen. "Der neue Nachbar ist normal", sagt Fuchs.

Verein mit Nachwuchssorgen: Babak Deljou (links) und Sefcet Ahmetovic (rechts) haben Besuch von ihrem Schrebergarten-Nachbarn Werner Bitterwolf. Der hält lieber Hühner.

Babak Deljou (links) und Sefcet Ahmetovic (rechts) haben Besuch von ihrem Schrebergarten-Nachbarn Werner Bitterwolf. Der hält lieber Hühner.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Dazu kommen die Nachwuchssorgen. Der Kleintierzuchtverein gilt als Sinnbild von Vereinsmeierei und deutschem Spießertum. Auf dem Land ist es heute noch manchmal so, dass sich an den Stammtischen treffen: der Huber, der Meier, der Müller, der Obermaier, der Sepp, der Hans und der Max. In der Großstadt ist das ein bisschen anders. Der Fuchs Alois und der Staudinger Werner sind die einzigen an diesem Abend, die in München geboren sind. Werner Hartmann, der Vorsitzende, und Dieter Moyrer stammen aus Siebenbürgen. Sefcet Ahmetovic kommt aus Serbien. Sein Schrebergartennachbar Babak Deljou ist als junger Mann aus dem Iran gekommen. Ein Mitglied, Abdul Mubarak, stammt aus dem Irak. Ohne Zuwanderer wäre diese deutsche Tradition in München längst ausgestorben.

Frauen sind in diesen Kreisen aber immer noch selten. Viola Dziuba ist die einzige in der Runde. "Eigentlich ist das ein Männerhobby", sagt sie. Aber sie begeistert sich dafür, seit sie ein kleines Mädchen war. Schuld war ausgerechnet der Metzger; der hat ihr zum siebten Geburtstag ein Pärchen Brieftauben geschenkt. Mit 23 war sie die jüngste Preisrichterin in Deutschland.

Jeder hat eine eigene Geschichte mit den Tauben zu erzählen, meistens beginnt sie in der Kindheit. Dziuba ist in einer Kleinstadt im Harz aufgewachsen, die Tauben waren ihre erste Verbindung in den Westen. Wenn Brieftauben aus Westberlin erschöpft waren oder schlechtes Wetter war, dann mussten sie in der DDR notlanden. "Die Leute aus meiner Kleinstadt haben die dann zu mir gebracht, weil sie wussten, dass ich Tauben halte", erzählt sie. "Dann habe ich die aufgepäppelt und heim geschickt". Zehn oder zwölf Jahre sei sie damals alt gewesen. Mit einigen Züchtern entstand so eine Brieffreundschaft. Manchmal haben sie auch ein Westpaket geschickt als Dankeschön.

Noch in anderer Hinsicht ist Viola Dziuba eine Ausnahme in der Runde: Sie hat als einzige studiert. Sogar Agrarwissenschaften. Die Männer sind Automechaniker, Reifenhändler, Blumenhändler, Maschinenbauer, Friseur. Kleintierzucht war immer auch ein Hobby der kleinen Leute. Dass Hühner, Tauben und Kaninchen auch einen Festtagsbraten abgeben können, war ein willkommener Nebeneffekt. Doch in einer Stadt der Dax-Konzerne, IT-Unternehmen und Spitzenforschung ist für so ein Kleine-Leute-Hobby immer weniger Platz.

"Wenn wir weg sind, wird da auch keiner mehr nachkommen"

Sefcet Ahmetovic hat sein Refugium zwischen S-Bahn-Gleisen und Schuttplatz gefunden. Man tritt durch eine eiserne Gartenpforte und ist in der Natur: Dicke Kürbisse leuchten gelb in der Sonne. Es riecht nach reifen Quitten und nach frisch gebrühtem Kaffee. Am Tisch malen die Kinder und oben im blauen Himmel kreist ein Schwarm weißer Tauben. "Wenn ich von der Arbeit komme, ist es wurst, wie müde ich bin", sagte Ahmetovic. "Wenn ich da reingehe, ist das alles vergessen."

Jeden Tag fährt er von seiner Wohnung am Luise-Kiesselbach-Platz hier raus nach Berg am Laim, um seine Tiere zu versorgen. Zehn Kilometer hin und zurück. Da gehen am Tag locker vier Stunden drauf. Aber das tut so gut, sagt Ahmetovic: "Ich liebe das, und die Kinder hängen dran". Wenn sie hier draußen Geburtstag feiern, dürfen ihre Gäste Tauben in die Hand nehmen und Küken streicheln, "die wollen oft gar nicht mehr heim".

Sechs Jahre war er alt, als ihm seine erste Taube zugeflogen ist. Das war noch in seiner alten Heimat in Serbien. Als er die Geschichte im Wirtshaus erzählt hat, haben die anderen gelacht. "Doch, die ist mir wirklich zugeflogen!", hat er protestiert. Fast alle haben so eine Geschichte zu erzählen, aus Teheran, Siebenbürgen oder Ungarn, und nicht immer sind die ersten Tauben ganz freiwillig bei den Buben gelandet.

Verein mit Nachwuchssorgen: Für Ahmetovics Kinder ist der Umgang mit Tauben etwas ganz natürliches.

Für Ahmetovics Kinder ist der Umgang mit Tauben etwas ganz natürliches.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Als Sefcet Ahmetovic zehn Jahre später nach Deutschland kam, folgte eine lange taubenlose Zeit. Bis ihm eines Tages wieder eine zulief mit einem Ring am Fuß. "Die gehörte dem Alois. Und der hat mich gleich eingeladen, ob ich mir den Taubenzüchterverein nicht mal ansehen will." Seitdem gehört er dazu.

Vor sieben Jahren konnte er dann diese Parzelle in der Kleingartenanlage pachten, nicht weit vom S-Bahnhof Berg am Laim. Ein Kaninchenzuchtverein war hier schon, und die Mitglieder hatten nichts gegen Tauben, einige hielten selbst Hühner. Also hat er das Gewächshaus zur Voliere umgebaut. Er schlüpft hinein, fängt zwei Tiere und zeigt ihre Federn, bevor er sie in die Luft aufsteigen lässt. Besonders stolz ist er auf die seltenen türkischen Azman mit dem schwarz-weißen Gefieder. Außerdem hält er Wiener Hochflieger und Serbische Hochflieger, das sind die mit der Spitzhaube auf dem Kopf.

Im Garten nebenan nimmt Renate ein Sandbad. Das weiße Seidenhuhn gehört Babak Deljou, dem Iraner. Die Tauben, die oben im Himmel kreisen, sind seine Persischen Hochflieger. Für viele zugereiste Züchter sind die Tauben auch ein Stück Heimat ihrer Kindheit. Und wenn dann der Iraner Deljou und der Iraker Abdul Mubarak am Münchner Wirtshaustisch zusammensitzen und über Vogelzucht fachsimpeln, ist die alte Feindschaft zwischen ihren Ländern ganz vergessen.

Neulich konnte der Muslim Babak Deljou dem Pastor einer Truderinger Gemeinde einen Wunsch erfüllen. Der suchte weiße Tauben für seinen Gottesdienst. Und Deljou war stolz, seine Vögel vorführen zu dürfen. Im Mai hatte die Künstlerin Christiane Huber syrische Sturztauben auf dem Max-Joseph-Platz ausgestellt als Begleitung für eine Lesung syrischer Dichter. Wenn die letzten Züchter in München ihre Volieren räumen, wird es schwer, für solche Aktionen noch Vögel zu finden.

Manchmal kämen Besucher in seine Gartenanlage, die würden auch gerne Tauben halten, erzählt Sefcet Ahmetovic. "Aber dann muss ich denen sagen: Es gibt keinen Platz. Wir sind noch drei Züchter. Wenn wir weg sind, wird da auch keiner mehr nachkommen."

Seine Parzelle hat er von der "Bahn Landwirtschaft" gepachtet, ehemals ein Verein der Eisenbahner. Erst hatten die kein Problem mit Tauben. Dann wechselte der Vorstand. Seit drei Jahren gibt es Streit. Es wird in Deutschland oft über die Regeln des Spiels gestritten, das sich "Deutsche Leitkultur" nennt. Aber wenn sich einer vor Gericht mit dem Vorstand seines Kleingartenvereins über die Verordnung für das Halten von Kaninchen und Tauben streitet, kann man wohl sagen, dass er im Endlevel angekommen ist. Maximal 25 Tauben erlaubt der Vorstand jetzt noch pro Parzelle. Tiere gehörten nicht in Kleingärten, ist die Begründung. Die Regel gilt vorläufig bis Ende des Jahres. Wenn sie nicht verlängert wird, gibt es an Weihnachten vielleicht Taube statt Gans.

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